John William Waterhouse: Eine Meerjungfrau (A mermaid, 1900). Foto: Waterhouse: Eine Meerjungfrau (A mermaid, 1900), Wikimedia Commons (als gemeinfrei gekennzeichnet)

Bewohner an Flüssen erzählten sich Geschichten von Wesen – halb Mensch und halb Fisch. Der Glaube an Wasserfrauen, Wassernixen und Wassermänner war in ganz Mähren, Böhmen und Schlesien verbreitet. Die Nixen, die als Wassergeister galten und für Menschen meist Unheil bedeuteten, wandelten zwischen zwei Welten: dem Diesseits und dem Jenseits.

Das Wasser rauscht‘, das Wasser schwoll,
ein Fischer saß daran,
sah nach dem Angel ruhevoll,
kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
teilt sich die Flut empor;
aus dem bewegten Wasser rauscht
ein feuchtes Weib hervor.

„Der Fischer“, Johann Wolfgang von Goethe

Die Odernixe

Eines Tages fischte der Sohn des Odermüllers in Partschendorf (Bartošovice) in der Nähe des Oderwehres: Doch wie oft er auch das Netz aus dem Wasser zog, es war immer leer. Die Nacht brach an, der volle Mond blickte vom Osten her über das Gebüsch am Ufer des Flusses und warf goldige Lichtstreifen auf das dunkle Gewässer. Der Jüngling beachtete das nicht: Missmutig dachte er daran, heimzukehren. Da bemerkte er, wie sich das Wasser in der Mitte des Flusses hob und wie sich Wellen in Kreisen zu den Ufern bewegten. Plötzlich tauchte ein Weib empor. „Gott hilf, die Odernixe“, rief er erschrocken, die aber redete ihn freundlich an und verhieß ihm einen reichen Fang und goldenen Lohn oberdrein, wenn er ihr Liebster sein wolle. Wenn er ihr sieben Tage treu bleibe, müsse er aber immer bei ihr wohnen und werde ohne Reue glücklich sein. Der Anblick des wunderschönen Weibes, der süße Klang ihrer wohltönenden Stimme, der verheißende Blick ihres großen Auges betörten den Jüngling, und er wurde ihr Liebster.

Niemand in der Mühle wusste davon, und doch fiel allen sein verändertes Wesen auf. Wie im Traum ging er umher, er mied die Arbeit, und wenn er ja etwas unternahm, misslang es ihm. Nur vom Fischfange kehrte er stets reich an Beute heim. Wiederholt schalt ihn sein Vater wegen seiner Verträumtheit und seines Nichtstuns. „Mit der Wirtschaft wird es zurückgehen, und du wirst einst ein Bettler sein“, meinte er. So vergingen sechs Tage. Am siebenten erfasste den Jüngling eine heftige Reue, er überlegte, was wohl aus ihm werden sollte, wenn er der Oderhexe ganz gehören werde und blieb ihr diesmal ferne. Doch noch in derselben Nacht ging ein furchtbares Unwetter nieder. Im ganzen Odertale floss der Regen in Strömen den Himmel herab, das Wasser im Flusse schwoll, stieg höher und höher und überschwemmte das Land auf beiden Ufern, so dass das Tal am nächsten Morgen einem weiten trüben See glich. Erst nach einigen Tagen zogen sich die Fluten in das Flussbett zurück. Als dann die Partschendorfer zur Oder gingen, um die Verwüstungen zu betrachten, die sie angerichtet hatte, gewahrten sie, dass die Mühle verschwunden war, das empörte Gewässer hatte sie mitgerissen, ebenso hatte es das Wehr zerstört.

Vom Müller und seinem Sohne wurde nichts mehr gesehen und nichts mehr gehört, beiden hat das Hochwasser ein kühles Grab bereitet.

Die Betschnixe

Der Besitzer des Schlosses Löschna (Lešná) ging abends häufig in seinem Garten spazieren: Mitunter vergnügte er sich dabei in einer Weise, dass er dem Teiche darin in einem Kahne umherfuhr. Als er eines Abends wieder das Ufer des kleinen Gewässers entlangschritt, hörte er eine Frau sehr angenehm singen und gewahrte, indem er nach der Sängerin blickte, im Kahne eine wunderschöne Jungfrau. Nun ging er jeden Abend in den Garten, besonders gern bei Vollmond, und so oft er die schöne Frau sah, sprach er mit ihr. Einmal bat er sie um ihre Liebe. Sie sagte sie ihm unter der Bedingung zu, dass er nie frage, wer sie sei und woher sie gekommen.Er versprach es und bald hernach wurde die Hochzeit der beiden gefeiert.

Es vergingen mehrere Monate. Der Herr blieb seiner Neigung zu der schönen Frau treu und erfüllte alle ihre Wünsche. Aber ihre Dienerin war ein böses und neidisches Geschöpf. Sie wusste dem Schlossherrn mancherlei über die Herrin zu erzählen: Anfangs schenkte er ihr kein Gehör. Als sie aber einmal vorbrachte, seine Frau sei immer unten am Kleide nass und kalt, auch habe sie keinen vollständigen Menschenleib, sondern sei vom Kopfe bis unter die Brust Mensch, vom Bauche an ein Fisch, erregte sich seine Neugier so, dass er sich vornahm, sich von der Richtigkeit dieser Mitteilung zu überzeugen.

Zurzeit des Vollmondes pflegte die Frau stets in einem besonderen Zimmer, zu dem niemand Zutritt hatte, ein Bad zu nehmen. Der Schlossherr ließ nun zu diesem Raume einen Schlüssel anfertigen und trat, gerade als sie im Wasser saß, ein. Sie sprang unbekleidet, wie sie war, auf und machte ihm Vorwürfe, warum er sie nicht in ihrer früheren Wohnung im Teiche gelassen habe: Dort sei sie glücklich gewesen. Nun müsse sie ihn verlassen und sterben. Blitzschnell hatte sie ein weißes Gewand angezogen, dann eilte sie hinaus, die Treppe hinab und verschwand in dem tiefen Brunnen, der sich im Schlosshofe befand. Der Schlossherr sah sie nie mehr. Wenn er später abends am Ufer des Teiches, wo er einst ihrem Lieblichen Gesange gelauscht, einherging, vernahm er aus dem Wasser ein bitterliches Schluchzen. 

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