Auf Demonstrationen in Deutschland sind die Teilnehmer zu oft nicht repräsentativ für die Gesellschaft. Anders ist es bei den Protesten gegen Premier Andrej Babiš auf dem Prager Wenzelsplatz. Davon können sich viele Deutsche eine Scheibe abschneiden.
Oft genug höre ich aus meinem Umfeld Beschwerden über die Politiker und ihre Arbeit, den aufkommenden Populismus und die zunehmende Legitimierung von rechten Strömungen. Aber sich irgendwie in ihrer Unzufriedenheit in einem größeren Rahmen bemerkbar zu machen, dafür reicht es dann doch nicht. Im Vergleich zu fast all meinen Freunden gehe ich oft auf Demonstrationen. Dabei gehe ich (noch) nur drei, vier Mal im Jahr.
Vielleicht liegt es ja daran, dass viele mit Demonstranten nur die Extremen verbinden? Möglicherweise denken sie zu politischen Demonstrationen und Kundgebungen kommen nur Skinheads und Anhänger des Schwarzen Blocks. Ich erinnere mich noch sehr gut an den G20-Gipfel 2017 in Hamburg. Die deutschen Medien wurden beherrscht von Bildern, die schwarz vermummte Gestalten beim Randalieren zeigten. Dass sehr viele Protestler friedlich blieben, wurde nur beiläufig erwähnt. Tja die, die am lautesten schreien…
Mich persönlich hat dieses negative Bild von Demonstranten dazu angespornt mehr auf die Straße zu gehen. Ich, parteilos, politisch keiner extremen Strömung zugetan, will zeigen, dass auch „Normale“ zu Protesten gehen. Die letzte wirklich große Demonstration auf der ich in Deutschland gewesen bin, war im September 2018. In Köln war ein Großaufgebot der Polizei, weil ein gewisser türkischer Autokrat eine Moschee in Deutschland eröffnete. Ein Freund von mir ist im Sozialistisch-Demokratischem-Studienverband (SDS), ihn habe ich angesprochen und mit seinen Parteifreunden bin ich nach Köln gefahren. Der SDS ist mir in seinen Ansichten eigentlich schon zu extrem. Aber Mitglieder moderaterer Parteien habe ich auch in meinem Freundeskreis, ebenso wie Parteilose, die auch nicht mit der Politik Erdogans einverstanden sind. Von ihnen wollte keiner gehen, richtig begründen konnten sie es nicht.
Dass ein etwas falsches Bild von Demonstranten, bei zumindest einigen zu herrschen scheint, wurde mir auch seitens meiner Familie bestätigt. Meine Mutter ist nicht immer begeistert, wenn ich zu einer Demo gehe, mein Vater hingegen schon. Aber sogar er kommt mit dem ernsthaften Angebot mich nötigenfalls von einer Polizeistation abzuholen. Andere fragen mich, ob ich denn auch die Mollis und eine Sturmhaube dabei habe.
Und hier in Prag, war ich zum ersten Mal Teil einer Demonstration im Ausland. Es war der groß angelegte Protest gegen die Justizministerin Marie Benešová vom 21. Mai. Obwohl die Reden und Rufe der Demonstranten eigentlich mehr gegen den Premier Babiš gingen. Auf dem Wenzelsplatz war es zum Brechen voll. Unweigerlich hatte ich die Bilder vom Prager Frühling im Kopf.
Der in meinen Augen größte Unterschied zwischen tschechischen und deutschen Demonstrationen ist die Beflaggung. In Deutschland befinde ich mich immer auf der Seite, auf der keine Deutschlandfahnen gezeigt werden. Aber hier in Tschechien traut man es sich mit der Landesfahne zu kommen. EU-Fahnen waren auch vertreten.
Eine andere Sache, die mir auffiel und schon durch Zeitungsartikel bekannt war, ist, dass eine Demonstration in Tschechien eigentlich nur bedeutet, dass Reden geschwungen und Sprüche propagiert werden. In Deutschland wird ja meist vorher oder nachher durch die Stadt gelaufen, um möglichst viele Menschen auf die Aktion aufmerksam zu machen. Die Reden auf Kundgebungen sind mir übrigens oft zu inhaltslos, zu wiederholend und zu publizistisch aufgemacht. Vielleicht auch ein Grund, warum das politische Spektrum auf deutschen Demos so klein ist. Ob das auch für in Tschechien zutrifft, möchte ich nach nur einer Demo nicht beurteilen.
Das Publikum auf dem Wenzelsplatz war übrigens sehr durchmischt. Von Familien mit Kindern bis hin zu Rockern. Jede Altersgruppe war gut vertreten. Hier war wirklich eine Nation zusammen gekommen. Aber das mag nicht repräsentativ für Tschechien sein. Die bundesweiten Proteste im April gegen die hohen Mietpreise in deutschen Großstädten hatten (leider) auch ein deutlich vielfältigeres Publikum, als ein Gegenaufmarsch zu sogenannten identitären Bewegungen.
Demonstrationen reichen natürlich in den seltensten Fällen aus, um etwas zu verändern. Aber wenigstens machen sie auf ein Problem aufmerksam. Und je mehr Menschen kommen, desto eher wird etwas bewirkt. Ist in der Öffentlichkeit ein Mangel bewusst, können politische Konzepte greifen und etwas verändern. Aber sich in kleinem Kreise über die Missstände zu beschweren und darauf zu hoffen, dass es irgendwann schon wieder besser wird, hat noch nie etwas gebracht.
Viele gehen erst dann auf die Barrikaden, wenn das Problem eigentlich schon nicht mehr abzuwenden ist. Ein Fehler in meinen Augen, denn dann droht eher eine Eskalation der Lage. Aus der Vergangenheit sollte man lernen, welche Anzeichen es gibt, wenn eine Gesellschaft bedroht ist. Und schon bei diesen Erscheinungen ist aufzuwachen. Denn Demokratie, Frieden und Freiheit sind auch in Europa keine Selbstverständlichkeit.
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Wenn man mit der U-Bahn in Prag unterwegs ist, sieht man häufig Tschechen mit einem Buch in der Hand. Kein Wunder also, dass die Prager Buchmesse ein so breitgefächertes Angebot zu bieten hatte. Obwohl mir dort etwas fehlte.