Heimkehr nach 50 Jahren. Die Nationalgalerie Prag zeigt eine große Retrospektive des weltberühmten Tschechen.
Im Frühling bewunderten 230.000 Besucher in Paris die große Werkschau von František Kupka. Die Tageszeitung Le Monde bezeichnete sie als die wichtigste Ausstellung des Jahrzehnts. In derselben Weise wird nun das Gesamtwerk von Kupka, der gemeinsam mit Alfons Mucha zu den im Ausland bekanntesten tschechischen Künstlern gehört, auch in Prag präsentiert. Es ist das Ergebnis einer dreijährigen Zusammenarbeit der Nationalgalerie in Prag mit dem Pariser Centre Pompidou und der Finnish National Gallery in Helsinki, wo die Ausstellung im nächsten Jahr gezeigt wird. Außerdem nehmen an der Kupka-Exposition weitere namhafte Museen teil: das New Yorker Guggenheim Museum, The Art Institute of Chicago, das Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid, die Wiener Albertina sowie zahlreiche Privatsammler.
Von der Figur zur Geometrie
Die chronologisch konzipierte Ausstellung in der Wallenstein-Reithalle (Valdštejnská jízdárna) in Prag, benannt kurz František Kupka (1871- 1957), stellt einen umfassenden Querschnitt durch das Werk des Entdeckers der abstrakten Kunst dar. Sie spannt den Bogen von Kupkas Symbolismus Anfang der 90. Jahre des 19. Jahrhunderts über seinen Weg zur Abstraktion in den Jahren 1910 und 1913 bis hin zu seiner letzten Schaffensphase in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Eine derart repräsentative Auswahl von Kupkas Werk war hierzulande zuletzt vor einem halben Jahrhundert zu sehen. Damals war der Anlass eine internationale Wanderausstellung von 1967-68.
Die Ausstellung beginnt mit Kupkas Selbstportrait und schreitet zu seinen figurativen Bildern fort, die er während seines künstlerischen Werdegangs in abstrakte Formen umgewandelt und schließlich seinen Kompositionen der geometrischen Ordnung untergeordnet hat. Dabei ging dem Entstehen seiner Werke, seien es großformatige Ölgemälde oder bekannte Buchillustrationen, immer eine tiefgehende wissenschaftliche Recherche in Biologie, Geschichte, Astronomie, Philosophie und Religion voraus. Um in Kupkas komplexe Welt einzutauchen, hat die leitende Kuratorin Anna Pravdová die Wallenstein-Reithalle als ein Mäander gestaltet, das voll von Ecken, Wänden, Durchgängen und Durchblicken ist. Darin wird der Besucher anhand von mehr als 300 Gemälden und Zeichnungen durch die unterschiedlichen Etappen von Kupkas künstlerischen Werdegang geführt. „In der Jugend war Kupka ein Anarchist und veröffentlichte in satirischen Zeitschriften, wo er häufig den Kapitalismus kritisierte“, erklärt Pravdová. Diese Zeit vertritt hier das Bild Geld, auf dem ein Mann eine nackte Frau anstarrt, wobei sein Bauch mit Goldmünzen prall gefüllt ist. „Die Frau verkörperte bei Kupka stets die Armut“, fügt Pravdová hinzu.
Der Weg zu Amorpha und Maschinismus
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die wohl bekannteste und größte Abstraktionsarbeit Kupkas: Amorpha – Fuge in zwei Farben von 1912. „Ich glaube, dass ich etwas finden werde, das zwischen Sichtbarem und Hörbarem liegt (….) eine Figur aus Farben, wie Bach sie aus Tönen geschaffen hat,“ äußerte sich František Kupka zu ihrer Entstehung. Auf die Idee dieser elliptisch gekrümmten Form ist er gekommen, als er seiner Stieftochter Andréé zusah, wie sie mit dem Ball spielte. Daraufhin hat er die abstrakte Gestaltung einer Bewegung durch Anwendung von zwei Farben ausgedrückt: rot und blau. Die Bezeichnung „Fuge“ kann auf Johann Sebastian Bachs Werk hinweisen, genauso aber auch auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, was wiederum zur Bewegung führt. Seine abstrakte Amorpha hat Kupka zum ersten Mal beim Pariser Herbstsalon 1912 ausgestellt, und zwar gemeinsam mit seinem zweiten abstrakten Ölbild, Amorpha – warme Chromatik. Beide Werke erregten großes Aufsehen und lösten heftige Diskussionen unter den Pariser Malern aus. So hat z. B. ein Pariser Kritiker in seiner Rezension folgende Frage gestellt: „Wir wissen, was ein warmer Kräutertee oder eine Suppe ist, was ist aber eine warme Chromatik?“
