Seit 2013 leitet Karoline Gil den Bereich Integration und Medien am Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) in Stuttgart. Mit dem LandesEcho sprach sie über den 25. Geburtstag des Entsendeprogramms und über ihren persönlichen Bezug zur deutschen Minderheit im östlichen Europa.
LE Frau Gil, welche drei Begriffe kommen Ihnen als erstes in den Sinn, wenn Sie an die deutsche Minderheit in Tschechien denken?
Eigentlich denke ich in diesem Moment zuerst an die vielen Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Minderheit, die ich in den vergangenen Jahren kennenlernen durfte. Das Engagement für die Sprache, Kultur und den Dialog einzutreten, hat mich begeistert. Es ist wirklich beeindruckend, da es nicht einfach ist, dem Ehrenamt über einen langen Zeitraum neben Familie, Beruf und allen weiteren Verpflichtungen nachzukommen.
Dann kommt mir die Landesversammlung in den Sinn, die als Dachorganisation für uns der wichtige Ansprechpartner ist. Wir arbeiten seit vielen Jahren sehr gut zusammen. Als Zweites würde ich das LandesEcho nennen. Als Magazin der deutschen Minderheit kann ich dort immer das aktuelle Geschehen verfolgen und bekomme damit einen viel besseren Einblick in das Leben der deutschen Minderheiten in Böhmen, Schlesien und Mähren. Ich bin auch sehr beeindruckt von der Präsenz des LandesEcho in den Sozialen Medien, über die mich die Informationen noch viel schneller erreichen. Dann denke ich als Drittes noch an die JUKON, die Jugend- und Kulturorganisation der deutschen Minderheiten in Tschechien. Während der Corona-Zeit gab es bereits mehrere interaktive Online-Veranstaltungen. Als ich übrigens zum ersten Mal den Namen JUKON gehört habe, habe ich tatsächlich an die amerikanische Stadt Yukon gedacht. Aber es gibt auch dort Verbindungen nach Tschechien. Wer hätte gedacht, dass Yukon die „Czech Capital of Oklahoma“ ist? 1898 zog die Stadt Immigranten aus Böhmen an, die sich dort niederließen. Bis heute gibt es Feste und Traditionen, die auch die nächsten Generationen organisieren. Damit eine ganz unerwartete Verbindung zum Thema deutsche Minderheiten.
LE Haben Sie eigentlich einen persönlichen Bezug zur deutschen Minderheit?
Den gibt es tatsächlich. Die Familie meiner Mutter stammt aus einer deutschen Familie aus Oberschlesien. Nach dem Krieg sind sie in der Region geblieben, die nach dem Zweiten Weltkrieg polnisch wurde. Ich selbst bin auch in Oberschlesien in einer deutsch-polnischen Familie geboren und als Kind nach Deutschland gekommen. Insofern ist mir das Thema der Verständigung und des Dialoges in Europa auch persönlich sehr wichtig.
„Mir macht es besonders viel Freude, wenn ich Neues entdecken, kreativ sein
und lernen kann – das ist bei der Arbeit mit den deutschen Minderheiten im
östlichen Europa und den Staaten der GUS auf jeden Fall so.“
LE Wie unterstützt das ifa die deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa?
Demokratische Gesellschaften können nur dann gut funktionieren, wenn sich Minderheiten repräsentiert fühlen und sich einbringen können. Davon bin ich überzeugt. Damit die deutschen Minderheiten diese positive Rolle wahrnehmen, müssen ihre Verbände, Vereine und Redaktionen professionell aufgestellt, selbstbewusst auftreten, aktiv sein und über attraktive Angebote insbesondere für den Nachwuchs verfügen.
Das ifa unterstützt die deutschen Minderheiten dabei und hat neben den Medien vor allem eine Zielgruppe besonders im Blick. Das ist der Nachwuchs: junge Menschen mit dem Ziel, dass sie sich einbringen in ihren Gesellschaften, diese mitgestalten und sich für eine offene, tolerante, demokratische Gesellschaft einsetzen. Wir haben diverse Programme und Projekte, darunter das Entsendeprogramm, Stipendienprogramme, Projektförderung und Impulsprojekte, die wir mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes umsetzen.
LE Das Entsendeprogramm feiert dieses Jahr sein 25. Jubiläum, was macht das Programm aus?
Im September 2019 begannen neun vom ifa neu entsandte Kulturmanager und Redakteure
ihre Tätigkeit bei Institutionen und Medien der deutschen Minderheiten im östlichen Europa und Staaten der GUS
Kulturmanager und Redakteure arbeiten im Auftrag des ifa mit deutschen Minderheiten in mittlerweile neun Ländern zusammen. Sie bringen seit bereits 25 Jahren neue Impulse, Fachwissen und Kreativität in ihre Gastinstitutionen mit und helfen so dabei, die Rolle der Minderheit in der Zivilgesellschaft zu stärken. Mittlerweile können die Entsandten in ihren Gastländern bis zu fünf Jahren im Einsatz sein. Das ist erst seit einigen Jahren möglich. Es hat einen großen Vorteil, denn dabei erhalten sie einen tieferen Einblick in die Kultur des Landes, der Region und der Stadt, in der sie arbeiten. So kommt jeder der Entsandten verändert zurück – durch positive Erfahrungen, durch das Meistern von Herausforderungen. Mittlerweile ist so ein Netz aus fast 450 ifa-Alumni entstanden, die als ehemalige Entsandte zu echten Experten auf ihrem Gebiet geworden sind.
In diesem Jahr ist das Jubiläum vor dem Hintergrund der Coronakrise mit einer großen Herausforderung konfrontiert. Die internationale Begegnung und der Austausch sind momentan nur digital möglich. Vor den Grenzschließungen im östlichen Europa und den Staaten der GUS konnten wir uns in Polen und in Rumänien noch persönlich sehen. Aber ich hoffe, dass wir das Jubiläum in der zweiten Jahreshälfte feiern können. In der Zwischenzeit haben wir verschiedene Aktionen in den Sozialen Medien, Webtalks, Austauschrunden und Berichte aus dem Entsendeprogramm.
LE Was motiviert Sie in Ihrer täglichen Arbeit?
Mir macht es besonders viel Freude, wenn ich Neues entdecken, kreativ sein und lernen kann – das ist bei der Arbeit mit den deutschen Minderheiten im östlichen Europa und den Staaten der GUS auf jeden Fall so. Ich habe Kulturwissenschaften, Osteuropawissenschaften und Polonistik studiert, somit bin ich auch in meiner Arbeit mit dem Teil der Welt verbunden, für den ich mich am meisten interessiere. Die Dynamik der gesellschaftlichen Transformationsprozesse und die Kraft der Zivilgesellschaft beeindrucken mich immer wieder aufs Neue. Von den deutschen Minderheiten lerne ich immer wieder auch viel über die Geschichte Deutschlands. Es ist wie ein Spiegel für uns, denn durch mehrere Perspektiven vervollständigt sich das ganze Bild.
Das Gespräch führten Jonas Richter und Manuel Rommel