Die Schlesische Universität in Troppau (Opava) hat für Anfang Oktober zusammen mit dem Österreichischen Kulturforum die Schriftstellerin Vea Kaiser für eine Lesung eingeladen. Nie von ihr gehört? Geboren 1988 in Sankt-Pölten in Niederösterreich, studierte Alt-Griechisch und dann kreatives Schreiben in Hildesheim in Niedersachsen. Sie absolvierte ein Writer-in-Residence-Programm in Bowling Green in Ohio und hat auch einen Monat im Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren verbracht. Seitdem wisse sie, dass man auf Tschechisch über Sex viel besser als auf Deutsch sprechen kann, sagt sie.
Jetzt ist sie freiberufliche Autorin und hat für das Studium keine Zeit mehr. Von ihrem Debütroman „Blasmusikpop oder wie die Wissenschaft in die Berge kam“ erschienen 2012 bei Kiepenheuer und Witsch in Köln (auf Tschechisch: „Popdechovka aneb Jak přišla věda do hor“ im Plus Verlag) wurden 125 000 Stück verkauft. Für einen offiziellen Bestseller muss in Tschechien eine Stückzahl von 10 000 Einheiten erreicht werden, in Deutschland 50 000. Über 100 000 Stück kommt in Tschechien eigentlich nur Michal Viewegh.
Vea Kaiser las aus ihrem zweiten Buch „Makarionissi oder die Insel der Seligen“. Es beginnt in Griechenland der 60er Jahre und zieht sich bis zu Jahrtausendwende, vom Bergdorf über Hildesheim, von Zürich bis nach Chicago. Sie ist eine geborene Erzählerin und Entertainerin. Die Szenen des Buchs spielte sie regelrecht vor. Es waren energiegeladene anderthalb Stunden. Es störte nicht, dass die Sätze, im Gegenteil zu dem, was man heute auf den „Schriftstellerkursen“ empfiehlt, extrem lang waren und der Stoff recht entfernte Ereignisse betraf, etwa die griechische Diktatur der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Als Vorbereitung dazu hat Vea mehr als 70 Bücher über Griechenland gelesen.
Sie mit dem Vornamen anzusprechen passt gut. Sie war die ganze Lesung über mit dem Auditorium in Kontakt und mit den Studenten war sie per Du. Wir waren etwa zwanzig Zuhörer im Lehrraum der Germanistikabteilung, die meisten waren Studenten und Lehrer, vom Schlesisch-deutschen Verein waren leider nur zwei Mitglieder gekommen. Vea war sich bewusst, im Ausland zu sein, und hat versucht, eventuelle Missverständnisse sofort zu klären. Eine lange Zeit zum Beispiel haben wir mit den Mentalitätsunterschieden zwischen Norddeutschland und Österreich verbracht.
Sie ist zweifelsohne eine Schriftstellerin mit großem „Sch“. Heutzutage muss man aber die Bücher auch vermarkten können und dabei spielt ihre Vorführungsart und überhaupt die Erscheinung und Energie in Kombination mit Talent zweifelsohne eine wichtige Rolle. Sie verbringt mehrere hundert Tagen im Jahr mit Lesungen. Die bilden einen wichtigen Teil ihrer Einnahmen. Zu Recht hat sie mit 26 schon so viel verdient, wie ich Richard Leichtunterdurchschnittsverdiener im ganzen Leben.
Mit dem Debüt hat Vea Kaiser auch ein Zeitphänomen berührt: Inwieweit ist die Volkstumspflege auf dem Lande und Vergöttlichung des reinen Dorflebens zeitgemäß und wahr? Sind die Trachten, Volksrock-and-roller Andreas Gabalier, Hausmannskost und anständige Beziehungen zwischen Dorflehrer, Pfarrer, Landdoktor und Bauer echt und nachhaltig? Sie spricht also die heutige Generation in den Städten an. Die weltoffenen, mit anderen Ländern und Sitten vertrauten, selbstbewussten Leute. Noch dazu müssen sie bereit sein, einen 500-Seiten-Roman zu lesen. Etwas Kürzeres entspricht nicht Vea Kaisers Natur.
Wir im Schlesisch-deutschen Verein sind froh, dass die Germanistik so etwas in Troppau organisiert. Für unseren Verein ist das leider derzeit außerhalb des Rahmens unserer Möglichkeiten.
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