Vom Ruhrgebiet über die kleine Provinz in die tschechische Hauptstadt: Till Schumacher ist der einzige deutsche Fußballspieler in der höchsten tschechischen Fußball-Liga. Im Gespräch mit dem LandesEcho berichtet er von seinen schönsten Erlebnissen auf dem Platz, erklärt, warum er sich damals für einen Wechsel ins Ausland entschied und zeigt sich als Kenner Prager Cafés.

LE Herr Schumacher, als Kind des Ruhrgebiets lautet die Glaubensfrage „Dortmund oder Schalke“. Sie haben bei Dortmund in der Jugend gespielt. Das Derby fand vor kurzem zum ersten Mal als „Geisterspiel“ statt. Konnten Sie sich trotzdem richtig über den BVB-Sieg freuen?

Freuen konnte ich mich schon. Bei mir sind die Fronten natürlich geklärt. Durch meinen ersten Verein Rot-Weiß Essen bestand schon früh eine Rivalität zu Schalke. Der BVB-Sieg war zwar schön, jedoch auch komisch, da man wusste, dass sich keine 80 000 Fans im Stadion freuen können.

LE Ist Fußball ohne Fans nur halb so schön?

Definitiv. Als Fußballer sind Fans ein wesentlicher Bestandteil, warum du überhaupt spielst. Egal, ob die Reaktionen auf den Rängen positiv oder negativ sind, sie tragen immer zur Motivation bei.

LE Wie sind Sie BVB-Fan geworden?

Als kleiner Junge wurde ich von meinen Großvätern immer zu Spielen von Rot-Weiß Essen mitgenommen. Meine Leidenschaft für den Verein hat sich dann erst mit meinem Wechsel zur Dortmunder Jugend entwickelt. Wenn man miterlebt, wie sehr eine Stadt seinen Verein liebt, reißt einen das einfach mit. Ich fühle mich als richtiger Fan und das wird auch ein Leben lang so bleiben.

LE Die Corona-Krise hat einige Reisebeschränkungen mit sich gebracht. Wann waren Sie das letzte Mal in Deutschland?

Das war in der Zeit um Silvester. Anfang Januar bin ich wieder nach Prag gefahren. Ich würde auch gern mal wieder meine Familie besuchen. Durch die Corona-Maßnahmen ist das Reisen aber schwierig.

LE Der europäische Fußball kehrt allmählich zum Spielbetrieb zurück. In der tschechischen Liga wird seit Ende Mai wieder gespielt. Hat es Ihnen auch wieder in den Füßen gejuckt?

Natürlich. Genauso wie man selbst wieder Lust auf Fußball hat, freut man sich aber auch wieder, Fußballspiele anzuschauen. Das ist auch ein wesentlicher Bestandteil meines Alltags.

LE Der Fußball spielt in der Gesellschaft eine besondere Rolle. Für einige Fans entfernt sich der Sport aber zu sehr von der Basis. Was empfinden Sie, wenn Sie von dreistelligen Ablösesummen und exorbitanten Gehältern lesen?

Ich glaube, dass sich die großen Clubs gegenseitig hochschaukeln. Durch fehlende Regelungen in einigen Ligen und die stetig steigenden TV-Einnahmen, ist das auch eine logische Konsequenz. Je mehr man einnimmt, desto mehr gibt man aus. Als Spieler sehe ich die Entwicklung sehr kritisch und hoffe, dass nach der aktuellen Krise eine Art der Deckelung gefunden wird.Im Februar wurde der Linksverteidiger zum Spieler des Monats des Vereins gewählt. Foto: Bohemians Praha 1905

Im Februar wurde der Linksverteidiger zum Spieler des Monats des Vereins gewählt. Foto: Bohemians Praha 1905

 

LE Wann haben Sie zum ersten Mal gegen den Ball getreten?

