Ein edler Ritter eilte den gepeinigten Dörflern zu Hilfe. Foto: Rübezahl – Sagen und Legenden um den Herrn des Riesengebirges. Verlag Carl Ueberreuter, Wien – Heidelberg. Auflage 1954.

Es war einmal ein Ritter, der Frau und Kind plötzlich durch den Tod verlor und darüber so in Trübsinn versank, dass ihm nichts auf der Welt mehr Freude machte. 

Es ward ihm unheimlich auf seiner Burg; ritt er zur Jagd aus, so schien ihm der Wald zu eng; der Wein mundete ihm nicht und dem Trost seiner Genossen und Freunde verschloss er das Ohr. Endlich beschloss er, seine Heimat auf lange Jahre zu verlassen, füllte den Säckel mit Goldgülden, befahl dem treuen Knappen, die Rosse zu schirren und übergab die Burg seinem Vogt Lutz. Und nun ritt er weit in das Reich hinein.

Solange der Ritter daheim gewesen war, hatten seine Dörfler und Insassen ein glückliches Leben geführt, das ward nun aber bald anders. Vogt Lutz ließ die Ältesten aus den Dörfern herbeirufen und sagte ihnen, dass sie von nun an doppelt so viel Abgaben bezahlen und statt dreier Tage fünf in der Woche fronen sollten. Nun merkten die Landleute erst, welch ein böser Mensch der Vogt sei, der während der Anwesenheit des Ritters nur immer den Katzenbuckel gezeigt hatte. 

Als sie drei Tage gefront hatten, glaubten sie, dass sie nun ihrer Pflicht Genüge getan hätten und bestellten am vierten Tage ihre eigenen Felder. Da kam um die Mittagsstunde der Vogt mit einem Schwarm gewappneter Knechte in die Dörfer und trieb die Bauern auf die Äcker. Er drohte ihnen mit schwerer Strafe, wenn er sie nochmals ungehorsam fände, und als die Bauern die Urkunde zu sehen verlangten, dass ihr Herr so Ungerechtes von ihnen begehre, hob er sein Schwert und sagte: „Seht, hier ist Brief und Siegel genug für euch!“

So mussten die Bauern ihre Felder vernachlässigen, sie konnten ihre früheren Abgaben nicht mehr entrichten, viel weniger die neu auferlegten. Da gingen die Ältesten zum Vogt und baten ihn auf den Knien, dass er das harte Gebot zurücknehmen möchte. Aber Lutz jagte sie mit Peitschenhieben aus der Burg. Und als die Bauern dennoch das unbarmherzige Gebot nicht erfüllen konnten und der Termin kam, ohne dass sie Geld hatten, ließ der harte Lutz ihr Vieh wegnehmen. Da vergaß sich ein junger Bauer und stieß böse Reden gegen den Vogt aus; dieser aber ließ ihn sogleich von seinen Knechten umringen und an den Schweif seines Rosses festbinden; so ward er zur Burg geschleift und dort in ein finsteres Verlies geworfen.

Im Dorfe aber wehklagten die Bauern, und am meisten jammerte Anna, die Braut des jungen Landmannes, der die Rache des Vogtes auf sich gezogen hatte. Sie lief weinend in den Wald, und niemand konnte sie trösten. Da begegnete ihr ein hoher Rittermann, der vom Kopfe bis zum Fuße in glänzenden Stahl gehüllt war. 

„Was weinst du, mein Kind?“, fragte der Ritter mit einer so wohltönenden Stimme, dass Anna davon wunderbar ergriffen wurde. Sie öffnete dem Fremden ihr ganzes Herz voller Zutrauen, indem sie ihm die Geschichte mit dem Vogt von Anfang bis zu Ende erzählte. Aufmerksam hörte ihr der Ritter zu und gebot ihr dann, die Ältesten aus den Dörfern herbeizurufen, die er an der Kapelle vor der Burg erwarten wolle.

