Libor Rouček, Foto: Steffen Neumann

Libor Rouček bewegte sich in seiner Jugend im Umkreis von Bruno Kreisky, war Regierungssprecher für Miloš Zeman und Vizepräsident des EU-Parlaments. Nun hat er über sein bewegtes Leben ein Buch geschrieben.

LE Herr Rouček, Sie haben Ihr Leben aufgeschrieben, das in Kladno begann. Als Sie geboren wurden, gab es die Sozialdemokratische Partei nicht und bei der Herkunft hätten Sie als politisch interessierter Mensch auch gut Kommunist werden können. Warum wurden Sie doch Sozialdemokrat?

Dazu kam ich über meinen Großvater. Er war Drucker und klassischer Sozialdemokrat. In der Zwischenkriegszeit arbeitete er in der Druckerei, die die Zeitung der Sozialdemokraten Právo lidu (Recht des Volkes) druckte. In Kladno arbeitete man entweder im Stahl- oder Bergwerk. In unserer Familie findet sich beides. Dass ich nicht zum Kommunisten wurde hat viel mit 1968 zu tun.

LE Zur Zeit des Prager Frühlings waren Sie gerade mal 13 Jahre.

Es war die Zeit, als ich begann, mich für Politik zu interessieren. Vorher war ich wirklich noch zu jung und außerdem war Politik uninteressant. Aber dann kam es im Januar zum Wechsel in der Partei und dann der Staatsführung und alle begannen auf einmal darüber zu sprechen und die Freiheit war zu spüren bis dahin, dass wir auch zum ersten Mal ins (westliche) Ausland reisen durften. Wir fuhren nach Jugoslawien über Österreich und das war kein Problem. Dann aber kam der Schock der Okkupation und vor allem der Normalisierung.

LE Was löste das bei Ihnen aus?

Ich war an die Freiheit gewohnt. Im Radio wurden Rolling Stones, Beatles gespielt, im Kino liefen italienische und französische Filme. Und auf einmal war das alles zu Ende. Das war für mich schwer zu begreifen. Außerdem hatte ich ja in Österreich den Unterschied gesehen. Ich frage mich immer wieder,  warum die Menschen in Westdeutschland und Österreich Freiheit haben und wir nicht. Diese Frage ließ mich nicht mehr los. In Österreich sah ich gepflegte Städte und volle Läden und wir hier lebten unter ausländischer Besatzung mit halbvollen Läden, alles war grau.

LE Dachten Sie bereits an Emigration?

Damals noch nicht. Aber damals nahm diese Entscheidung seinen Anfang. Ich emigrierte ja als sehr junger Mensch mit 22 Jahren. Dazu kam, dass ich das einzige Kind meiner Eltern war. Aber ich sah für mich keine Perspektive. Deshalb begann ich nach dem Gymnasium nicht mit dem Studium. Ich wollte Politologie studieren und das war hier nicht möglich. Also arbeitete ich erst auf dem Flughafen. Später ging ich in den Kohleschacht, um mich der Armee zu entziehen. Wer sich für den Schacht verpflichtete, konnte nicht gezogen werden. Trotzdem bekam ich später den Einberufungsbefehl und das war dann der letzte Auslöser.

Ich konnte mich noch durch einen fingierten Selbstmordversuch retten und wurde untauglich geschrieben. Aber von da an plante ich meine Ausreise. Ich ging zurück zum Flughafen, trat der kommunistischen Jugendorganisation bei, um ein gutes Führungszeugnis zu bekommen und beantragte eine Urlaubsreise nach Jugoslawien. Innerhalb eines halben Jahres hatte ich die Zusage. Da ich mir vorsorglich auch ein Visum für Österreich besorgt hatte, konnte ich sogar ganz legal einreisen.

LE Wie war die Ankunft im Westen?