Als ich zum ersten Mal gegen den Ball getreten habe, war ich drei Jahre alt. Damals hatte man noch diese Plastikbälle, mit denen man versucht hat, so hoch wie möglich zu schießen. Meine Vereinskarriere habe ich bei dem Essener Stadtteilverein Adler Frintrop begonnen. Drei Jahre später bin ich zu Rot-Weiß Essen gewechselt.

LE Was würden Sie Ihrem jüngeren „Ich“ raten?

Ich denke, dass ich in der Jugend bei Borussia Dortmund noch lernwilliger hätte sein müssen. Dadurch, dass man in frühen Jahren schon Erfolg hatte, gab es ein paar Momente, in denen ich vergessen habe, mich auf die tägliche Arbeit zu konzentrieren. Im Erfolg macht man die größten Fehler. Dort hätte ich mich anders verhalten sollen, mehr Willen und Gier zeigen sollen. Wie die letzten Jahre gelaufen sind, habe ich mir aber nichts vorzuwerfen.

LE Die meisten Kinder möchten im Sturm spielen und Tore erzielen. Oftmals stehen die Offensivspieler einer Mannschaft im Fokus. Warum sind Sie Verteidiger geworden?

Das hat sich einfach so ergeben. Ich war nicht besonders groß, hatte einen guten linken Fuß und konnte schon immer ganz gut verteidigen. Von daher war die Position des Außenverteidigers prädestiniert für mich. Im Vergleich zu den Offensivpositionen war sie auch nicht so überlagert. So konnte man öfter spielen. Wer weiß, wo ich heute wäre, wenn ich als Stürmer ein oder zwei Jahre das Tor nicht getroffen hätte. So bin ich froh darüber, wie es gelaufen ist.

LE Haben Sie ein Vorbild?

In jungen Jahren war Gareth Bale (Flügelstürmer von Real Madrid, Anm. d. Red.) mein großes Vorbild. Gerade zu der Zeit, als er bei Tottenham Hotspur noch als Linksverteidiger aktiv war, hat er die Position genauso interpretiert wie ich sie mir vorgestellt habe. In den vergangenen Jahren, in denen es für mich selbst Richtung Profifußball ging, habe ich versucht, von mehreren Spielern etwas für meine Entwicklung mitzunehmen.

LE In der Zeit in der Jugend von Borussia Dortmund sind Sie Deutscher A- und B-Jugendmeister geworden und haben auch einige Spiele für deutsche U-Nationalmannschaften gemacht. Welcher war bisher der schönste Moment?

Das waren sicherlich die beiden Junioren-Meisterschaften. Mit der U17 haben wir damals in Leipzig vor 10 000 Leuten gewonnen. Das war ein besonderer Moment, vor so einer großen Kulisse zu spielen. Mit dem Abpfiff fällt dann die ganze Anspannung ab und es herrscht nur noch Feierstimmung. Wenn ich daran denke, bekomme ich jetzt noch Gänsehaut.

Schön waren auch die jeweiligen Abschlussfahrten mit der Mannschaft. Wenn du in einem Jahr gemeinsam mit deinem Team alles erreichst und danach gemeinsam auf Mallorca feiern kannst, ist das ein unvergessliches Erlebnis.

LE In der U19 haben Sie eine Saison zusammen mit Christian Pulisic gespielt, der mittlerweile in England beim FC Chelsea aktiv ist. Wie haben Sie seine Entwicklung verfolgt?

Wir hatten damals ein tolles Jahr zusammen. Über die Zeit ist der Kontakt natürlich etwas weniger geworden. Dass Christian Profi werden würde, war ziemlich früh abzusehen. Ich habe mich sehr für ihn gefreut, dass er es so schnell in die erste Mannschaft geschafft und dort auch Chancen bekommen hat. Er ist ein herausragender Spieler, der sich auch dauerhaft an der Weltspitze etablieren kann.

LE Unter einem weiteren prominenten Namen haben Sie kurzzeitig trainieren können. Jürgen Klopp hat mittlerweile die Champions League gewonnen und gilt als einer der weltbesten Trainer. Was macht ihn so besonders?

