Bereits seit 25 Jahren ist das Theater Archa (deutsch: die Arche) ein Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Sein Gründer und Leiter Ondřej Hrab (Jahrgang 1952) versteht das genreübergreifende Theater als Demokratielabor, in dem erforscht wird, was das Leben eigentlich bedeutet.
LE: Das Theater Archa hat seinen Sitz am selben Ort, an dem sich vor dreißig Jahren das legendäre Emil-František-Burian-Theater befand. Warum wurde es umbenannt und der Raum komplett umgestaltet?
Hrab: Ich muss gestehen, dass ich vor 1989 nie in dem Theater war. Ich habe nie verstanden, warum es immer noch diesen Namen trug, obwohl es mit der Persönlichkeit Burians nur noch wenig zu tun hatte. Burian war eine regelrechte Renaissance-Persönlichkeit mit vielen positiven aber auch negativen Zügen. Die Kritiker werfen ihm seine kommunistische Überzeugung und seine Oberstuniform vor, die er seinerzeit trug. Burian war jedoch ein Schöpfer, der vor allem während der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts seine Vision vom modernen Theater etablierte. Genau aus diesem Grund bekennen wir uns im Theater Archa zu Burians Erbe mehr als traditionelle Theaterbühnen. Denn das Prinzip der Gleichheit aller Teile einer Theaterinszenierung, für das er stand, wurde zum Ausgangspunkt von allem, was in unserem Theater entsteht. Auch der Theaterraum, den wir zwischen 1991 und 1994 geschaffen haben, entspricht in vielerlei Hinsicht Burians Vorstellung. Davon zeugt auch der Gruß seines Sohns, des Liedermachers und Schriftstellers Jan Burian, anlässlich der Eröffnung des Archa-Theaters an ihn: „Endlich ist es ein Theater, das dir gefallen würde …“. Und in seinem Enkel, dem Musiker Jan Burian Junior, ist er gewissermaßen bis heute Teil unseres Teams.
LE: Wie hat sich der Raum im Laufe der Zeit verändert?
Hrab: Ursprünglich war das ein Konzertsaal, weshalb Theaterzüge komplett fehlten. Der überdimensionale Rang passte nicht zu der verhältnismäßig kleinen Bühne. Als ich mich 1991 um den Direktorenposten bewarb, machte ich mein Engagement zur Bedingung, dass sich das Theater personell sowie physisch verändert. Zur gleichen Zeit erwarb die Bank ČSOB das Gebäude und wir haben uns darauf geeinigt, dass sich der Innenraum radikal verändern muss. Gemeinsam mit den Architekten Ivan Plicka und Miroslav Melena gestalteten wir den Innenraum komplett neu, der je nach Bedarf der Veranstaltung verändert werden kann: für Tanzaufführungen, für die klassische Bühne oder als Konzertsaal für stehende Besucher. Ein aktuelles Beispiel dieser Variabilität ist die Inszenierung „Kolonizace“ des Ensembles VOSTO5, in der diese Veränderlichkeit bestimmend ist.
LE: Das Archa ist kein klassisches Repertoire-Theater, sondern ein Produktionshaus. Was heißt das?
Hrab: Wir haben kein ständiges Ensemble und sind deshalb für verschiedene Formen der Bühnenkunst offen – von Theaterstücken über Tanz, Musik bis zu Installationen und Performance. Wir produzieren eigene Inszenierungen und Kunstprojekte. Gleichzeitig laden wir Künstler und Ensembles aus der ganzen Welt zu uns ein.
LE: Die Ausrichtung auf verschiedene Genres zeigt sich bereits im Namen des Theaters. Warum wählten Sie ausgerechnet den Namen Archa?
Hrab: Der Name kann in vielerlei Hinsicht interpretiert werden. Ich sehe ihn als eine Art von Verabredung aller Beteiligten darüber, was wir unter Bühnenkunst verstehen. Der Name entstand zu der Zeit, als wir mit unseren Architekten über den Umbau diskutierten und sie dabei von mehreren Decks sprachen. In diesem Zusammenhang fiel mir spontan die Arche Noahs ein, die als Zufluchtsort für alle Tierarten diente. Im übertragenen Sinn kann man das Theater mit einem Ort vergleichen, an den Künstler aus allen Kunstbereichen eingeladen werden. Daher gleicht die Archa einem Schiff, das unruhige Gesellschaftsgewässer aufwühlt und dabei erforscht, was das Leben eigentlich bedeutet.
LE: War die Frage nach der Bedeutung des Lebens für Sie von Beginn an grundlegend?
Hrab: Die Gründung des Theaters war ein gesellschaftliches Bedürfnis, denn in Prag gab zu der Zeit keinen Ort für zeitgenössische Bühnenkunst. Wenn zum Beispiel das Brünner Theater „Husa na provázku“ (Gans an der Leine) nach Prag kam, musste es in Gaststättensälen auftreten. Es fehlte auch an einer Bühne für zeitgenössischen Tanz. Gleichzeitig wollten wir eine Plattform aufbauen, die Teil einer internationalen Theaterbewegumg sein würde. Aber ähnlich wie jeder andere lebende Organismus verändert sich auch das Archa ständig. Das ist Teil seiner DNA.
LE: Was war für Sie damals das Schwierigste?
Hrab: Brücken zur Weltkunst zu schlagen. In der Zeit des Sozialismus waren wir von der Entwicklung in der Welt abgetrennt. Ich habe international bekannte Künstler wie Robert Wilson, Philip Glass, Min Tanaka, Lloyd Newson, Dogtroep nach Prag geholt, deren Werke zur Spitze der Avantgarde zählen. Heute stehen wir vor anderen Aufgaben: Wir suchen die Antwort auf die Frage, was die Basis der Tätigkeit einer Kulturinstitution im 21. Jahrhundert ist? Wie sollte sie auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse reagieren? Auf welche Weise sollte sie zum Ort werden, an dem Probleme dieser Gesellschaft artikuliert werden? Und wie können wir durch künstlerischen Ausdruck Menschen eine Stimme verleihen, die man sonst nicht hört? Indem wir das tun, bringen wir tschechische Autoren mit der Künstlergemeinschaft in aller Welt zusammen.
LE: Mit welchen aktuellen Themen befasst sich gerade das Archa?
Hrab: An erster Stelle ist es die Spaltung der Gesellschaft, die heute ein weltweites Phänomen geworden ist, das uns schwerwiegende Probleme verursachen kann. Es zeigt sich, dass die Entwicklung von Technologien, Internet und digitaler Kommunikation, die uns ursprünglich viel Gutes gebracht haben, zu einer Relativierung der Wahrheit geführt hat. Die Menschen glauben immer mehr den sogenannten alternativen Fakten und haben aufgehört, Informationen auch zu überprüfen. Das Theater basiert auf einem unmittelbaren Austausch von Ideen und Emotionen zwischen Künstlern und Zuschauern. Dadurch wird es zum passenden Mittel, um echte Werte zu erneuern. Den Technologiefortschritt kann man nicht bremsen, deshalb brauchen wir eine neue Art der Kommunikation. Soziologen und Ökonomen sprechen von einem Jahrhundert der Gesellschaft 4.0, auf die wir reagieren müssen. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, woher wir kommen. Jede wirkliche Avantgarde muss tief in der Tradition wurzeln und eine Kontinuität besitzen. Deswegen haben wir einen unserer Dramaturgiebereiche „Wurzeln der Zukunft“ benannt.
Das Gespräch ist ein Auszug. Das vollständige Interview mit Ondřej Hrab lesen Sie in der August-Ausgabe des LandesEcho, erhältlich als Abo oder am Kiosk.
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