Ich wollte ja eigentlich nach Deutschland. Wie heute galt aber die UN-Flüchtlingskonvention, die eine Aufnahme im ersten sicheren Zielland vorschreibt. Später stellte ich fest, dass in Österreich mein Abitur anerkannt wurde, was in Deutschland nicht der Fall war. Ich fand mich auch schnell wieder bei der Sozialdemokratie wieder. Ich suchte den Kontakt zu den Exil-Sozialdemokraten. Bei der SPÖ fand ich eine Arbeit im Parteiarchiv, die mir mein Studium finanzierte. Dort kam ich auch in Kontakt mit dem damaligen Bundeskanzler Bruno Kreisky.

LE … der Ihnen bald eine wichtige Hilfe werden sollte.

Ja, er war es, der dafür sorgte, dass mich meine Mutter erstmals nach viereinhalb Jahren besuchen durfte. Die kommunistischen Behörden hatten sie nicht rausgelassen aus Strafe, weil ich 1978 gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings demonstriert hatte.

LE Sie hatten sich einen radikalen Protest ausgedacht.

Ich war das erste Jahr in Österreich. Damals bildeten wir einen Ausschuss, Tschechen, Slowaken, darunter nicht nur Studenten. Damals überlegten wir gerade, was wir zu 10 Jahren Niederschlagung Prager Frühling tun könnten. Wir organisierten eine Ausstellung und einen Marsch zur tschechoslowakischen Botschaft. Und ich erinnerte mich an Jan Palach. Ich wollte mich zwar nicht verbrennen. Aber ich wollte eine moralische Geste zeigen. Ich war ja damals kein Dissident, sondern nur ein Student. Und da fiel mir ein Hungerstreik ein. Und weil es zehn Jahre her waren, deshalb zehn Tage. Meine österreichischen Freunde kümmerten sich um die Genehmigung, dass ich auf dem Ring zelten konnte. Gegenüber befand sich das Büro der Aeroflot und des tschechoslowakischen Reisebüros Čedok.

LE Woher kam diese Radikalität?

Ich glaubte fanatisch daran, dass der Sozialismus irgendwann ein Ende hat. Und dafür musste ich so viel wie möglich tun, auch schon als Student. Selbstverständlich wusste ich nicht wann und wie der Sozialismus endet. Aber mit diesem Gefühl bin ich emigriert, dass das nur für 10-15 Jahre ist. Ich rechnet auch gar nicht damit, dass der Sozialismus völlig zusammenbricht, aber ich glaubte, dass es zu einer Entwicklung wie vor 1968 kommt. Ich war überzeugt, dass dieses Regime nicht überleben kann.

LE Lag Ihre Überzeugung in ihrer sozialdemokratischen Herkunft begründet?

Teils ja, aber auch als ich die Unterschiede zwischen Österreich und der Tschechoslowakei sah. Ich hörte seitdem auch viel Sender Freies Europa und Voice of America. Dieses System, das den Menschen persönliche Freiheiten vorenthält, kann diesen Wettbewerb mit dem Westen nicht gewinnen.

Libor Rouček (*1954 in Kladno) ist das, was man einen Sozialdemokrat alter Schule nennt. Aufgewachsen in dem Umfeld von Stahl- und Bergarbeitern mit einem überzeugten Sozialdemokraten als Großvater wurde ihm sein Weg in die Wiege gelegt. Nach der Emigration nach Österreich bewegte er sich im Umfeld der Exil-Sozialdemokraten aus der Tschechoslowakei und der SPÖ Bruno Kreiskys. Er studierte Politologie, promovierte zu den deutsch-tschechischen Beziehungen und wurde Redakteur bei Voice of America. Nach der Samtenen Revolution kehrte er in die Heimat zurück, wurde Regierungssprecher und später Vizepräsident des EU-Parlaments. Von seiner Partei unfreiwillig aussortiert, schrieb der Ko-Vorsitzende des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums ein persönliches und politisches Buch zugleich. „Můj a náš příběh“ (Meine uns unsere Geschichte) ist Mitte September auf Tschechisch erschienen. Er widmete es seinen drei Söhnen und allen, „die die Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Verantwortung lieben.“

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