Ein Erdbeben mittleren Grades erschütterte vor knapp sechs Wochen die derzeitige Idylle des deutsch-tschechischen Verhältnisses: Am 1. November 2016 entließ der Verwaltungsrat des Aussiger Collegium Bohemicum dessen Direktorin Blanka Mouralová mit einer überwältigenden Mehrheit von 8 von 9 Stimmen. Die Sitzung an Allerheiligen war zwar kurzfristig einberufen worden.
Doch schon am 15.September hatte der Aufsichtsrat des Collegium Bohemicum die Abberufung Mouralovás beschlossen und fünf Tage später an den Verwaltungsrat weitergegeben. Das, zumindest vorläufige, Ende der Ära Mouralová im Collegium Bohemicum, hat bislang vor allem eines bewirkt: Unsicherheit. Nicht nur in Aussig (Ústí nad Labem), sondern auch in Prag, Berlin und München. Denn das Collegium Bohemicum ist nicht nur irgendeine von vielen Institutionen, die sich den deutsch-tschechischen Beziehungen widmen. Es ist vor allem der Träger des international wohl größten und prestigeträchtigsten Projekts, mit dem die Tschechische Republik das 800-jährige Zusammenleben von Deutschen und Tschechen würdigen will: der lang geplanten Dauerausstellung der deutschsprachigen Bewohner der Böhmischen Länder im Aussiger Stadtmuseum.
Unsinnige Spekulationen
„Ein Fragezeichen hängt über der Ausstellung“ titelte die tschechische Tageszeitung MF Dnes nach dem Sturz Mouralovás. Die Sudetendeutsche Zeitung faselte derweil von Kleingeistern in Aussig und fabulierte gar von einem „Aus für Aussig“. Der deutsche Historiker Werner Imhof kündigte sogar an, er werde nun die historischen Leihgaben, die er dem Aussiger Museum zur Verfügung gestellt hat zurückfordern.
„All diese Spekulationen sind einfach Unsinn“ versucht der stellvertretende Kulturminister Vlastislav Ouroda, Mitglied des Verwaltungsrats des Collegium Bohemicum die Wogen zu glätten. Schließlich, so Ouroda, wurden aufgrund dieses Projekts von der Europäischen Union im Jahre 2010 Fördermittel in Höhe von knapp 400 Millionen Kronen zu Verfügung gestellt, die in dieRenovierung des Aussiger Stadtmuseums flossen, das die Dauerausstellung beheimaten wird. „Diese Fördermittel würden wir zurückzahlen müssen, sollte die Ausstellung nicht realisiert werden“, erklärt Vlastislav Ouroda.
Dabei ist die Ausstellung selbst schon mehr oder weniger fertig. Und niemand, selbst ihre Feinde, würde je bezweifeln, dass Blanka Mouralová nicht nur Herz und Seele, sondern auch das Gesicht der Ausstellung ist. Mit viel Energie und Herzblut hat sich die heute 42-jährige Mouralová in das Projekt gestürzt, seitdem sie 2007 vom Tschechischen Zentrum in Berlin nach Aussig übergesiedelt ist, um dort die Leitung des kurz zuvor gegründeten Collegium Bohemicum zu übernehmen. Dort hat sie es in den vergangenen Jahren geschafft, eine anfangs eher regional geplante Ausstellung zu einem internationalen Prestigeprojekt zu machen, einem tschechischen Partner des Sudetendeutschen Museums, das 2018 in München eröffnen soll.
800 Jahre in 20 Räumen
Gemeinsam mit ihrem Kollegen Jan Šicha, ist sie auf der Jagd nach Exponaten Tausende von Kilometern gefahren, hat Hunderte von Zeitzeugen, Sammlern und Antiquariaten besucht. In einem, in der tschechischen Museumsgeschichte, einzigartigen Architekturwettbewerb, den das Collegium Bohemicum 2011 ausgeschrieben hatte, wurde dann die eigentliche Form bestimmt,die die Ausstellung in den oberen Stockwerken des Aussiger Stadtmuseums annehmen wird. In zwanzig Räumen, die über zwei Stockwerke reichen und mit einer Wendeltreppe miteinander verbunden sind, wird da die Geschichte der deutschsprachigen Bevölkerung im heutigen Tschechien dargestellt werden.
