Touristen machen in Prag Selfies mit den Wachen vor der Burg, mit der Wenzelstatue am Wenzelsplatz oder auch gern auf der Karlsbrücke. Einheimische hingegen wählen aktuell ein ganz anderes Motiv für ihre telefongestützte Selbstablichtung.
Eine alte Tatra-Straßenbahn des Typs T3 hat es zum heimlichen Star des öffentlichen Personennahverkehrs der tschechischen Hauptstadt geschafft. Dabei taucht diese Tram in keinem Fahrplan auf, hält nicht an Haltestellen und hat auch nur eine halbe Kabine. Die andere Hälfte des Aufbaus ist für eine Ladefläche reserviert, auf der Säcke mit Sand oder Streusalz transportiert werden.
Freilich war die Tram nicht immer ein Cabriolet. Bis 1990 transportierte sie wie ihre unzähligen Schienenschwestern Passagiere durch Prag. Dann folgte der erste Umbau zur Transportstraßenbahn mit Ladefläche und Hydraulikarm. Mit dem Arm konnte sogar ein ganzes Straßenbahn-Fahrwerk aufgeladen werden. Wegen einer Änderung der gesetzlichen Bestimmungen für den Schienenverkehr musste aber 1992 der Hydraulikarm wieder entfernt werden. Die Ladefläche blieb aber und die Tram wurde als Transporter für die Instandhaltung der Gleisanlagen genutzt.
Im Jahr 2003 bekam das Cabrio eine neue Aufgabe. Nach einem erneuten Umbau wurde ihm ein Schneepflug maßgeschneidert. Der kam auf der damals neuen und ungewöhnlich steilen Strecke nach Barrandow (Barrandov) zum Einsatz, die diese Tram als einzige in Prag schneefrei halten konnte. Mittlerweile fahren in Prag aber ganz neue Typen von Straßenbahnen, die auch die Steigung besser bewältigen können und so bekam das Cabrio wieder einen Umbau spendiert.
Seit Januar 2015 ist das orangene Cabrio nun mit Blaulicht im Dienste des Lärmschutzes unterwegs. Den ganzen Tag über fährt es das Prager Schienennetz ab und schmiert die notorisch quietschenden Streckenabschnitte. Dadurch ist ein viel leiserer Betrieb der Straßenbahnen möglich geworden und die früher unverkennbaren, schrillen Töne haben merklich abgenommen.
Durch den täglichen Einsatz ist die Cabrio-Tram zu einem kleinen Star geworden. Als eines der letzten T3-Modelle hat sie nicht nur Seltenheitswert in Prag, durch ihre ungewöhnliche Form fällt sie zwischen den moderneren Modellen des täglichen Betriebs besonders auf. Dabei gab es schon früher spezielle Straßenbahnen auf den Schienen der Hauptstadt. Die reichten von Müll-Trams bis zu Krankenwagen. Eines aber hatten all diese Straßenbahnen nicht: ihre eigenen erfolgreichen Fanseiten auf Facebook.
Dem Cabrio hingegen haben dort die „Freunde der Schmiermittel-Tram“ (Přátelé mazací tramvaje) im Juni eine eigene Seite gewidmet – mit etwas Augenzwinkern und viel Erfolg. Die Tram hat mittlerweile über 7 800 Fans, die immer neue Fotos aus allen möglichen und unmöglichen Perspektiven mit dem Schienen-Cabrio einsenden und alle Informationen rund um das einmalige Gefährt sammeln. Sogar ein aus Papier gebasteltes Modell im Maßstab 1:87 gibt es dort zu bewundern.
Der Straßenbahn-Typ Tatra T3, der so lange zum Stadtbild Prags und vieler weiterer Städte Europas (und Usbekistans) gehörte, mag mittlerweile durch modernere Trams ersetzt worden sein, Fans hat er noch immer – besonders, wenn er als Cabrio und mit Blaulicht daherkommt.
Die Fanseiten der Schmiermittel-Tram auf Facebook finden Sie: hier.
Dieser Artikel erschien in gekürzter Form im LandesEcho 8/2015.
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