Anna vollzog eilig sein Gebot, und ehe die Sanduhr zweimal gewendet war, fanden sich die Gerufenen an der bezeichneten Stelle zusammen. „Liebe Väter“, redete sie der Ritter an, „ich habe von dem Unrecht gehört, dass euch der böse Lutz zugefügt, und da ich ein fahrender Ritter bin, der überall gegen das Unrecht kämpft, so will ich auch euch in eurer gerechten Sache beistehen. Geht, ruft alle Männer zusammen, dass ich sie führe und die Burg des Vogtes stürme.“ Woher mochte es kommen, dass die besonnenen Greise gleich Vertrauen zu dem fremden Ritter fassten? Es war ihnen, als könne es gar nicht anders sein, als dass sie ihm Folge leisten müssten, und sie eilten in die Dörfer zurück, um den Vorschlag des Ritters kund zu machen. 

Als die Einwohner der drei Dörfer versammelt waren, überblickte der Ritter die zahlreiche Schar und sprach: „Wenn ihr Mut im Herzen habt, so folgt mir getrost, ich will euch die Burg erobern und den Vogt züchtigen helfen. Wer aber Furcht hat, bleibe daheim.“ Als sie die Burg erreicht hatten, rief der Anführer mit Donnerstimme hinauf, Lutz solle sich auf der Zinne zeigen.

Alsbald erschien auch der Vogt, von Neugier getrieben und Spott im Herzen; höhnisch blickte er auf die Feinde hinab. „Ergib dich, Lutz!“, rief der Ritter, „und bedenke dich nicht länger, als zwölf Sandkörner brauchen, um in der Uhr zu verrinnen!“

Ach, was sprudelte da der Vogt für Witz-und Schimpfwörter hinaus! Strolch und Strauchdieb wurde der Ritter, Galgenfutter die Bauern genannt; dann lief er zornig hinweg, um seinen Knechten zu befehlen, dass sie das Gesindel von dem äußeren Tore der Burg verjagen möchten. Nun ward ein Hagel von Bolzen nach den Bauern herab geschossen, aber die tödlichen Geschosse verfehlten alle ihr Ziel, und der fremde Ritter erhob indes seine ungeheure Streitaxt und spaltete mit einem Schlage das Tor der Burg. Hoch schwang er nun seine gewaltige Waffe und stürmte voran; ein wunderbarer Mut beseelte die Bauern, dass sie ihm jauchzend folgten.

Vergebens war alle Gegenwehr der Knechte; wie Blitz und Donner schmetterte die Streitaxt in ihre Reihen; da warfen die Reisigen ihre Waffen weg und baten um Gnade. Der Vogt hatte sich versteckt, ward aber bald gefunden. Der Ritter hielt ein kurzes Gericht; nachdem der junge Bauer aus dem Verlies heraufgeholt worden war, vertrieb er die besiegten Knechte aus der Burg.

Nun zog der Ritter ein Pergament hervor; es war die Urkunde vom Tode des eigentlichen Herrn der Burg, der den fremden Ritter zu seinem Erben eingesetzt, weil dieser ihm im Türkenlande einmal das Leben gerettet hatte.

Nun wäre der Ritter ihr neuer Gebieter gewesen, er schenkte aber die Burg und alle dazu gehörigen Ländereien dem jungen Landsmann, der Annas Bräutigam war, machte es ihm aber zur Pflicht, die Bauern nicht wie Leibeigene zu behandeln, sondern ihre Rechte zu wahren und zu schützen. Als alles dies vorüber war, wurde der neue Burgherr mit seiner Anna getraut, wobei der fremde Ritter schöne Geschenke zum Vorschein brachte.

Nun ermahnte er die Landleute noch zur Eintracht, und nachdem er dem zitternden Lutz befohlen hatte, ihm zu folgen, schied er aus ihrer Mitte, auf eine Weise, die das Staunen der Versammelten nicht wenig erregte. Eine dunkle Wolke senkte sich nämlich plötzlich hernieder und führte den Ritter samt dem Vogt ins Weite. Jetzt erkannten die Bauern mit einem Male, dass Rübezahl ihr Helfer gewesen war. Der neue Burgherr war mildherzig und brav. Die Bauern waren glücklich und erzählten noch ihren Enkeln mit Dank und Freude die seltsame Mär von Rübezahl und dem bösen Vogt, aber auch von dem letzten, guten Burgherrn, der so unendlich viel Gutes getan hatte und dessen Andenken lange in Ehren blieb.

Zusammengetragen von Irene Kunc


Dieser beitrag erschien zuerst in der landesecho-ausgabe 10/2023

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