„Wir wollen das lange Zusammenleben zwischen Deutschen und Tschechen nicht auf die Konflikte des 20. Jahrhunderts reduzieren“, sagt Blanka Mouralová. Gleich am Anfang der Exposition wird daher anhand eines Films definiert, was einen Deutschen in Böhmen und Mähren eigentlich ausmachte: Sprache, Landschaft, Kultur. Aber auch dem deutschen Unternehmertum in Böhmen, Mähren und Schlesien ist ein eigener Raum gewidmet. Immerhin wurden im alten Österreich die meisten Patente gerade in den deutsch besiedelten Gebieten Böhmens und Mährens angemeldet, das nicht umsonst als das industrielle Herz der Monarchie galt. In fünf weiteren Räumen wird dann das kulturelle deutschsprachige Leben in fünf verschiedenen Städten thematisch dargestellt. Nicht fehlen darf natürlich eine komplett eingerichtete Wirtsstube im Stil des frühen 20. Jahrhunderts.
Ursprünglich war geplant, die Ausstellung schon 2012 zu eröffnen. Doch das scheiterte an verschiedenen bürokratischen, baulichen und nicht zuletzt finanziellen Hürden. Da die EU-Fördermittel ausschließlich für den Umbau des Aussiger Stadtmuseums, einer 1876 im Neorenaissance-Stil erbauten Knabenschule, bestimmt waren, musste das Collegium Bohemicum seine Mittel selbst auftreiben. Zum einen, zum Beispiel für den Ankauf von Exponaten oder Rechten, erhielt es Unterstützung vom Deutsch-Tschechi-
schen Zukunftsfonds oder dem Goethe-Institut. „Zwischen 2008 und 2014 ist es mir gelungen rund 100 Millionen Kronen an Drittmitteln und Projektgeldern für das Collegium Bohemicum zu gewinnen, das damals mit einem Jahresetat von nur 400 000 Kronen wirtschaftete“, sagt Blanka Mouralová. Die Summe von 50,5 Millionen Kronen hatte die tschechische Regierung zudem noch der Ausstellung versprochen. Diese Gelder blieben bis Anfang dieses Jahres knapp zehn Jahre lang allerdings virtuell. Auch deswegen, weil es in den Jahren 2006 bis 2013 keine tschechische Regierung geschafft hat, die gesamte Legislaturperiode über im Amt zu bleiben, verzögerte sich die Auszahlung der versprochenen Gelder bis Mai dieses Jahres.
Mär vom Kulturkampf
Umso größer ist jetzt allerdings die Verwunderung, dass Blanka Mouralová gerade zu dem Zeitpunkt von ihrer Funktion abberufen wurde, als endlich alles in trockenen Tüchern zu liegen schien. Hat man ihr auf der Zielgerade ein Bein gestellt oder ist ihr selbst die Puste ausgegangen? „In dem Moment, in dem die Gelder in Sicht waren, hat das Aussiger Stadtmuseum begonnen, sich sehr aktiv für die Belange des Collegium Bohemicum zu interessieren. Ich hatte das Gefühl, man möchte da etwas finden“, sagt Mouralová.
