Die berühmte Wiener Küche ist voll von böhmischen Spuren: Das weltbekannte Wiener Schnitzel soll auf den ruhmreichen Feldmarschall Radetzky zurückgehen, der die Speise in Italien entdeckte. Aber auch die Powidltatschkerln haben es in Wien zu Berühmtheit gebracht.
Wien gehörte seinerzeit neben Prag und Chicago zu den größten tschechischen Städten – davon zeugen z.B. die Herren Lacina oder Novotny im Wiener Telefonbuch. Über einen Novotny sang auch der „österreichische Karel Gott“ – Peter Alexander, der Titel lautete: Das hat schon der alte Novotny gesagt … Man sieht, dass man auch in Wien Anerkennung für die Weisheit der alten Böhmen fand.
Westwärts von uns mehren sich Fälle, in denen historische Persönlichkeiten, die dem heutigen Anspruch an politische Korrektheit nicht mehr gerecht werden, vom Sockel gestürzt oder mit Schmähaufschriften versehen werden.
Es gibt aber auch umgekehrte Beispiele. Dazu gehört die Rückkehr der Mariensäule auf den Prager Altstadtring, sowie die Möglichkeit, dass auch die Statue des k.u.k. Feldmarschalls Joseph Radetzky auf den Prager Kleinseitner Ring zurückkehrt.
Der Marschall in Mailand
Um die Entstehung bzw. „Erfindung“ des Wiener Schnitzels ranken sich mehrere Legenden. Eine der populärsten bringt den Feldmarschall mit diesem österreichischen Kulturgut in Verbindung. Der Feldmarschall – der volle Name des böhmischen Adeligen lautet Johann Joseph Wenzel Anton Franz Karl Graf Radetzky von Radetz – bzw. seine Statue „herrschte“ auf dem Kleinseitner Ring von 1858 bis 1919, also mehr als 60 Jahre.
Johann Joseph Wenzel Anton Franz Karl Graf Radetzky von Radetz. Foto: Wikimedia Commons (gemeinfrei)
Für seine militärischen Erfolge spricht die Tatsache, dass er als Stabschef während der Völkerschlacht bei Leipzig im Jahre 1813 so erfolgreich agierte, dass Napoleon dort eine empfindliche Schlappe hinnehmen musste. Als er seine militärische Karriere beendete, wurde er 1849 zum Generalgouverneur des lombardisch-venezianischen Königreichs mit Sitz in Mailand ernannt. Zu dieser Zeit schrieb Johann Strauss zu seinen Ehren den berühmten Radetzkymarsch.
„La cotolleta alla milanese“ und das Wiener Schnitzel
Der Marschall soll ein Freund der guten Küche und des reich gedeckten Tisches gewesen sein. So ist es nicht verwunderlich, dass er sich für die lokale Spezialität „cotolleta alla milanese“ (Mailänder Kotelett), die er im Hotel Danieli in Venedig vorgesetzt bekam, begeisterte. Bei der Zubereitung wird Kalbsfleisch erst in Ei gewendet und dann mit einer Semmelbrösel-Parmesan-Mischung paniert.
Radetzky war nicht nur ein großer Heerführer, sondern auch ein loyaler Bürger, der seinem Kaiser Franz Joseph I. nur das Beste wünschte. Daher lag ihm daran, dass auch der Kaiser in den Genuss dieser Delikatesse komme und schickte das Rezept an die Wiener Hofküche. Hier hatte man jedoch keinen Parmesan parat und ließ die Zutat weg, es reichten Semmelbrösel, Ei und Mehl. Das Ergebnis: Das Wiener Schnitzel war geboren.
Später brachte Radetzky aus seiner italienischen Mission auch den Parmesan mit. Als er aber sah, dass dem Kaiser das Schnitzel auch ohne Parmesan schmeckte, ließ er es dabei bewenden und den Koch das Schnitzel auf seine Weise zubereiten, die Wiener Art. Das originale Wiener Schnitzel muss aus Kalbsfleisch sein. In Tschechien wird oft Schweinefleisch verwendet, beliebt sind auch Geflügelschnitzel. In Wien wird zum traditionellen Schnitzel der leichte „Erdäpfelsalat“ ohne Mayonnaise serviert.
Das beste Wiener Schnitzel im Automat WELT
Der Journalist Tobias Müller schreibt in der Wiener Tageszeitung „Der Standard“ über das beste Wiener Schnitzel ohne die übliche Sentimentalität. Er empfiehlt ein eher unscheinbares Lokal in der Leopoldstadt im zweiten Bezirk mit dem Prager Namen „Automat Welt“ (Automat Svět). Für die Zubereitung des Schnitzels sind hier der bayerische Koch Stefan und die Köchin Denise aus Vorarlberg mit vietnamesischen Wurzeln verantwortlich. Das Lokal befindet sich im ehemals jüdischen, heute eher afro-türkischen Viertel am Volkertplatz.
