Die Studierenden während einer Diskussion mit der Autorin und Zeitzeugen. Von links: Zeitzeugin Mercedes Gröger, Autorin Kateřina Kovačková und die Projektkoordinatorin Monika Žárská. Foto: Liza Getta

Die deutsch-tschechischen Beziehungen nach 1945 bekommen von der jüngeren Generation immer mehr Aufmerksamkeit. Einen wichtigen Beitrag dazu leisten Bücher über Zeitzeugen wie Kateřina Kovačkovás „Böhmisches. Allzu Böhmisches? Verwischte Lebensbilder im Südwesten”. Studentinnen und Studenten übersetzen das Buch nun ins Tschechische.

Über 75 Jahre nach der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei scheint die Auseinandersetzung mit den deutsch-tschechischen Beziehungen in Tschechien lebendig zu sein. Vor allem unter jungen Leuten wächst das Interesse daran – was für die Aufarbeitung der Geschichte nicht unerheblich ist. Denn einerseits ist die Verarbeitung dieses dunklen Zeitabschnitts in der tschechischen Geschichte ein äußerst komplexes Phänomen, das über Generationen andauert. Und andererseits droht dieses Thema wegen der sinkenden Anzahl von Zeitzeugen in Vergessenheit zu geraten oder missinterpretiert zu werden.

Interviews mit Zeitzeugen

Einen großen Beitrag zur Aufklärung über dieses Kapitel der deutsch-tschechischen Vergangenheit leistet die Germanistin und Literaturwissenschaftlerin Kateřina Kovačková. In ihrem Buch „Böhmisches. Allzu Böhmisches? Verwischte Lebensbilder im Südwesten” hat sie die Geschichten von 20 Deutschen zusammengetragen, die in den Jahren 1945 und 1946 aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Die auf Interviews beruhenden Texte schildern die Beziehungen mit den Tschechen vor und nach dem Ende des Krieges, die Verarbeitung des Entfremdungsgefühls sowie die Bedeutung des Begriffs „Heimat“ in verschiedenen Lebensetappen. Die Publikation ist eine einzigartige historische Quelle, weil sie die authentischen Lebensgeschichten auch derjenigen beschreibt, die die Vertreibung als Erwachsene erlebten.

Flüchtlingsausweis einer Vertriebenen. Foto: Rosa Kern

Flüchtlingsausweis einer Vertriebenen. Foto: Rosa Kern

Übersetzungsprojekt mit Studenten

Damit die Memoiren auch auf der tschechischen Seite gelesen werden können, begann im Jahr 2018 am Institut für Translationswissenschaft der Karls-Universität in Zusammenarbeit mit der Ackermann-Gemeinde ein Übersetzungsprojekt, im Rahmen dessen die Texte aus dem Deutschen ins Tschechische übertragen wurden. Alle Studenten übersetzten jeweils eines der Kapitel, das anschließend im Seminar mit der Projektkoordinatorin Monika Žárská und den anderen Kommilitonen besprochen wurde. Die Studentinnen und Studenten bekamen zudem die Möglichkeit, den historischen und kulturellen Hintergrund des Übersetzungsthemas interaktiv zu erleben: Die Ackermann-Gemeinde organisierte zwei Studienreisen, bei denen sie mit der Autorin sowie mit einigen „Protagonisten“ des Buches diskutieren konnten.

(K)ein tschechisches Äquivalent

Für die Übersetzer gab es zahlreiche Herausforderungen: So erschienen zum Beispiel im deutschen Original eine Reihe an nicht mehr existierenden Institutions- und Ortsnamen, die zwar keine Entsprechung im Tschechischen haben, aber für die Bewahrung der Authentizität übertragen werden mussten. Ein riesiges Diskussionsthema war die Übersetzung und Deklination von Eigennamen: Die Zeitzeugen tragen zwar deutsche Namen, diese wurden aber von den Tschechen „auf Tschechisch“ ausgesprochen. Weiterhin als problematisch erwiesen sich zahlreiche zeitgebundene und umgangssprachliche Wendungen oder Dialekte, die die Zeitzeugen im Gespräch häufig benutzten. Kurz, in jedem Kapitel gab es mindestens eine „harte Nuss“, über die sich die Übersetzerinnen und Übersetzer den Kopf zerbrechen konnten.

Glossar zur deutsch-tschechischen Beziehung

Aktuell wartet die tschechische Version des Buches auf die letzten Korrekturen. Die komplette Übersetzung soll noch bis Ende dieses Jahres im Susa-Verlag erscheinen. Die tschechische Buchversion verspricht deutlich umfangreicher als das deutsche Original zu werden, da sie dem Leser eine breitere, Nationen und Kulturen übergreifende Perspektive bietet: Neben den übersetzten Memoiren können sich die Leser auf ein erweitertes Glossar freuen, in dem die wichtigsten Konzepte der deutsch-tschechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg erklärt werden. Zudem wird im Vorwort der tschechischen Ausgabe der dreijährige Übersetzungsprozess von Monika Žárská ausführlich kommentiert.

Vertreibung als Kind

Kateřina Kovačková beschäftigt sich weiter aktiv mit dem Thema, was unter anderem die Veröffentlichung ihres neuen, zweisprachigen Buches bestätigt: „Mai 1945 in der Tschechoslowakei: Erinnerungen jenseits und diesseits der Grenze/ Květen 1945 v Československu: Vzpomínky na jedné i druhé straně hranice“. Im Unterschied zum vorherigen Buch „Böhmisches. Allzu Böhmisches?” erfasst die aktuelle Publikation die Erinnerungen der Deutschen, die zur Zeit der Vertreibung fünf bis 15 Jahre alt waren. Nicht alle wurden zu der Emigration aus der damaligen Tschechoslowakei gezwungen.

Wie wird die Vertreibung von den Vertriebenen und Gebliebenen, wie von Kindern und von Heranwachsenden wahrgenommen? Neben den Büchern wird diese Frage in zahlreichen Debatten und Lesungen mit Kateřina Kovačková thematisiert. Zudem ist für diesen Sommer zwischen dem 22. August und 5. September ein Workcamp in der Gedenkenstätte Rabstein (Rabštejn) geplant.

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