Wolfgang Kaskeline ist heute kaum bekannt, dabei stand er an der Wiege des deutschen Trickfilms. Nun erscheint ein Buch über ihn.

Mit ihrer Comic-Trilogie vom Bahnhofswärter Alois Nebel waren dem Zeichner Jaromír Švejdík und seinem Schriftstellerkollegen Jaroslav Rudiš etwas ganz Besonderes gelungen: Sie lenkten den Focus auf ein künstlerisches Genre, das in Tschechien in der kommunistischen Zeit als „Kinderkram“ milde belächelt, wenn nicht gar als „perverser imperialistischer Schund“ heftig attackiert worden war. Vor allem seit der Jahrtausendwende erlebt die Szene der Graphic Novels eine regelrechte Blütezeit. Von einem „Goldenen Zeitalter“ sprachen Kritiker beispielsweise auf der 2019er Buchmesse in Leipzig, die bekanntlich Tschechien als Gastland präsentierte.

Bei so viel Aufmerksamkeit rücken dann auch die Comic-Pioniere der Zwischenkriegszeit ins Bewusstsein:  die Zeitschrift mit dem „Hündchen Punta“ beispielsweise oder die Serie „Schnelle Pfeile“ vom Team Foglar/Fischer.

Nichts ist in diesem Zusammenhang hingegen zu hören von einem Mann, der gleichfalls seine familiären Wurzeln in Böhmen hatte. Er machte allerdings nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin Karriere, und dies in dem neuen Medium des Films: Wolfgang Kaskeline.  Sein Stammbaum reicht bis auf seinen Urgroßonkel Josef in Teplitz (Teplice) zurück, Inhaber eines Gemischtwarenhandels, geachtetes Stadtrats-Mitglied und Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Wolfgangs Vater Viktor wurde ebendort geboren.

Sohn Wolfgang erblickte hingegen in Frankfurt/Main das Licht der Welt und hatte mit dem Land seiner Vorfahren nichts weiter im Sinn. Kein Wunder mithin, dass man sich seiner in Böhmen bis jetzt nicht erinnert. Eher muss erstaunen, dass ein Mann mit dieser Lebensleistung auch in Deutschland in Vergessenheit geriet. Deshalb ist es mehr als verdienstvoll, dass Herma Kennel, Autorin wichtiger Bücher im deutsch-tschechischen Kontext, diesem Spross deutsch-jüdischer Kultur in Böhmen ein literarisches Denkmal setzt, das ja vielleicht nach Teplitz ausstrahlen könnte.

Buchcover Kaskeline web

Wolfgang Kaskeline hat den Trickfilm in Deutschland von der Wiege bis zu höchster Perfektion entwickelt. Schon zu Lebzeiten nannte man ihn den „deutschen Disney“.  Seinen ersten Film fabriziert er, Zeichenlehrer an einer Berliner Oberrealschule, 1922/23 am Küchentisch. Bald schon entdeckt ihn die Universum-Film AG (UfA), schnell avanciert er zum Chef der Werbefilmabteilung, experimentiert erfolgreich mit Ton- und Farbfilm, arbeitet mit den Großen der Konsumgüterbranchen: Zigaretten, Sekt, Schokolade (Sarotti-Mohr) Milch (Meierei Bolle – hüpfende Milchflaschen vor dem Brandenburger Tor),  Malzkaffee, Damenmode und Nähseide – nichts, so scheint es, lässt er aus. Die Titel der Filmographie sind so bunt wie das Leben. Schier unermesslich wächst, trotz Wirtschaftskrise, die Nachfrage nach den witzigen Werbeschnipseln in den Kinos. Und Kaskeline ist der Mann der Stunde. Alles, was in seinem Metier wichtig ist –Musik, Text und Bild- vereint er meisterhaft in seiner Person. Kennel schildert ihren „Helden“ als künstlerisch ungemein kreativen, rastlosen Menschen, der für die UfA und ihre Werbefilm-Aktivitäten in den zwanziger und dreißiger Jahren schier unentbehrlich wird.

Zwischen Arbeitsverbot und Sondergenehmigung

Mit Hitlers Machtantritt 1933 wird alles anders für den Halbjuden Wolfgang Kaskeline. Er gerät mitten hinein in den Strudel der nationalsozialistischen Rassen- und „Entjudungs“-Politik. Seine berufliche Existenz steht auf dem Spiel. Was ihn zunächst rettet, sind seine Kunst und sein Können.  Doch kann er den geforderten Arier-Nachweis  nicht erbringen. Er gerät in das Dickicht der Nazi-Bürokratie, laviert zwischen Arbeitsverbot der Reichsfilmkulturkammer und Sondergenehmigung der Reichskulturkammer, an deren Spitze Joseph Goebbels steht.  Möglicherweise – die Hintergründe bleiben leider im Dunkeln – hilft dabei Hitlers Faible für Walt Disneys Micky-Maus-Filme. Zu gerne möchte der Propagandaminister seinem Führer einen ebenbürtigen deutschen Trickfilmer präsentieren. Außerordentlich ist zudem der Wagemut von Wolfgangs Frau Minna: Nicht nur, dass sie bei Hermann Göring im Luftfahrtministerium vorspricht. Für sie steht fest, dass ihr Mann einen anderen, nicht-jüdischen Vater braucht.

Tatsächlich findet sie ihn, und zwar im Schloss Teplitz, wo Alfons Fürst von Clary und Aldringen ihr notariell den angeblichen Seitensprung seines Vaters „mit der Zofe Lina“ bescheinigen lässt, um, so der Fürst, „dem Führer ein Schnippchen zu schlagen“.  In Berlin durchschaut man zwar dieses Spiel, aber Wolfgang Kaskeline kommt als nunmehr „Vierteljude“ davon und wird noch im Oktober 1944 sogar zum Produktionschef der von Goebbels gegründeten „Deutschen Zeichenfilm GmbH“ ernannt. Sein Traum von einem großen Zeichentrick-Spielfilm geht freilich im Bombeninferno der Hauptstadt unter.

Wie der passionierte Trickfilmer das Nazi-Regime und den Untergang Berlins überlebt, schildert Herma Kennel detailgenau mit einem atemberaubenden Spannungsbogen, der den historischen Kontext vorbildlich mit einbezieht. Schließlich kann sie sogar, wie in jedem guten Film, ein versöhnliches Happy End anbieten: auch im Nachkriegsdeutschland bleibt Kaskeline ein Glückskind seiner Zeit.


Herma Kennel

Als die Comics laufen lernten.

Der Trickfilmer Wolfgang Kaseline zwischen Werbekunst und Propaganda.
be.bra Verlag
Berlin-Brandenburg 2020

 

Lesungen mit Herma Kennel

16. September 2020, 19.30, Brotfabrik, Caligariplatz 1, Berlin

17. September 2020, 19.00, Adalbert-Stifter-Saal, Sudetendeutsches Haus, Hochstraße 8, München

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