Jan Čižinský holte als Bürgermeister des siebenten Prager Stadtbezirks mit seiner Bewegung „Praha sobě“ (Prag für sich) nicht nur die absolute Mehrheit in seinem Stadtteil, sondern wurde mit dem Bündnis aus dem Stand drittstärkste Kraft in der ganzen Stadt. Bereits letztes Jahr sprach er mit dem LandesEcho über Stadtteilmanagement und Kommunalpolitik.
Jan Čižinský
– wurde 1978 in Prag geboren.
– studierte Latein, Geschichte und internationale Beziehungen an der Prager Karlsuniversität.
– unterrichtete Latein am Kleinseitner Gymnasium in Prag und Wirtschaftsgeschichte an der Karluniversität.
– erhielt 2013 für seine Verdienste um die Transparenz in der öffentlichen Verwaltung den Preis „Weiße Lilie“.
– ist seit 2014 Bürgermeister des 7. Prager Bezirks.
LE: Eine Umfrage in Prag hat Sie kürzlich zum beliebtesten Bürgermeister der Stadt gemacht. Reiseblogger wiederum zählen Holešovice, Teil des 7. Prager Bezirks, zu den 20 coolsten Stadtvierteln Europas. Ihr kommunalpolitischer Ansatz scheint erfolgreich. Haben Sie ein Rezept?
Solche Umfragen und Bewertungen freuen uns in Prag 7 natürlich, aber wir wollen sie nicht überbewerten. Unser großes Plus ist einfach, dass wir ein sehr offenes Rathaus sind. Wir versuchen die Dinge so anzugehen, dass sie so schnell wie möglich funktionieren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Stadtteile Holešovice und Karlín liegen sich an der Moldau gegenüber. Was wir hier brauchen, ist ein Steg über den Fluss. Verwaltungstechnisch dauert es Jahre, bis die Entscheidung durch ist. Darum haben wir uns um eine schnelle Zwischenlösung bemüht und einen Fährverkehr eingeführt, der von den Bewohnern der Stadt gut angenommen wird. Ähnlich gehen wir auch andere Themen an.
LE: Die Stadtverwaltung von Prag 7, wie auch Sie persönlich kommunizieren in der Tat sehr offen auf den sozialen Netzwerken. Das war bei der früheren politischen Garnitur nicht der Fall. Sie haben also keine Angst vor dem Wähler?
Eine wirklich offene Kommunikation mit den Bürgern unseres Stadtteils ist für uns eine wichtige Priorität.
LE: Vor ihrer Wahl im Oktober 2014 waren Sie Gymnasiallehrer für Latein und Geschichte. Was hat Sie in die Politik gezogen?
Ich bin Christ und ich bin Pfadfinder. Und Pfadfinder interessieren sich für das, was sich in ihrer Umgebung abspielt. Persönlich hat mich die Politik schon immer interessiert. Es ist mir nämlich nicht egal, was sich um mich herum abspielt und ich sehe einen großen Sinn darin, sich einzusetzen. So habe ich es schon in dem Stadtteil gehalten, in dem ich aufgewachsen bin. Und als ich dann nach Prag 7 geheiratet habe, habe ich weitergemacht.
LE: Gab es denn einen bestimmten Anlass, in Prag 7 in die Kommunalpolitik zu gehen? Sie sind ja nicht auf dem Ticket Ihrer Partei, der christdemokratischen KDU-ČSL ins Rathaus eingezogen. Sondern als Mitbegründer der breiten Bürgerinitiative „Prag 7 für sich“ (Praha 7 sobě).
Aus den Fenstern unserer Wohnung blickte ich auf ein Gelände, auf dem früher das Rathaus von Prag 7 stand. Mich interessierte, was aus diesem Gelände werden sollte. Damit war ich aber nicht allein. Die damalige Stadtverwaltung hatte es nämlich auf 105 Jahre an einen Developer vermietet und plante, anderswo für eine Milliarde Kronen ein neues Rathaus zu errichten. Weil uns das überteuert erschien, organisierten wir ein Referendum dagegen. Mit Erfolg. Schon damals hat sich gezeigt, wie wichtig es ist zusammenzuarbeiten.
LE: Auf Zusammenarbeit setzt man bei Ihnen auf dem Rathaus also besonders?
