Auf der Zugreise von Berlin nach Prag sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Pendlern und Aktivisten über die deutsch-tschechischen Grenzschließungen während der Corona-Pandemie. Mit dabei war auch der Aussiger Germanist Jan Kvapil (links im Bild), Mitbegründer von "Samstage für die Nachbarschaft". Foto: ČTK/DPA/Bernd von Jutrczenka

Jan Kvapil traf sich zu einer Gesprächsrunde mit dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Der Germanist und Aktivist aus Aussig schreibt für das LandesEcho von seinen Eindrücken und Erlebnissen dieses besonderen Tages.

Dieser Mittwoch war aus Sicht der Bürgerinitiative „Samstage für Nachbarschaft“, in deren Rahmen wir im vergangenen Jahr eine Reihe von nachbarschaftlichen Treffen entlang der tschechisch-deutschen Grenze organisierten, ein sehr interessanter Tag. Wir hatten die Gelegenheit, den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier während seiner Zugfahrt zum Staatsbesuch in der Tschechischen Republik zu begleiten und mit ihm zu sprechen. Eingeladen wurde ich, weil ich als Mitbegründer der Initiative und als deren inoffizieller Sprecher eine ihrer sichtbarsten Persönlichkeiten bin. In den folgenden Zeilen gebe ich meine Eindrücke und Erfahrungen wieder.

Eine symbolträchtige Reise

Wer die Reise des Bundespräsidenten in die Tschechische Republik näher betrachtet, bemerkt sofort den durchdachten Einsatz symbolischer Gesten. Dadurch unterstreicht er seine Stellung innerhalb des deutschen parlamentarischen Systems, in dem der Bundespräsident eine eher symbolische und zeremonielle Rolle einnimmt. Das war auch bei diesem Treffen der Fall. Frank-Walter Steinmeier traf sich mit Menschen, die direkt mit den geschlossenen Grenzen konfrontiert waren, und zwar genau zum Zeitpunkt des Überschreitens der Grenze.

Der deutsche Bundespräsident reiste mit seinem Gefolge im normalen Linienverkehr von Berlin nach Prag. Das Betreten des Zuges in Dresden verlief sehr zivil, nur zwei Gruppen von Polizisten auf dem Bahnsteig wiesen darauf hin, dass es sich nicht um eine gewöhnliche Reise handelte. Der Präsident und seine Gattin verbrachten die meiste Zeit der Reise im Speisewagen, während sich sein ziemlich großes Gefolge unter den normalen Fahrgästen im Zug verteilte. Es gab allerdings auch Hinweise darauf, dass es sich bei dieser Reise um eine außergewöhnliche Fahrt handelte. Neben den anwesenden Polizisten waren Namensschilder allgegenwärtig und die Corona-Schutzmaßnahmen wurden strikt eingehalten, was bei normalen Reisen nicht immer der Fall ist.

Die Begegnung im Speisewagen fand mit einer bunten Gruppe an Teilnehmern statt: Neben dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und seiner Frau Elke Büdenbender war Katja Meier, die sächsische Staatsministerin für Justiz und Demokratie sowie Europa und Gleichstellung zugegen. Außerdem waren Zuzana Vintrová, die Vorsitzende des Verbandes der Pendler der Tschechischen Republik, Richard Brunner, der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Regensburg, und schließlich ich selbst anwesend.

Ein Spitzenpolitiker, der zuhört

Das Treffen zwischen Bad Schandau und Aussig (Ústí nad Labem) fand in einer angenehmen und entspannten Atmosphäre statt. Der Bundespräsident hörte zu, war einfühlsam, hilfsbereit. Er hatte also eben jene Eigenschaften, die ich an Spitzenpolitikern schätze. Er interessierte sich für persönliche Geschichten und Erfahrungen im Zusammenhang mit der geschlossenen Grenze. Durch die Zusammensetzung unserer Gruppe waren die Herausforderungen für die Pendler und die wirtschaftlichen Folgen der Grenzschließungen Ausgangspunkt des Gesprächs. Doch nach und nach wurde die Diskussion auf andere Themen ausgeweitet. Wir sprachen über die Notwendigkeit, die Bildung zu fördern und die Rolle der direkten, nachbarschaftlichen und grenzüberschreitenden Beziehungen in den betroffenen Grenzregionen. Auch die verdienstvolle Rolle der Euroregionen wurde erwähnt.

Den größten Raum nahmen die Folgen der Grenzschließungen für Unternehmen und Pendler ein. Wir weiteten das Gespräch schnell auf die menschlichen Aspekte, wie etwa getrennte Familien, aus. Besonders die Einschränkungen der Partnerschaften und Nachbarschaften von Gemeinden, Vereinen und Schulen führten zu einer Verschärfung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme in den tschechischen und deutschen Grenzregionen.

Der Blick muss sich auch nach vorne richten

Natürlich wurde auch die Frage nach der Zukunft gestellt. Interessant war, dass vor allem Richard Brunner und Katja Maier lobten, wie toll die Zusammenarbeit mit der tschechischen Seite gewesen sei. Ich wies schließlich diplomatisch darauf hin, dass es aus der Sicht eines Bürgers keine solche Idylle war. Meiner Ansicht nach kann das gesamte Pandemiejahr als ein Versagen der Nationalstaaten angesehen werden. In Zukunft ist es wichtig, globale Herausforderungen besser zu koordinieren, zum Beispiel auf europäischer Ebene. Katja Meier äußerte den Wunsch, die neu geschaffenen Kommunikationskanäle zwischen Sachsen, Bayern und der Tschechischen Republik aufrechtzuerhalten. Diese sollten auf jene grenzüberschreitenden oder globalen Themen ausgeweitet werden, die zweifellos zu den Herausforderungen der kommenden Jahre gehören. Am Ende unseres Treffens konnte ich den Bundespräsidenten und seine Frau im Namen unserer Bürgerinitiative in das Grenzgebiet einladen, um die lebendige Nachbarschaft zu erleben.

Ein Tropfen auf den heißen Stein?

Ich mache mir keine Illusionen, dieses Treffen war sicherlich kein weltbewegendes Ereignis. Unser Gespräch war geprägt von Symbolen und Signalen, wie es in der Politik nun mal üblich ist. Deshalb war es erfreulich zu hören, dass der deutsche Bundespräsident auf der Pressekonferenz am Donnerstag mit dem tschechischen Präsident Zeman offen über unser Zugtreffen gesprochen hat. Seine Aussage, dass die Grenze in Zukunft nicht geschlossen werden soll, ist natürlich mit Vorsicht zu genießen – gerade mit Blick auf die Rolle des Bundespräsidenten im deutschen politischen System, aber auch auf die Unvorhersehbarkeit der kommenden Entwicklungen. Seine Äußerungen kann man aber gleichzeitig auch als Spiegelbild der aktuellen offiziellen Außenpolitik unseres größten Nachbarn und als Signal dafür sehen, dass das Schicksal der Menschen, die unmittelbar an der Grenze leben, der deutschen Politik nicht völlig gleichgültig ist.

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