So richtig überraschend kam das Aus für sie nicht. Schon im Sommer 2014 schrieb die MF Dnes, Mouralová habe mit Problemen zu kämpfen, weil die von ihr konzipierte Ausstellung nicht „protschechisch“ genug war. Ein damaliges Aufsichtsratsmitglied,der Rechtsanwalt und Ex-Berater von Václav Klaus, Jaroslav Kuba, mache Druck auf Mouralová, weil ihm das Konzept der Ausstellung nicht tschechisch genug sei, zitierte die Zeitung eine nicht näher genannte Quelle aus dem tschechischen Außenministerium. Kuba, der 2014 für die rechtsextreme Partei des verurteilten Antisemiten Adam B. Bartoš „NationaleDemokratie“ für das Europaparlament kandidiert hat, gilt auch in Aussig als jemand, der in Bezug auf das Collegium Bohemicum Standpunkte vertrat, die aus der stalinistischen Zeit der frühen 1950er stammen könnten. Inzwischen ist er allerdings in keinem der Gremien des Collegium Bohemicum mehr vertreten.
„Die Behauptung, man sei gegen die Ausstellung, weil sie nicht tschechisch genug sei, wiederholt sich immer wieder“, sagt KristinaKaiserová, Verwaltungsratsvorsitzende des Collegium Bohemicum. „Dabei wurde die inhaltliche Ausrichtung der Ausstellung von keinem der Gremien des Collegium Bohemicum je in Frage gestellt“, meint Kaiserová, die den Fachbereich slawisch-deutsche Studien an der Aussiger Universität leitet. Die promovierte Historikerin ist Gründungsmitglied der Gesellschaft für Geschichte der Deutschen in Böhmen, die neben der Aussiger Universität, dem Kulturministerium und der Stadt Aussig zu den vier Trägern des Collegium Bohemicum gehört. „Dass wir als Historiker uns hier an irgendeiner nationalistischen Propaganda gegen das Konzept des Collegium Bohemicum beteiligen würden, kann niemand ernsthaft glauben, der unsere Arbeit in diesem Bereich kennt“, sagt Kaiserová.
Als Verwaltungsratsvorsitzende des Collegium Bohemicum hat Kaiserová für die Abberufung Mouralovás gestimmt. „Ich möchte betonen, dass ich die Verdienste Blanka Mouralovás für die Dauerausstellung sehr schätze“, sagt Kaiserová. Doch die Ausstellung ist nur ein Standbein des Collegium Bohemicum, das nicht nur museumspädagogisch, sondern auch als eine wissenschaftliche Institution der deutsch-tschechischen Beziehungen wirken soll.
Als solche vergibt das Collegium Bohemicum Promotionsstipendien, organisiert Konferenzen zu verschiedenen Punkten des deutsch-tschechischen Verhältnisses und schickt Zeitzeugen in Schulen.
Nicht minder wichtig seien die kulturellen Veranstaltungen wie die „Tage der deutsch-tschechischen Kultur“, die jeden Herbst parallel im böhmisch-sächsischen Grenzgebiet stattfinden.
Fremde Stadt
„Die einzige Person, die öffentlich anzweifelt, dass Blanka Mouralová weiterhin für das Collegium Bohemicum arbeiten wird, ist Blanka Mouralová selbst“, sagt Kristina Kaiserová. Denn neben ihrem Vertrag als Direktorin hat sie, so Kaiserová, noch einen weiteren Arbeitsvertrag als Projektmanagerin des Collegium Bohemicum. „Dieser Vertrag ist noch gültig. Blanka Mouralová ist weiterhin in Vollzeit im Collegium Bohemicum angestellt, auch wenn sie derzeit im Mutterschutz ist“, sagt Kaiserová.
So richtig angekommen ist Blanka Mouralová in Aussig nie. „Ich hatte nie das Gefühl, dass dort überhaupt jemand meinen Enthusiasmus für das Projekt teilt oder gar verstand, warum ich dort war“, sagt sie. „Mir kam es immer so vor, als ob man von mir erwarte, es mir erst zu verdienen, überhaupt dort sein zu dürfen“, sagt sie. Einmal, als die Stadt über einen neuen Vertrag für dasCollegium Bohemicum verhandelte, sei sie gar nicht zur Sitzung vorgelassen worden und musste auf dem Gang warten. „Ich fühlte mich teilweise von sämtlichen Informationen isoliert“, erinnert sie sich.