Ja, denn darin liegt für mich das Geheimnis guter Arbeit. Um die Finanzen kümmert sich bei uns ein Banker, um die Architektur ein Urbanist und um das Schulwesen jemand, der beruflich aus dieser Sparte kommt. Als wir mit der Bürgerinitiative „Prag 7 für sich“ vor drei Jahren kandidierten, glaubten wir schon fest, dass wir es mit diesem Ansatz schaffen könnten. Unsere Leute waren gut vorbereitet und gingen als Profis in ihr Amt. Für mich als Bürgermeister ist es toll zusehen, wie gut unser Team funktioniert.
LE: In Ihrem Wahlprogramm damals haben Sie versprochen, das Leben im Viertel angenehmer zu machen. Die Bürgernähe streitet Ihnen niemand ab, zudem setzen Sie sich sehr aktiv für gute Nachbarschaftsbeziehungen ein. Prag 7 boomt. Ist es Ihnen also gelungen, Ihr Programm durchzusetzen?
Wenn wir uns anschauen, was uns in den vergangenen drei Jahren gelungen ist, dann ist das ein schöner Anblick. Spielhallen werden geschlossen, es gibt genug Platz in den Kindergärten, Häuser und Denkmäler werden renoviert. Und jetzt ist uns um Holešovice herumein Radweg an der Moldau gelungen, der das Viertel auch mit dem historischen Stadtzentrum verbindet. Was wir in unserer Kompetenz haben funktioniert. Reserven gibt es allerdings noch in all den Bereichen, die dem Prager Magistrat unterliegen. Prag hat 57 Stadtteile, die von 57 Bürgermeistern gemanagt werden. Das Problem liegt darin, dass jeder dieser 57 mit dem Magistrat verhandeln muss. Und der ist langsam und sehr träge, was Veränderungen betrifft.
LE: Ihre politische Heimat liegt bei den Christdemokraten, wo Sie seinerzeit Sekretär für internationale Beziehungen waren. Schöpfen Sie als Kommunalpolitiker Inspiration im Ausland? Vor kurzem besuchten Sie ja Kopenhagen.
Das war ein wichtiger Besuch für mich. In Kopenhagen ist mir bewusst geworden, wie zurückgeblieben Prag doch ist. Und dass der Prozess der Metamorphose Prags in eine wirkliche Stadt für Menschen noch gut 20 Jahre dauern wird. Auch Kopenhagen hat einen ähnlichen Werdegang durchgemacht, den wir gerade in Prag erleben. Nur hat man dort den Vorteil der Kontinuität. Die braucht Prag ebenfalls. Aber zuerst muss die Stadt die Richtung kennen, die sie einschlagen will. Es gibt ja diese, inzwischen schon etwas profane Bezeichnung „smart city“, also schlaue Stadt. Prag ist eine nicht-schlaue Stadt. Das aber nicht, weil sie nicht über genügend Parkbänke mit Ladestationen verfügt. Sondern weil sie ihren Weg, ihre Richtung noch nicht gefunden hat. Hier hat man es noch nicht geschafft, alle Interessen unter einen Hut zu bringen.
LE: Können Sie uns für diese „Nicht-Schlauheit“ ein konkretes Beispiel geben?
Ich hätte da ein aktuelles, aber ganz kleines Beispiel. Kürzlich traf ich auf Arbeiter des Magistrats, die bei uns in Prag 7 ein Verkehrsschild begutachteten, das im Gegensatz zu den anderen Verkehrsschildern direkt in den Bürgersteig eingelassen war. Also wollten wir wissen, was es damit auf sich hat. Und fanden heraus, dass das wirklich so in der Stadtplanung beabsichtigt war. Wir haben in Prag 7 eine Vorstellung davon, wie der Bezirk aussehen soll. Aber oft werden wir mit Dingen konfrontiert, die einfach nicht durchdacht und auch unsinnig sind. Wenn wir vor Ort effektiver mit dem Magistrat kommunizieren, dann können wir besser auf Kleinigkeiten aber auch größere Entwicklungen in der Stadtplanung reagieren. Prag muss lernen, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.
LE: In welche Richtung möchten Sie Prag 7 lenken? Was ist Ihre Vision?
