Lange Zeit glaubte man zu wissen: In Mittel- und Osteuropa gibt es Lebensmittel von schlechterer Qualität und das ist von den Herstellern so gewollt. Eine größer angelegte EU-Studie ging diesem Bauchgefühl jetzt auf den Grund.
Der große Aufruhr begann 2015. Die Prager Universität für Chemie und Technologie verglich damals deutsche und tschechische Lebensmittel. Das Ergebnis der Untersuchungen: Trotz einer gleichen Verpackung haben die Lebensmittel je nach Land unterschiedliche Bestandteile. Und in Tschechien sind die Inhaltsstoffe minderwertiger. Zum Beispiel hat Eistee, der für Tschechien produziert wurde, 40 Prozent weniger Teeextrakt als der deutsche Eistee. Und in Deutschland enthält er Zucker, in Tschechien einen Ersatzstoff.
Insgesamt überprüften die Forscher 24 Lebensmittel aus beiden Ländern. Ein Drittel der untersuchten Lebensmittel hatte eine andere Zusammensetzung, obwohl sie von derselben Marke stammten. Zum Teil müssen Tschechen sogar mehr für das scheinbar gleiche Produkt bezahlen.
Die Hersteller begründen die Unterschiede damit, dass die Tschechen einen anderen Geschmack hätten. In einem nicht repräsentativem Geschmackstest schmeckte den Tschechen aber das deutsche Produkt besser als das tschechische, wie Radio Prag berichtete. Hohe Wellen schlug das aber nicht, dieser Aspekt wurde nicht näher verfolgt. Mitgliedsunternehmen der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (DTIHK) sahen die Widerlegung ihrer Geschmacks-Begründung nicht als Anlass, sich an die DTIHK zu wenden. Die unterschiedlichen Preise der Nahrungsmittel begründete Miroslav Toman, Präsident der tschechischen Lebensmittel- und Landwirtschaftskammer, mit den verschiedenen Mehrwertsteuern.
„Die Mülltonne Europas“
Der zweite Schlag kam dann 2017. Staatlich angeordnete Studien in osteuropäischen Ländern bestätigten die Prager Studie: Produkte in gleichen Verpackungen haben in Österreich und Deutschland andere Inhalte als im östlichen Europa. Ihr Fazit lautete: Die Inhaltsstoffe werten die Qualität der Produkte dabei ab. Zum Beispiel enthielt Joghurt weniger Fett, Fischstäbchen weniger Fisch und Kekse Palmöl statt Butter. Die Preise für die Lebensmittel in Osteuropa stellte sich teilweise als höher heraus. Dagegen wollten die vier Visegrád-Länder Tschechien, Slowakei, Polen und Ungarn vorgehen. Sie beklagten den Zustand bei der Europäischen Kommission und brachten das Thema in die Politik ein. So sagte der tschechische Regierungschef und Lebensmittelkonzern-Milliardär Andrej Babiš: „Wir sind die Mülltonne Europas“. „Zu unterschiedlichen Zeitpunkten haben Politiker unterschiedlicher Parteien sich mit diesem Thema befasst und es auch im Wahlkampf zugespitzt,“ kommentiert die DTIHK die politische Zuspitzung auf Anfrage.
Die Hersteller hielten den Kritikern wie schon 2015 meist entgegen, dass die Geschmäcker sich je nach Land unterscheiden würden. Zum Beispiel sei Nutella nicht nur in Osteuropa anders, als in Deutschland, sondern auch in Frankreich. Dieser Fakt fand 2017 aber kaum Beachtung. In den Studien wurden Unterschiede auch zwischen Deutschland und Österreich festgestellt, aufgegriffen haben die V-4 das nicht. Zum wiederholten Mal reichten die Länder 2017 eine Beschwerde bei der EU-Kommission ein. Diesmal beschloss die EU, die Lebensmittelqualität in allen EU-Staaten untersuchen zu lassen. Eine „gute und wichtige“ Entscheidung, wie es von der DTIHK heißt.
Die Studie hatte eindeutige Indikatoren für die Untersuchungen, denn Hersteller warfen den bisherigen Studien vor, zu ungenau gewesen zu sein. So behaupteten Ungarns Vertreter über Schokoladenwaffeln, sie schmeckten „knuspriger“ und Nutella „cremiger“, würde man sie in Wien kaufen.
Was sich 2017 bereits andeutete, ist nun zwei Jahre später wissenschaftlich belegt: Es gibt keinen Ost-West-Unterschied in der Nahrungsmittelqualität.
Doch kein „Nutella-Graben“
Gut einen Monat vor Ende der EU-Studie verabschiedete Tschechien 2019 ein neues Gesetz. Nach diesem sind internationale Konzerne dazu verpflichtet, unterschiedliche Verpackungen für Lebensmittel zu verwenden, wenn sie verschiedene Inhaltsstoffe haben. Damit kam das Thema Lebensmittelqualität rechtzeitig vor der EU-Wahl wieder zum Vorschein. Die Ergebnisse der durch die EU initiierten Studie wurden dann Ende Juni 2019 veröffentlicht. Das Ergebnis widerlegt den sogenannten „Nutella-Graben“ zwischen Ost und West. In den Medien findet das aber wenig Aufmerksamkeit. Ganz im Gegensatz zu den Studien von 2017.
Tibor Navracsics, EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport und zuständig für die aktuelle Studie sagte, dass sich „keine Anzeichen für eine Kluft zwischen Ost und West feststellen ließen“. Bedenkliche Unterschiede an sich gibt es aber sehr wohl.
Fast 1400 Lebensmittel aus 19 EU-Ländern wurden untersucht. Ungefähr ein Drittel davon hat unterschiedliche Inhalte, trotz gleicher Verpackung und gleicher Vermarktung, was Navracsics mit Sorge erfüllt. Aber diese Unterschiede zeigen keine geographischen Muster.
Die Forscher betonen allerdings auch, dass die verschiedenen Produktzusammensetzungen nicht zwangsläufig mit einer divergierenden Qualität einhergehen. In der nächsten Zeit soll überprüft werden, wann Doppelstandards bei der Qualität von Produkten als irreführende Praxis zu betrachten sind. Bis November können entsprechende Vorschläge für solche Maßnahmen eingereicht werden.
Die detaillierten Ergebnisse der EU-Studie, können Sie auf Englisch auf der Website der Europäischen Kommission einsehen.
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