Kupkas Abstraktionswerk vertreten innerhalb der Ausstellung auch weitere Bilder, u. a. Groß Nackt, bei dem Kupka mehr Aufmerksamkeit der Farbenkomposition als der eigentlichen Frauenfigur widmet. In Kupkas Abstraktionswerk kann man seinen Inspirationsquellen nachspüren, seien es Eisenkristalle, biologische Formen, fallende Sterne, Blütenknospen oder Industriemaschinen, die in seinen Maschinismus künstlerisch eingingen. Die technische Welt faszinierte Kupka durch ihre Bewegung und Geräusche. „Zur selben Zeit kam in Paris der Jazz in Mode und Kupka suchte eine Verbindung des Maschinenklapperns mit den Musikrhythmen. Er malte Bilder mit dieser Thematik, wie beispielsweise Hot Jazz von 1935“, erklärt Pravdová. Kupkas Beschäftigung mit der Industriewelt ging auf seine Freundschaft mit Jindřich Waldes zurück, dem Prager Unternehmer und Kupkas Gönner. Mit dem tschechoslowakischen „Knopfkönig“ unternahmen sie mehrere gemeinsame Reisen nach Paris. Darüber hinaus hat Kupka für Waldes‘ Fabrik Koh-i-Noor das berühmtes Logo entworfen: ein Mädchenantlitz mit einem Druckknopf im Auge.
Neben den weltberühmten abstrakten Bildern stellt sich Kupka in Prag auch als ein genialer Buchillustrator und aufgeweckter Zeitschriftenkarikaturist vor. „Die Originalität von Kupkas Werk beruht nicht nur auf der Ablehnung einer traditionellen Darstellung. Seine Wurzeln sind im Wiener Symbolismus zu suchen, der das geistige und philosophische Erbe Mitteleuropas bereicherte. Das alles verband Kupka mit seinem Interesse für die neusten wissenschaftlichen Entdeckungen, dem Studium des Kosmos und nicht zuletzt auch mit der Beobachtung von Naturgesetzlichkeit und organischer Welt“, betont die Kuratorin.
Zur Ausstellung erschien ein reich illustrierter Katalog mit tschechischen und englischen Texten von Kunsthistorikern aus Tschechien und dem Ausland. Darüber hinaus bietet die Ausstellung ein vielfältiges Begleitprogramm mit kommentierten Führungen, Vortragszyklen und zahlreichen Aktivitäten für Studenten, Schulkinder sowie Familien mit Kindern.
František Kupka (1871-1957), Wallenstein-Reithalle (Valdštejnská jízdárna) der Nationalgalerie in Prag, www.ngprague.cz, bis zum 20. Januar 2019.
František Kupka kam am 27. September 1871 in der ostböhmischen Stadt Opočno (Opotschno) in der Familie eines Notarangestellten zur Welt. Er absolvierte die Prager und später auch die Wiener Akademie. Im Jahre 1895 erhielt er ein Stipendium für die École des Beaus-Arts in Paris, wo er sich zeitlebens niederließ. Das politische und kulturelle Geschehen in seiner Heimat verfolgte er trotzdem weiter. Anfang des Ersten Weltkrieges meldete er sich freiwillig, an der Front wurde er verletzt. Bis zu seinem Tod 1957 beteiligte er sich rege an den Ausstellungen des Salons des Réalités Nouvelles, der bis Ende der 1950er Jahre als eine der wichtigsten internationalen Bühnen für Vertreter der geometrisch-abstrakten Kunst galt. Zu Lebzeiten hatte Kupka nur drei größere Ausstellungen in der französischen Hauptstadt – die letzte 1936 gemeinsam mit seinem Landsmann Alfons Mucha. Erst ein Jahr nach seinem Tod 1958 erwies das Gastland die dem Maler gebührende Ehre: Das Pariser Musée National d’Art Moderne stellte eine Retrospektive seines Schaffens zusammen. Nicht ohne Lohn: Kupkas Witwe schenkte dem Museum 140 Werke des Verstorbenen aus seinem Atelier in Puteaux. In seinem Heimatland wurde Kupka Jahrzehnte lang wenig beachtet. Die Prager Ausstellung von 1946 kuratierte er selbst und verfasste auch seinen Lebenslauf für den Katalog. Heute brechen seine Gemälde in Tschechien Auktionsrekorde. Vor zwei Jahren wurde sein Gemälde „Série C I.“ von 1935 für 62 Millionen Kronen versteigert. Eine bedeutende Sammlung von Kupkas Werken besitzt das Museum Kampa in Prag. (ldr)