„Blanka Mouralová hat sich immer mehr in ihren eigenen Freundeskreis verschlossen und die Kommunikation nach außen vernachlässigt“, wirft ihr indes Kristina Kaiserová vor. „Das hat sich leider in der Wahrnehmung des Collegium Bohemicum durch einige Kollegen niedergeschlagen“, sagt Kaiserová, die meint, Mouralová habe auf viele arrogant gewirkt.
Dass Aussig Mouralová nicht aufgenommen habe, lehnt Kaiserová ab. Als 2014 eine Kontrolle des Höchsten Staatlichen Kontrollamts ernsthafte Fehler bei der Schöpfung staatlicher Zuschüsse feststellte, legte die Finanzdirektion dem Collegium Bohemicum eine Strafe in Höhe von 1,1 Millionen Kronen auf. „Die Stadt Aussig hat die Summe dann dem Collegium Bohemicum geliehen, damit es diese Sanktion überhaupt bezahlen kann. Wäre das nicht geschehen, wäre das Collegium Bohemicum heute im Konkurs“ sagt Kaiserová.
In seiner Pressemitteilung zur Abberufung Blanka Mouralovás erklärt der Verwaltungsrat, es habe ihre Kräfte überschritten, gleichzeitig die Ausstellung zusammenzubringen und das Collegium Bohemicum effektiv zu leiten. Letzteres bestätigt auch das tschechische Kulturministerium, das Blanka Mouralová vorwirft, es in einigen Fällen nicht geschafft zu haben, Fördergelder in voller Höhe zu schöpfen. Zudem wird sie kritisiert, seit zwei Jahren nicht mehr wirklich im Collegium Bohemicum präsent zu sein, seitdem sie 2014 eine leitende Stelle beim tschechischen Stasi-Archiv ÚSTR angenommen hat.
Türen bleiben offen
Bleibt natürlich die Frage, warum man bei einem so international wichtigen Projekt nicht einfach mehr Leute anstellt. Blanka Mouralová hat ihre Kompetenzen in der Konzeption und Durchführung des wichtigen Ausstellungsprojekts, das sie persönlich Bundespräsident Gauck vorgestellt hat, bewiesen. Es scheint, in Aussig ist es vor allem zu einem massiven Kommunikationsproblem gekommen.
Wichtig ist aber, wie es weitergeht. Im Januar 2016 wurde ein neuer Vertrag zwischen dem Collegium Bohemicum und seinen Trägern abgeschlossen, in dem sich die Stadt Aussig bereiterklärt, dem Collegium Bohemicum weiterhin entgeltlos Büroräume im Stadtmuseum zur Verfügung zu stellen und sämtliche Nebenkosten zu tragen. Außerdem hat sich die Stadt verpflichtet, das Collegium Bohemicum jährlich mit Mitteln von bis zu 1,5 Millionen Kronen zu unterstützen. „Realistisch ist, dass die Dauerausstellung über die Geschichte der deutschsprachigen Bewohner der Böhmischen Länder Ende 2018 eröffnet wird“, sagt Kristina Kaiserová. Blanka Mouralová würde sie gerne weiterhin als Kuratorin der Ausstellung sehen, betont sie. „Ich werde es mit überlegen, es hängt sowohl davon ab, wer mein Nachfolger im Collegium Bohemicum wird und welche Bedingungen mir geboten werden“, wiegt Blanka Mouralová noch ab. Das Angebot, die Ausstellung weiter zu betreuen ist jedenfalls kein Lippenbekenntnis, sagt der stellvertretende Kulturminister Vlastislav Ouroda: „Wenn Blanka Mouralová als Kuratorin ihr Werk zu seinem Höhepunkt bringen will, stehen ihr alle Türen offen. Und das ist keine Geste.“
Dieser Artikel erscheint im LandesEcho 11/12 2016.