Teilnehmer aus Politik und Gesellschaft diskutierten beim 30. Brünner Symposium der Ackermann-Gemeinde und der Bernard-Bolzano-Gesellschaft „Dialog in der Mitte Europas“ über Herausforderungen der Klimakrise.

Zwei Jahre konnte das Brünner Symposium „Dialog in der Mitte Europas“ wegen der Corona-Pandemie nicht in Präsenz stattfinden. Die Organisatoren, die Ackermann-Gemeinde und die Bernard-Bolzano-Gesellschaft, nutzten den Neustart, um nach zwei Jahren Coronakrise an die Klimakrise zu erinnern, die durch die Pandemie, wie das Symposium selbst, in den Hintergrund gedrängt wurde. Das Thema „Verantwortung übernehmen. Die Wohlstandsgesellschaft am Rande der Klimakrise“ bestimmte am Palmsonntagswochenende Mitte April die deutsch-tschechisch-slowakischen Debatten in einem immer noch coronabedingt kleineren Format, dafür aber endlich wieder in Präsenz. Vor dem Hintergrund, bis 2030 die weltweiten Emissionen an Treibhausgasen zu halbieren, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, diskutierten die Teilnehmer aus Politik und Gesellschaft, wie der Wandel zu einer grünen und emissionslosen Zukunft gelingen kann, ohne dass auf dem Weg dahin Wohlstand oder Demokratie verlorengehen.

Der Ukraine-Krieg als Katalysator

„Es ist wieder Krieg in Europa.“ Schwer wogen die Worte, mit denen Martin Kastler, Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde, das Jubiläumssymposium eröffnete. Die Veranstalter hatten bei ihrer Planung der Konferenz natürlich nicht wissen können, dass am 24. Februar die russische Armee in die Ukraine einmarschieren würde. Manch einem könne es deshalb gar als „Luxus“ erscheinen, in diesen Zeiten über Fragen des Klimaschutzes und der Umwelt zu diskutieren, wie Matěj Špurný, Vorsitzender der Bolzano-Gesellschaft, in den Raum stellte. Doch ist es viel mehr so, dass der Krieg in der Ukraine die Abhängigkeit Europas von fossilen Energieträgern auf eine dramatische Weise offenlegte und die gesamte europäische Energiepolitik der letzten Jahrzehnte in Frage stellte. Die Fragen der Klimakrise und der durch sie notwendigen Energiewende drängen mehr als zuvor. Die Notwendigkeit einer Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas und einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Klimakrise, der Dekarbonisierung und dem Krieg in der Ukraine unterstrich zur Eröffnung der Konferenz auch der tschechische Außenminister Jan Lipavský, der als erster amtierender Außenminister Tschechiens beim Brünner Symposium anwesend war.

Einen interessanten Einstieg in das debattenreiche Wochenende boten am Freitagabend Anna Šabatová, Bürgerrechtlerin und Mitunterzeichnerin der Charta 77, und der Theologe Peter Schallenberg. Während Šabatová aus einem ganz praktischen Zugang und aus ihren Erfahrungen heraus berichtete, wie Menschen Verantwortung übernehmen und rigide gesellschaftliche oder auch politische Strukturen überwinden können, beleuchtete Schallenberg theoretische, religionsphilosophische Aspekte des Klimaschutzes, ein in der breiten gesellschaftlichen Debatte wohl eher unkonventioneller Zugang zum Thema. So habe das in Europa verbreitete ökologische Bewusstsein auch Wurzeln in der christlichen Tradition und Moralvorstellung.

Wie konnten wir in diese Krise geraten?

Bereits seit den 1970er Jahren ist mit den Veröffentlichungen des Club of Rome der Klimawandel einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Dennoch stiegen die jährlichen Emissionen an Treibhausgasen in den folgenden Jahrzehnten weiter an. 2019 erreichte der weltweite CO2-Ausstoß mit 36,7 Millionen Tonnen einen Höhepunkt. Wie konnte das passieren? Laut dem Biologen Stefan Einsiedel von der Hochschule für Philosophie in München müsse man unterscheiden zwischen Schuld und Verantwortung. Begebe man sich auf die Suche nach der Schuld, so machten sich die 17 Milliarden Menschen, die seit dem Beginn der Industrialisierung auf der Erde gelebt haben, tatverdächtig. Von ihnen leben heute acht Milliarden, von denen etwa zehn Prozent die meisten Emissionen verursachen. Eine besondere Verantwortung komme laut Einsiedel also dem wohlhabenderen Teil der Weltgemeinschaft zu, der am meisten konsumiert. Seit zwei Jahren sind die weltweiten Emissionen rückläufig, was aber vor allem an den globalen Auswirkungen der Corona-Pandemie liegen dürfte.

Keine besonders positive Bilanz der Klimapolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte zog auch Klára Belíčková vom tschechischen Ableger der Jugend-Klimabewegung „Fridays for Future“. „Die Daten zum Klimawandel waren schon lange verfügbar. Trotzdem hat man den Weg des Wohlstands gewählt“, so ihr Vorwurf, der sich zu Teilen auch an die Umweltminister Tschechiens (Anna Hubáčková) und der Slowakei (Ján Budaj) gerichtet haben dürfte, die bei der Diskussion am Samstagvormittag anwesend waren.: „Ich nehme die Kritik der Jugend an“, räumte Hubáčková ein und kündigte an, mehr in Richtung Klimaschutz unternehmen zu wollen. Die tschechische Regierung, die seit letztem Herbst im Amt ist, plant einen Ausstieg aus der Kohle bis 2033 und räumt dem Klimaschutz eine tendenziell höhere Priorität ein als die vorangegangene Babiš-Regierung. Dabei setzt Tschechien im Gegensatz zu Deutschland aber stark auf die Kernenergie und plant sogar den Bau neuer Reaktoren. Auch Hubáčkovás Amtskollege aus der Slowakei, Ján Budaj, räumte ein, dass die aktuelle Krise durch den Menschen künstlich herbeigeführt wurde und es kein ewiges Wachstum geben kann. Anders als Tschechien möchte die Slowakei schon bis Mitte des Jahrzehnts aus der Kohle aussteigen, setzt dabei aber ähnlich wie Tschechien auf den Ausbau der Kernenergie.

