Im Gegensatz zu vielen anderen westlichen wie östlichen Metropolen versank man in der Prager U-Bahn in der Vergangenheit in einem großen Funkloch. Das soll sich nun ändern.
Auf dem Weg zur Arbeit schon mal schnell in die Mails schauen, die neusten Nachrichten checken oder in den Lieblingspodcast reinhören… Smartphones – nicht mehr Bücher – bestimmen heute das Bild in öffentlichen Verkehrsmitteln überall auf der Welt. Im digitalen Zeitalter existiert eigentlich nur noch derjenige wirklich, der den Großteil seiner Lebenszeit im Netz verbringt. Wäre René Descartes ein Kind des 21. Jahrhunderts gewesen, hätte er wohl getwittert: „Ich bin #online, also bin ich!“ Aber in Prag? Wer, einmal in die Tiefen der Prager Metro entschwand, verschwand gleichzeitig auch von der Bildfläche der digitalen Existenz. Man war offline: nicht verbunden, nicht erreichbar, verloren. Jedenfalls war das bis vor Kurzem so.
Kein Phantomvibrieren mehr
Wer es sich in den vergangenen Wochen und Monaten leisten konnte, von zuhause zu arbeiten, und nun seit langer, langer Zeit wieder einmal den Weg zur Arbeit mit der U-Bahn antrat, der wunderte sich. Als man sich gerade gedanklich in das eigens für die Metrofahrt mitgebrachte Buch versenkt hatte, vibrierte das Smartphone in der Hosentasche, erst einmal, dann zweimal. Beim ersten Mal konnte man es noch als „Phantomvibrieren“ abtun: So wird die in der Medizin als „Phantom-Vibrations-Syndrom“ bekannte irrtümliche Vorstellung, dass der Vibrationsalarm ausgelöst worden wäre, bezeichnet. Vor allem könne laut medizinischen Studien das Phänomen dann auftreten, wenn das menschliche Gehirn das Mobiltelefon nicht mehr als Fremdkörper, sondern durch die alltägliche Nutzung fast rund um die Uhr als fest verwachsenen Bestandteil des Körpers hält. Andere Reize, wie z. B. Muskelzuckungen, können dann irrtümlich für das Vibrieren des Smartphones gehalten werden… Aber zurück in die Metro. Ein zweites Vibrieren in der Hosentasche machte bewusst: Kein Phantom, sondern die neuste Corona-Eilmeldung auf dem Smartphone! Ab April wurden nämlich weitere Prager Metrostationen von den Mobilfunkbetreibern Telekom, O2 und Vodafone in Zusammenarbeit mit dem Infrastrukturunternehmen CETIN an das LTE-Mobilfunknetz angeschlossen. Bis spätestens Ende 2022 soll schnelles Internet dann an allen Prager Metrostationen verfügbar sein. Willkommen in der Zukunft!
Die Station Staroměstská gehört zu denjenigen, an denen auch bald mobiles Internet verfügbar sein soll. Foto: Manuel Rommel
Sprung aus der digitalen Steinzeit in die postmoderne Datenära
„Wir beschleunigen die Einführung von Mobilfunk in der Metro. Prag hat das in der Vergangenheit verschlafen und wir wollen so schnell wie möglich aufholen“, gab Jan Čižinský (Praha sobě) vom Prager Magistrat vergangenen Herbst bekannt, als die ersten Stationen auf den Linien A und C mit der entsprechenden Technik ausgestattet wurden. Bis März 2020 sollten nach dem ursprünglichen Plan 16 weitere Stationen an die digitale Datenautobahn angeschlossen werden, dieser Plan hat sich durch die Corona-Krise und deren Auswirkungen aber nach hinten verschoben. Im April ging dann jedoch der Abschnitt zwischen den Stationen Křižíkova und Invalidovna auf der Linie B testweise ans Netz. Bis Ende Juni sollen nun auch der Abschnitt auf der Linie A zwischen Muzeum und Dejvicka, die Abschnitte zwischen Florenc und Českomoravská sowie zwischen Smíchovské nádraží und Anděl auf der Linie B Zugang zu schnellem Internet bekommen. Bis zum Ende des Sommers könnten somit 30 Stationen und die Abschnitte dazwischen – vor allem im innerstädtischen Bereich – den Sprung aus der digitalen Steinzeit in die postmoderne Datenära schaffen. Als Sahnebonbon – nicht nur für „digitale Nomaden“ – steht nun auch an sechs Stationen selbst kostenloses WLAN zur Verfügung, welches die in Prag ohnehin kurze Wartezeit auf die nächste Bahn noch schneller vergehen lässt. Dazu gehören u.a. die stark frequentierten Stationen Florenc, Náměstí Republiky, Hlavní nádraží oder Muzeum.
Zeit zur digitalen Entgiftung
Die anfängliche Freude kann aber auch schnell wieder verfliegen. In Zeiten von Corona kommen die Push-Nachrichten fast schon im Minutentakt auf das Smartphone und Twitter steht sowieso nie still. Da könnte man fast schon wieder nostalgisch werden. Eine Fahrt mit der Prager Metro war doch im Grunde eine gute Gelegenheit zur „digitalen Entgiftung“. Übrigens: Während in der Prager Metro die mittlerweile in die Jahre gekommene LTE-Technik verbaut wird, testet Tschechien in fünf ausgewählten Städten das 5G-Netz. Bis das eines Tages in die Prager Metro kommt, wird aber vermutlich noch viel Wasser die Moldau hinabfließen.