Wir möchten einen Stadtteil, der übersichtlich ist und den Charakter seiner Umgebung würdigt. Wir wollen eine barrierefreie Stadt und wir wollen eine aufgeräumte Stadt. Und wir sehen, dass uns das auch gelingt. Denen, die bei uns investieren wollen, sagen wir: Kommt erst zu uns, bevor Ihr Geld in groß angelegte Projekte steckt. Wir können uns dann unterhalten und schauen, wo und wie wir eine gemeinsame Sprache finden.
LE: Als Kommunalpolitiker haben Sie sich profiliert, indem Sie gegen die Ausstellung „Body the Exhibition“ klar Stellung bezogen. Die Show plastinierter Körper fand in der ersten Jahreshälfte 2017 auf dem Prager Ausstellungsgelände statt, das zwar vom Magistratverwaltet wird, aber in Prag 7 liegt.
Da werden tote Menschen durch die Welt gekarrt, über die man nichts weiß. Die sind nirgendwo dokumentiert. Das verstößt gegen jegliche Regel. Das ist fast eine Anleitung für Mörder, wie man sich am besten der Leiche entledigt. Es geht hier schließlich um menschliche Körper, wenn auch schon zum Teil zu Plastik gemacht, wie die Aussteller ja auch mehr oder weniger deklarieren. Ich finde es einfach nur schrecklich, denn die Körper selbst verraten ja, dass es sich hier nicht um freiwillige Spender handelt. Wie ist es möglich, dass hier der Körper einer Mutter samt ihres ungeborenen Kindes im Leib präsentiert wird? Diese Ausstellung bricht einfach alles. Auch Gesetze. Aber danach hat keiner gefragt. Ich habe die Bestattung der ausgestellten Körper gefordert, aber die Polizei war eher zögerlich, was die Bearbeitung dieser Sache betraf. Mit der beschäftigt sich jetzt auch das Gesundheitsministerium.
LE: Prag 7 ist ein Name, der öfters auch mal im deutsch-tschechischen Dialog fällt. Im Jahr 2016 fand hier die tschechisch-deutsche Aktion „Smíření/Versöhnung“ statt. An die Zeit, als der Bahnhof Bubny als Sammellager für Tausende Prager Juden diente, erinnert das sehr eindrucksvolle Denkmal der Stille.
Wir sind jedem Dialog gegenüber offen und heißen Projekte wie „Smíření/Versöhnung 2016“ gerne willkommen. Aber das sind keine Projekte des Bezirks Prag 7. Wir bieten ihnen nur das Umfeld. Andererseits ist es wirklich so, dass Prag 7 ein sehr deutscher und jüdischer Stadtteil war und so entsprechend an der Ermordung der Juden und der Vertreibung der Deutschen gelitten hat. Mein Interesse am deutsch-tschechischen Dialog hat aber nichts mit Prag 7 zu tun. Mein Bruder ist einer der Mitbegründer von Antikomplex. Durch ihn wurde ich schon früh damit konfrontiert, was sich bei uns nach Ende des Zweiten Weltkriegs abgespielt hat.
LE: Was tun Sie dafür, dass sich die Menschen in Prag 7 der historischen Kontinuität ihres Kiezes bewusst werden?
Wir unterstützen alle Projekte, die dazu führen, das historische Gedächtnis unseres Viertels zu verlängern. Zum Beispiel das Projekt „Unsere Nachbarn erinnern sich“, in dem Siebt- und Neuntklässler Zeitzeugen im Bezirk besuchen. Daraus entstehen dann kleine Rundfunksendungen oder Filme. Jedes Haus ist voller Geschichte.
LE: Sie kandidieren auf Platz 2 der Prager Liste der KDU – ČSL bei den Parlamentswahlen im Oktober. Bleiben Sie auch Bürgermeister, wenn sie ein Mandat erringen?
Ja, ich würde weiter Bürgermeister bleiben und Prag im Abgeordnetenhaus von Nutzen sein. Da gibt es einiges, was man auf dieser Ebene lösen könnte. Wir würden zum Beispiel gerne eine Bestimmung darüber erlassen, dass Autos mit Baumaterial eine Plane haben müssen. Das ist aber Sache des Gesetzgebers.
LE: Und wie wollen Sie das alles schaffen?
Reine Teamarbeit. Ich habe ja Profis um mich herum. Da bleibt mir auch noch genug Zeit für die Familie.
Das Gespräch führte Milan Mostýn. Dieses Interview erschien im LandesEcho 8/2017.