Jan Konvalinka von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften nahm die Politik in Schutz: „Die Lösungen sind sehr kompliziert und viele Maßnahmen unpopulär“, so der Biochemiker. Nicht zuletzt müssten auch die großen Treibhausgasemissionäre mitmachen, etwa Indien oder China.

Kann die Politik die Klimakrise lösen?

Einig sind sich Deutschland und Tschechien darüber, dass der Ausstoß von Treibhausgasen in den nächsten Jahren drastisch reduziert werden muss, um die Erderwärmung abzubremsen. Strittig ist der Weg, wie das erreicht werden soll. „Unverzichtbar ist eine deutlichere Besteuerung von CO2. Das Problem ist, dass die Kosten sehr hoch sind, alle Menschen treffen und zu extremen Einschränkungen führen können“, warnte Stefan Einsiedel und schlug vor: „Es muss Geld für den sozialen Ausgleich ausgegeben werden.“ Wer nimmt also die Verantwortung für teils unpopuläre Maßnahmen auf sich? Reicht es, wenn alle ihr Verhalten und privaten Konsum ändern? „Ich sehe die Verantwortung bei uns Politikern“, meint Jürgen Mistol, der als bayerischer Landtagsabgeordneter für das Bündnis 90/ Die Grünen für die Zusammenarbeit des Bayerischen Landtags mit dem tschechischen Abgeordnetenhaus zuständig ist. Laut Mistol könne keine Krise von Einzelnen gelöst werden, am Ende entscheide immer die Politik, auch wenn politische Lösungen im Zusammenspiel mit der Zivilgesellschaft ausgehandelt würden. Einen interessanten Vorschlag brachte an dieser Stelle Einsiedel in die Debatte. Man solle darüber nachdenken, Institutionen zu schaffen, die einen Teil der Verantwortung der Politik, etwa für Energie-Preise, übernehmen könnten, z. B. eine zentrale „CO2-Bank“.

Letztendlich liegen viele Lösungsvorschläge bereits auf dem Tisch, auch technische Lösungen sind bekannt oder in Entwicklung, etwa Anlagen zum Filtern größerer Mengen Kohlenstoffdioxid aus der Luft und deren anschließende unterirdische Einlagerung. „Man muss es nur umsetzen“, mahnte Wissenschaftler Konvalinka.

Wo bleibt die Demokratie?

Die Klimakrise macht umfassende und tiefgreifende Maßnahmen nötig, die unser aller Leben betreffen, und das in absehbar kurzer Zeit. Hier stellt sich die Frage nach der demokratischen Legitimation. Nicht zuletzt liegt die Macht, etwas nachhaltig zu verändern, bei den Wählern, wie der slowakische Umweltminister Budaj zurecht bemerkte. Was aber, wenn es gar kein entsprechendes politisches Angebot gibt? Anders als in Deutschland sind die Grünen in Tschechien eine Splitterpartei. Etwaige linke Kräfte, die besonders auf die sozialen Aspekte bei der Klimapolitik achten könnten, sind darüber hinaus derzeit nicht im tschechischen Parlament vertreten. Umso wichtiger erscheint es, dass von der Zivilgesellschaft ein außerparlamentarischer Druck auf die Klimapolitik ausgeht. „Fridays for Future“ ist ein gutes Beispiel. Als hilfreich erwies sich an dieser Stelle die Diskussion zwischen dem Medienwissenschaftler sowie Sozial- und Kulturökologen Arnošt Novák und dem stellvertretenden Brünner Bürgermeister Petr Hladík über das Verhältnis zwischen Politik und Bürgergesellschaft am Sonntagvormittag.

Die Konferenz konnte naturgemäß nicht alle Fragen beantworten. Wie lässt sich die Klimapolitik sozial verträglich gestalten? Wie können die nationalen Wege bei der Energiewende in einem geeinten Europa aufgehen? Mit ihrem Brünner Symposium haben die Ackermann-Gemeinde und die Bernard-Bolzano-Gesellschaft aber auf ein Neues bewiesen, dass ihr „Dialog in der Mitte Europas“ funktioniert: Der Dialog zwischen Deutschland und Tschechien, aber auch der Dialog zwischen verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Akteuren.

{gallery}2022/Gesellschaft/Ackermann_Symposium{/gallery}

Werden Sie noch heute LandesECHO-Leser.

Mit einem Abo des LandesECHO sind Sie immer auf dem Laufenden, was sich in den deutsch-tschechischen Beziehungen tut - in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur. Sie unterstützen eine unabhängige, nichtkommerzielle und meinungsfreudige Zeitschrift. Außerdem erfahren Sie mehr über die deutsche Minderheit, ihre Geschichte und ihr Leben in der Tschechischen Republik. Für weitere Informationen klicken Sie hier.