Das war schon etwas surreal, als 16-Jähriger zum Profitraining mit Jürgen Klopp, Marco Reus und anderen bekannten Namen zu gehen und am nächsten Tag wieder ganz normal in der Schule zu sitzen. Er hat eine besondere Art, mit Leuten zu sprechen und auf sie einzugehen. Er vermittelt einem nicht das Gefühl, dass er Profitrainer und man selbst Jugendspieler ist. Nach einem kurzen Gespräch hatte er mir jede Ehrfurcht genommen. Er ist einfach ein sympathischer Mensch.

LE Nach der Jugend beim BVB folgte der Wechsel nach Tschechien. Erst ging es nach Vysočina, dann zu Bohemians nach Prag. Warum haben Sie sich für einen Wechsel ins Ausland entschieden?

Für mich stand schon früh fest, dass ich ins Ausland gehen und dabei so hoch wie möglich spielen möchte. Ich kam damals aus einer Saison mit der U23, in der ich nicht viel gespielt hatte. Zu Beginn wusste ich nicht einmal, wie man Vysočina richtig ausspricht, mittlerweile weiß ich, dass der Name eine ganze Region bezeichnet. Ich komme aus dem Westen Deutschlands. Da wären die Niederlande oder Belgien natürlich naheliegender gewesen. Das Angebot aus Vysočina kam aber sehr früh, sodass ich nicht lange überlegen musste. Achthundert Kilometer von zuhause entfernt zu spielen und zu wohnen, war definitiv ein riskanter Schritt. Ich wusste aber, wenn ich Profi werden möchte, muss ich mich auch wie ein Profi verhalten.

LE Wie war Ihr erster Eindruck von Prag?

Der erste Eindruck war überragend. Prag ist eine wunderschöne Stadt, die für mich nicht das typische Gefühl einer hektischen Großstadt vermittelt. Es war fast wie Liebe auf den ersten Blick.

LE Haben Sie einen Lieblingsplatz in der Stadt?

Ich bin sehr gerne unten am Flussufer in Holešovice. Dort ist auch ein kleiner Park, in dem man schön sitzen und spazieren gehen kann. Ich liebe es auch, in Cafés zu sitzen und Bücher zu lesen. Manchmal gehe ich nach dem Training gemeinsam mit ein paar Mitspielern dorthin. Ich würde behaupten, dass ich mittlerweile die schönsten Cafés der Stadt kenne. (lacht)

LE Können Sie eigentlich Tschechisch?

Mittlerweile verstehe ich das meiste. Das Reden fällt mir aber schwer. Auf dem Platz wird nur Tschechisch gesprochen. Die taktischen Anweisungen und Erklärungen sind kein Problem für mich. Ich kann zwar keinen tschechischen Roman schreiben, zum Überleben reicht es aber. (lacht)

LE In der tschechischen Liga sind Sie der einzige deutsche Spieler. Wie lange hat es gedauert, sich einzuleben?

Als einziger deutscher Spieler stand ich zu Beginn etwas mehr im Fokus. Es gab auch andere ausländische Spieler, die zu Beginn kein Tschechisch konnten. Mein Eindruck ist, dass man als Deutscher in Tschechien eine hohe Grundeinschätzung genießt. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Integration nicht gelingen würde.

LE Was sind die größten Unterschiede zum Leben in Deutschland?

In meiner Persönlichkeitsentwicklung habe ich nochmal einen großen Schritt gemacht. Da ich mit 15 von zuhause ausgezogen bin, war ich schon früh selbstständig. Insgesamt hat mir als Mensch die Zeit hier schon unfassbar geholfen und tut das auch nach wie vor. Es ist ein komplett neues Land mit neuen Eigenschaften, die das Leben verändern. Für mich als Deutscher ist beispielsweise Pünktlichkeit das A und O. Damit nimmt man es hier nicht so ganz genau.