Hrabal-Bewunderer
Der Mitinhaber des Gasthauses, Georg Aichmayer, ist ein Bewunderer des berühmten tschechischen Schriftstellers Bohumil Hrabal. Im Jahre 1991 reiste er nach Tschechien, um sich die Lokale anzusehen, die Hrabal in seinen Büchern erwähnt. Eines der wichtigsten, das „Automat Svět“ im Prager Viertel Libeň, konnte Aichmayer nicht finden. Er sagte sich: „Warum sollte ich das Lokal nicht in Wien neu eröffnen?“ Gesagt, getan – im Jahre 2015 wurde das Gasthaus eröffnet. Im Retro-Stil, mit Billardtischen und Bücherregalen, die mit Hrabal- und Kafka-Lektüre gefüllt sind. „Hrabal wäre bestimmt Stammgast“, so die einstimmige Meinung vieler Gäste.
Einen großen Anteil am Erfolg der „Welt-Schnitzel“ hat Martin Neumann, der Mitbesitzer. Dieser besteht nämlich seit der Eröffnung auf zwei wesentlichen Dingen: Erstens, dass das Fleisch für die Schnitzel nur vom Besten ist; zweitens, dass die Schnitzel ausschließlich in Butterschmalz in der Pfanne gebacken werden. Mit etwas Wiener Sarkasmus bemerkt Journalist Müller: „Nach dem Untergang des Habsburger Reiches erschien eine Flut an Kochbüchern über die Wiener Küche und ihren angeblichen Weltruhm – wenn es schon kein großes Reich mehr gab, sollte es zumindest noch eine große Küche geben.“
Buchteln, Kolatschen und Liwanzen
Buchtel, Kolatschen und ein Macaron Foto: Milan Faltus
Jedes Land oder Region der Monarchie hat sein Scherflein zur Wiener Küche beigetragen. Die Ungarn bereicherten die Wiener Küche insbesondere mit ihrem Gulasch. Das Ragout genießt weltweite Popularität und wurde auch zum politologischen Begriff in der Verbindung „Gulaschkommunismus“. Damit wurde die „light“ Version des Kommunismus in Ungarn unter János Kadar in den sechziger und siebziger Jahren bezeichnet.
Buchteln, Kolatschen und Liwanzen findet man nicht in den politologischen Handbüchern, aber in der Sprache. Die Kolatschen beispielsweise sind in der populären tschechischen Redewendung „Bez práce nejsou koláče!“ („Ohne Arbeit gibt es keine Kolatschen!“) anzutreffen, die darauf aufmerksam macht, dass einem (normalerweise) keine gebratenen Tauben in den Mund fliegen.
Intimes Verhältnis
Besonders Buchteln sind in Wien heimisch geworden und zeugen von einem gewissen intimen Verhältnis, das die Wiener mit den böhmischen Desserts pflegen. Dafür spricht ebenfalls die Tatsache, dass alle drei kulinarischen Spezialitäten im Wiener Deutsch dem tschechischen Original sehr ähneln: Buchteln (buchty), Kolatschen (koláče), Liwanzen (lívance).
Anfang des 19. Jahrhunderts waren in den Küchen der Wiener Bürgerhäuser viele böhmische und mährische Köchinnen tätig, die sich besonders durch Mehlspeisen und Desserts auszeichneten. Die Buchteln sind einer der klassischen Beiträge der böhmischen Küche und in Wien wahrscheinlich seit der Biedermeierzeit bekannt. Sie gelten heute als Inbegriff des Wiener Kaffeehausgebäcks. Sie wurden zunächst aus dunklem, grob gemahlenem Roggenmehl, später aus Weizenmehl hergestellt. Traditionell wurden sie mit Powidl (Zwetschgenmousse) oder Marillenmarmelade gefüllt. Heute werden sie oft mit Mohn und Quark gefüllt.
Eine geschäftstüchtige Idee hatte der Wirt M. Nebenhey beim Agnesbründl am Hermannkogel im Wienerwald. Seine Spezialität waren die sogenannten „Ternobuchteln“. Der Wirt begann in Buchteln „Glücksnummern“ für das Zahlenlotto „Terno“ einzubacken. Diese „Ternobuchteln“ waren vor allem bei den Wienern beliebt, die alljährlich am Agnestag (21. Januar) und dem Tag Johannis Enthauptung (29. August) auf den Hermannskogel pilgerten.
Powidltatschkerln aus der schönen Tschechoslowakei
Powidltatschkerln aus Prag-Karlín. Foto: Milan Faltus
Beinahe hätten wir die Powidltatschkerln (oder Powidltascherln, Powidltaschgerl = povidlové taštičky) vergessen. In Wien und anderswo waren sie so populär, dass sie der Wiener Komponist und „Klavierhumorist“ Hermann Leopoldi, die österreichische Radio- und TV-Legende Heinz Conrads und auch der DDR-Entertainer und gebürtige Brünner Lutz Jahoda besungen haben (im Lied singt man über die „Powidltatschkerln aus der schönen Tschechoslowakei“). Die Powidltatschkerln haben es so weit gebracht, dass es im Liedtext heißt: „doch das beste kommt entschieden aus dem Land der Przemysliden, alles andre ist dagegen nichts“.
Rakvička – Särgchen. Foto: Milan Faltus
Die tschechische Spezialität „rakvička“ (Särgchen) hat es nicht in die Hitparade der Wiener Desserts geschafft, obwohl sie schon seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekannt ist und als tschechischer Klassiker bezeichnet wird. Die rakvička ist oft Quelle schwarzen Humors, obwohl es wohl nur ihre Form ist, die an die letzte Ruhestätte vieler Menschen erinnert.