Zum 70. Mal jährt sich am 5. Mai der Beginn des Prager Aufstandes, einem Ereignis, das am Ende des NS-Regimes im Protektorat Böhmen und Mähren stand. Trotz seiner geringen Beachtung ist sein Vermächtnis in Prag bis heute allgegenwärtig.
„Je právě sechs hodin“ (es ist gerade sechs Uhr) – mit diesen seltsamen Worten gab Zdeněk Mančal, ein Mitarbeiter des Prager Rundfunks, am 5. Mai 1945 das Signal zum Aufstand.
Schnell verstanden die deutschen Besatzer, was es bedeutete, dass im Rundfunk, anstelle der bislang üblichen Zweisprachigkeit, nur noch die tschechische Sprache herrschte und plötzlich verbotene tschechische Volkslieder im Äther erklangen.
Sofort wurde die Wehrmacht eingesetzt, um den Keim des Widerstandes im Rundfunkgebäude auf der heutigen Vinohradská Straße zu bekämpfen. Widerstand leisteten tschechische Gendarmen, Soldaten und Zivilisten, die sich vor dem Gebäude um die Verteidigung des Rundfunks kämpften. Unter anderem wurde auch schwere Technik eingesetzt. Schlussendlich wurde das Rundfunkgebäude sogar von der Luftwaffe stark bombardiert.
Warten ohne Ende
Der Kampf um den Rundfunk gilt bis heute als das Symbol des Prager Aufstandes. Dessen strategischer Zweck war es, die Durchfahrt der deutschen Wehrmacht durch Prag in den Westen zu verhindern. In den Straßen Prags wurden fast 1600 Barrikaden gebaut, meistens aus Kopfsteinpflastern, Fahrzeugen und Straßenbahnen. Hilfe fanden die Aufständischen, deren Lage schon zu Beginn relativ hoffnungslos war, von der gegen Stalin kämpfende Truppe russischer Deserteure des General Wlassow. Sie trug maßgeblich dazu bei, dass der Prager Aufstand nicht gleich nach dessen Ausbruch niedergewälzt wurde.
Die Prager Straßenkämpfe mit ihren schrecklichen Verlusten unter der Zivilbevölkerung, fanden in Erwartung der Befreiung der böhmischen Länder durch die Alliierten statt. Das Gerücht, die amerikanische Armee sei auf dem Weg nach Prag, mobilisierte Tausende Prager, die in den Straßen tschechoslowakische Fahnen hissten. Die erwartete Hilfe der Alliierten ließ jedoch etwas länger auf sich warten. Zwar hätte es der amerikanische General Patton nach der Befreiung Pilsens am 6. Mai noch rechtzeitig nach Prag geschafft. Seine Absicht stieß jedoch auf Widerstand der Sowjets, die sich der politischen Bedeutung der Befreiung Prags durchaus bewusst waren. Sie untersagten den Amerikanern den weiteren Vormarsch der über die festgelegte Demarkationslinie Karlsbad-Pilsen-Budweis hinweg.
Die verzögerte Befreiung, die Zerstörung der Stadt und die stetig ansteigende Zahl von Toten und Verletzten, zwang die Aufständischen zu Verhandlungen mit der Wehrmacht. Fast parallel zur bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht im französischen Reims am 8. Mai wurde ein Waffenstillstand in Prag beschlossen. Im Gegenzug zu den sofortigen Einstellungen der Kämpfe sicherten die Prager den flüchtenden deutschen Truppen eine ungestörte Durchfahrt durch ihre Stadt.
Vergessenes Vermächtnis
Am Ende des Prager Aufstandes steht eine traurige Bilanz von Toten: 1600 tschechische Aufständische, 300 Mitglieder der Wlassow-Armee, 1000 Deutsche und 4000 Zivilisten. Die Verluste der Roten Armee direkt in Prag beliefen sich auf 20 Gefallene. Trotzdem nahm die kommunistische Propaganda die entscheidenden Kämpfe in Prag für sich ein und stellte sie bis 1989 als legendären Befreiungszug der Roten Armee dar. Vor allem deswegen ist die Bedeutung dieses wichtigen historischen Ereignisses in Tschechien heute fast in Vergessenheit geraten. Das kollektive Gedächtnis erinnert sich eher an das Bild der Propaganda: Rotarmisten, die mit blühendem Flieder begrüßt werden.
Dennoch kann man in Prag dem Erinnern an den Aufstand nicht entgehen. Namen wie „Barrikadenbrücke“, „Barrikadenplatz“, „Heldenplatz“ oder die Metrostation „Prager Aufstand“ verbergen einen heute schon kaum beachteten historischen Hintergrund. Das größte Memento ist jedoch die unglaubliche Menge von bescheidenen Marmortäfelchen mit Namen der Opfer des Prager Aufstandes, die man fast überall in Prag sehen kann.
Nicht nur sollte man ihnen, den Helden jener unendlich erscheinenden ersten Maitagen vor 70 Jahren gedenken. Sondern man sollte sich auch bewusst werden, wie die Kommunisten und selbsternannte Freiheitskämpfer, deren Widerstand oft nur in Verbrechen an der deutschen Zivilbevölkerung nach Kriegsende bestand, das Vermächtnis des Prager Aufstandes missbraucht haben.
Dieser Artikel erschien im LandesEcho 4/2015.
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