LE Neben der Fußball-Karriere studieren Sie noch Psychologie. Wie bringt man beides unter einen Hut?

In meinem Fernstudium habe ich wenige Präsenzphasen. Man kommt aber nicht ganz ohne Praxisprojekte aus. Alles unter einen Hut zu bringen, ist sehr schwierig. Ich habe den Anspruch an mich selbst, als Fußballer jeden Tag besser, aber auch möglich schnell und gut mit meinem Studium fertig zu werden. Das nimmt ziemlich viel Zeit in Anspruch. Meine Motivation ist aber so stark, dass das klappt. Ich glaube, dass in mir viel mehr als nur der Fußballspieler steckt. So möchte ich meinen Geist genauso fördern wie meinen Körper.

LE Welche drei Wörter kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Bohemians Prag denken?

Elektrisierend. Berauschend. Traditionell.

LE Wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Zielstrebigkeit und Wissbegierde sind Attribute, die mir spontan einfallen würden. Ich bin sehr ruhig und entspannt. Um mich aufzuregen, muss schon einiges passieren.

LE Und wie sieht es mit dem Fußballer Till Schumacher aus?

Als Fußballer definiere ich mich vor allem dadurch, was ich auf dem Platz leiste. Da gibt es auch keine großen Unterschiede zum Leben abseits des Platzes. Auch dort bin ich ruhig und besonnen. Der Fußballer kommt dem Menschen Till Schumacher schon sehr nah.

LE Sie sind jetzt 22 Jahre alt, der Vertrag bei Bohemians läuft noch ein Jahr. Wie sieht Ihr Plan für die Zukunft aus?

In der Rückrunde läuft es aktuell gut. Eigentlich kam die Zwangspause für mich zur falschen Zeit. Bei einem Jahr Restlaufzeit wird auch bald eine Entscheidung fallen. Ich würde lieber früher als später den nächsten Schritt machen. Man wird sehen, wie der dann aussehen wird. In Tschechien würde es mit den zwei großen Prager Vereinen und Viktoria Pilsen drei tolle Optionen geben. Auch das Ausland würde mich wieder reizen. Ganz egal ob Thailand, USA oder Portugal, ich wäre für alles offen. Meine Chancen auf einen Vereinswechsel zu größeren Clubs kann ich am besten mit meiner Leistung auf dem Platz verbessern. Dort gebe ich immer mein Bestes.

LE Zum Schluss ein Gedankenexperiment: Wie würden Sie reagieren, wenn Joachim Löw anrufen würde?

Von der deutschen Nationalmannschaft bin ich so weit entfernt, wie wenn ich zu Fuß nach Amerika laufen würde. Das Thema würde ich zwar nie abschreiben, aber in meinen Gedanken spielt das überhaupt keine Rolle. Bei einem Anruf würde ich wahrscheinlich die ersten beiden Male auflegen, weil ich denken würde, dass mich jemand veralbert. Beim dritten Mal würde er wahrscheinlich fragen, warum ich das nicht ernstnehme und ich würde aus allen Wolken fallen. (lacht)

Als Fußballer gibt es kein stolzeres Gefühl, als für das eigene Land zu spielen.

Das Gespräch führte Tobias Barthel


Till Schumacher, Jahrgang 1997, wurde in Essen im Ruhrgebiet geboren. Der Linksverteidiger, der auch im linken Mittelfeld spielen kann, kam 2018 aus Vysočina zu Bohemians Prag und trägt dort die Rückennummer 3. Zuvor durchlief er die Jugend des deutschen Bundesligisten Borussia Dortmund, mit der er sowohl die A-Junioren- als auch die B-Junioren-Meisterschaft gewann. Insgesamt sieben Mal stand er für die deutschen U-Nationalmannschaften auf dem Platz. Neben seiner Fußballlaufbahn studiert er Psychologie im Fernstudium.

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