Das Ständetheater führt das Ballett „Endstation Sehnsucht“ von John Neumeier auf.

Ballettfreunde können sich in Prag auf ein ganz besonderes Erlebnis freuen. Das Nationaltheater führt im Ständetheater die Inszenierung „Endstation Sehnsucht“ in einer Choreographie von John Neumeier auf. Dabei handelt es sich um eine Neuinszenierung des amerikanischen Star-Choreografen, der das Ballett 1983 erstmals in Hamburg aufführte. Premiere ist am 15. Dezember.

Das Ballett „Endstation Sehnsucht“ („A Streetcar Named Desire“) beruht auf dem gleichnamigen Drama von Tennessee Williams aus dem Jahr 1947. Sein viel beachtetes Werk siedelte Tennessee Williams ins Arbeiterviertel des südlichen New Orleans ein. Er schildert darin das Schicksal von Blanche, der Schwester von Stella und deren Mann Stanley. Die Schwestern stammen aus einer einst reichen Südstaatenfamilie, die jedoch völlig verarmt ist. Während Blanche sich noch wie eine Aristokratin aufführt, hat sich ihre Schwester bereits in ihr Schicksal gefügt und lebt in New Orleans in einem Einwanderermilieu mit ihrem aus Polen stammenden Mann Stanley zusammen. Dieses Milieu ist von roher Gewalt geprägt, die auch Thema des Balletts ist.

Dramaturgischer Trick

Doch wo das Drama von Williams endet, beginnt das Ballett Neumeiers: Nämlich mit der Szene, in der die gebrochene Blanche auf dem Bett in einer psychiatrischen Anstalt sitzt und in ihrem Blick alle Erinnerungen an die böse Vergangenheit passieren lässt. 

Choreograf John Neumeier. Foto: Martin Divíšek

Choreograf John Neumeier. Foto: Martin Divíšek

Die Retrospektiverzählung, auf der John Neumeier seine Dramaturgie aufgebaut hat, ermöglicht ihm den freien Umgang mit der Erzählperspektive, um die Verzweiflung der vergewaltigten Hauptdarstellerin darzustellen. „Für mich ist ‚Endstation Sehnsucht‘ eines der größten Werke der amerikanischen Literatur. Was ich daran faszinierend finde, sind die typische Atmosphäre und die spezifischen Probleme der amerikanischen Südstaaten“, sagt Neumeier über dieses Stück. „Das Drama stellt ein Thema dar, mit dem ich seit meiner Jugend vertraut bin und das ein sehr wichtiger Teil meiner eigenen literarischen und theatralischen Ausbildung war“, erklärte der Choreograph. Getanzt wird nach der Musik von Sergei Prokofjew und Alfred Schnittke. Einstudiert wurde das Ballett übrigens nicht von Neumeier selbst. Aber er schickte mit Ivan Urban und Laura Cazzaniga zwei Vertraute aus Hamburg nach Prag, die Neumeiers Choreografie kongenial weitergeben.

Zeitloses Thema der Gewalt

Zum Thema der Gewalt in der Gesellschaft kam Neumeier während der Arbeit an seiner Inszenierung „Die Kameliendame“ aus dem Jahr 1978. Nach seinen Worten hat ihn die Idee, das berühmte Drama von Williams in ein Ballett zu verwandeln, lange beschäftigt. Und zwar schon wegen seiner Poetik. 

Die Verortung des Themas in der Gegenwart betont der künstlerische Leiter der Ballettsparte des Nationaltheaters in Prag, Filip Barankiewicz: „Das Thema von Endstation Sehnsucht ist immer aktuell und unterliegt keiner Jahreszeit. Denn die Kollision zwischen dem, was wir ‚das Eingeführte‘ und dem, das wir ‚das Neue‘ nennen, kann man als ein zeitloses Problem bezeichnen. Die Inszenierung empfehlen wir aufgrund der dargestellten Gewalt erst ab 16 Jahren.“ 

Endstation Sehnsucht

Erste Premiere am 15. Dezember um 19 Uhr, zweite Premiere 16. Dezember,

Ständetheater Prag, Železná-Straße

Mehr auf www.narodni-divadlo.cz 

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Der amerikanische Choreograf John Neumeier wurde 1939 in Milwaukee geboren, wo er erste Ballettstunden zu besuchen begann. Später setzte er seine Ausbildung in Chicago, Kopenhagen und London fort. 1963 wurde er Mitglied des Stuttgarter Balletts. 1969 wurde er zum Ballett-Direktor in Frankfurt berufen. Seit 1973 leitet er das Ballett an der Oper Hamburg. 1978 gründete er die Ballettschule des Hamburg Balletts, für die er eine Vielzahl seiner Inszenierungen schuf. Zu den bekanntesten davon zählen „Die Kameliendame“ (1978), „Romeo und Julia“ (1971) oder „Die kleine Meerjungfrau“ (2010). Seit Beginn seiner Ballett-Karriere arbeitet er mit erstklassigen Ballettkünstlern zusammen, darunter auch tschechische, wie die Brüder Jiří und Otto Bubeníček und die Primaballerina Adéla Pollertová, die in Neumeiers Hamburger Ballett-Ensemble wirkten.

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