Hans Dieter Korbel. Foto: Manuel Rommel

Kurz nach der Samtenen Revolution gründete sich mit dem Verband der Deutschen in der Tschechoslowakei ein neuer Dachverband der deutschen Minderheit. 1992 entstand daraus die heutige Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik. Ehemalige Präsidenten, die auch schon damals dabei waren, erinnern sich zurück. In unserem ersten Teil lesen Sie die Erinnerungen von Hans Dieter Korbel aus Troppau, der zwischen 1998 und 2001 Präsident der Landesversammlung war.

Mein ganzes Leben, mit Ausnahme der zwei Jahre des Militärdienstes, lebe ich in Troppau und bis 1990 hatte ich davon, dass es eine Organisation der Deutschen im Lande gibt, keine Ahnung. In unserem damaligen Nordmährischen Bezirk gab es eine Organisation der Polen, auch der Griechen. Aber eine Organisation der Deutschen? So war es bei mir bis zur politischen Wende in unserem Lande.

Irgendwann im Jahr 1990 bekam ich zufällig eine deutschsprachige Zeitung, in die Hände. Es war die Deutsche Zeitung, die vom Verband der Deutschen in der Tschechoslowakei herausgegeben wurde. Aus ihr erfuhr ich, dass es in Prag einen Verein der Deutschen in der Tschechoslowakei gibt, der alle im Land lebenden Deutschen einlädt, sich zu bewerben. Da ich damals kaum deutsch sprechen konnte, habe ich mich auf Tschechisch angemeldet. Und da sich auch andere Deutsche aus Troppau bewarben, wurde uns geraten, eine eigene Organisation der Deutschen in Troppau zu gründen. Das war die Grundlage unseres Vereins Troppau.

Als Vorsitzender des neugegründeten Vereines wurde ich nach Prag in den damaligen Sitz des Verbandes der Deutschen in der Tschechoslowakei, damals auf der Kotorská in Prag 4, eingeladen. Bei den Besprechungen ist die Frage einer Dachorganisation für alle deutschen Vereine entstanden. Es wurde entschieden, eine größere Zusammenkunft von Vertretern der Deutschen zusammenzurufen. Vom Verein der Deutschen, mit finanzieller Unterstützung der Sudetendeutschen Landsmannschaft, namentlich des damaligen Bundessekretärs Herrn Horst Löffler, wurde das Treffen im damaligen Kulturhaus der Eisenbahner in Prag am 9. Mai 1991 vorbereitet. Bei diesem Treffen wurde die Einrichtung eines Arbeitsgremiums vereinbart, das die Aufgabe hatte, die Gründung einer solchen Organisation vorzubereiten, die alle Organisationen der Deutschen in der gesamten Tschechoslowakei umfassen sollte. An dem Treffen nahmen auch Vertreter des Kulturverbandes der Bürger der deutschen Nationalität in der Tschechoslowakei sowie Vertreter der Karpatendeutschen aus der Slowakei teil.

Diese Versammlung kann als Vorläufer der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien angesehen werden. Der etablierte Arbeitskreis traf sich mehrfach, um nach Möglichkeiten zur Gründung eines Dachverbandes zu suchen. Bei all diesen Treffen waren immer auch Vertreter der Karpatendeutschen aus der Slowakei und des Kulturverbandes unter der Leitung seines Vorsitzenden Walter Sitte dabei. Es ist dabei aber darauf hinzuweisen, dass sie diese Verhandlungen gewissermaßen bremsten. Dennoch konnte in mehreren Sitzungen die Struktur des künftigen Dachverbandes vereinbart werden. Bei der Satzung dieses Dachverbandes ist man von den Erfahrungen der Sudetendeutschen Landsmannschaft ausgegangen. Offen blieben aber zwei Probleme – die Aufteilung der Mandate und der Name der zukünftigen Organisation.

Um diese Probleme zu lösen und Termin und Ort der konstituierenden Sitzung abzustimmen, wurde der Arbeitskreis vom Bundessekretär der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Horst Löffler, in die Bildungsstätte Heiligenhof Bad Kissingen eingeladen. Alle verbliebenen Probleme wurden bei der Sitzung an diesem Wochenende gelöst. Die endgültige Anzahl der Delegierten und die Verteilung der Mandate wurden vereinbart. Die Teilnehmenden einigten sich auf eine Verteilung der Mandate auf die einzelnen Regionen nach den Ergebnissen der Volkszählung von 1991. Lange diskutiert wurde der Name des Dachverbandes. Der Konsens war, dass sein Name alle in der Tschechoslowakei lebenden Deutschen umfassen sollte. Allerdings war bereits viel davon die Rede, dass der Staat geteilt und die Slowakei unabhängig werden würde. Am Ende einigten sich die Teilnehmer auf den Namen Versammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien, als Schlesien vom einzigen Vertreter Schlesiens in diesem Gremium auf den Namen gedrängt wurde. Auch der Ort der Gründungsversammlung wurde vereinbart, nämlich die Halle des Kolosseums in Reichenberg, und aufgrund der Terminmöglichkeiten des Veranstaltungsortes auch das Datum, nämlich der 7. November 1992. Außerdem wurde vereinbart, dass dieses Gremium zum letzten Mal am Vorabend der konstituierenden Sitzung in Reichenberg zusammentreffen sollte.

Unmittelbar vor der Sitzung dieses Arbeitskreises erschien der Generalsekretär des Kulturverbandes, Herr Bienert, und gab bekannt, dass der Vorstand des Kulturverbandes Walter Sitte vom Amt des Vorsitzenden abberufen habe und dass der Kulturverband mit dieser Organisation nicht kooperieren werde, weil sie sich zu sehr an der Sudetendeutschen Landsmannschaft orientiere, was der Kulturverband nicht befürwortet.

Am 7. November 1992 fand die Gründungsversammlung des neuen Verbandes als Dachverband aller deutschen Vereine in ganz Tschechien statt. Seine Satzung wurde genehmigt und seine Führung gewählt. Walter Piverka wurde zum ersten Sprecher der Landesversammlung der Deutschen gewählt und Hilda Sura zur ersten Präsidentin, obwohl sie überhaupt nicht kandidierte. Sie nahm die Wahl auch nicht an und so wurde Erwin Scholz der erste Präsident der Landesversammlung der Deutschen. Doch nach etwa einem halben Jahr trat er aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt zurück. Da sich inzwischen herausstellte, dass die Funktion des Sprechers irgendwie überflüssig ist, wurde diese Funktion aufgehoben und Walter Piverka wurde zum Präsidenten gewählt. Walter Piverka war für zwei Amtsperioden Präsident der Landesversammlung der Deutschen. Von 1998 bis 2001 war ich Präsident, gefolgt von Irene Kunc und dem jetzigen Präsidenten Martin Herbert Dzingel.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der LandesEcho-Oktober-Ausgabe 2022.

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