Das Kulturzentrum im nordböhmischen Groß Tschochau (Řehlovice) ist einer der wenigen Orte, an dem seit über 20 Jahren deutsch-tschechische Begegnungen stattfinden. Mit viel Engagement und künstlerischer Improvisation wurden Teile des früheren Meierguts instandgesetzt. Doch nun ist eine große Sanierung fällig. Dafür braucht das Zentrum Unterstützung.
Auf der Wiese stehen Sandsteinskulpturen. Sie sind das Ergebnis eines zweiwöchigen deutsch-tschechischen Bildhauersymposiums, das hier jedes Jahr stattfindet. Dahinter erstreckt sich die Ruine der einstigen Brauerei von Groß Tschochau (Řehlovice). Sie ist Teil eines früheren Meierhofs. Von ihr stehen nur noch die Umfassungsmauern und Teile des Giebels. Die Fenster sind riesige Löcher. Nur ein kleiner Teil konnte bislang saniert werden. An einer der kahlen Wände hat jemand in Großbuchstaben das Wort UTOPIE gemalt.
Utopisch mag das richtige Wort sein für das, was Lenka Holíková und ihre Mitstreiter vom Kulturzentrum Řehlovice bereits seit über 20 Jahren auf dem ehemaligen Meierhof geschaffen haben. Nicht nur Bildhauer, auch Künstler aller Sparten, Designer, Kinder und Jugendliche, Freiwillige, aber auch Politiker, Botschafter und Wissenschaftler gaben sich hier schon die Klinke in die Hand. Es finden Ausstellungen, Seminare, Workshops, Konzerte, Feste und Debatten statt und so gut wie alle sind grenzübergreifend. Das Gelände im Böhmischen Mittelgebirge nahe der Stadt Aussig (Ústí nad Labem) ist zu einem der wenigen Orte deutsch-tschechischen Austauschs im sächsisch-tschechischen Grenzgebiet geworden, also ein Kulturzentrum, das Veranstalter und zugleich ein Ort ist, an dem Begegnungen möglich sind. Die meisten sagen Řehlovice, wenn sie von dem Zentrum sprechen. Weil es für Deutsche so unaussprechlich ist, dann Rehlovice oder einfach nur kurz Rehlo.
Im Sommer Idylle – Im Winter geschlossen
Doch diese Begegnungen finden unter den oben beschriebenen utopischen Bedingungen statt. „Im Sommer ist das hier ein idyllischer Ort“, entfährt es jedem Besucher. In 20 Jahren hat sich viel getan. In den 1990er Jahren waren die Gebäude Ruinen. 40 Jahre diente der Meierhof einer sozialistischen Agrargenossenschaft. Völlig heruntergewirtschaftet hatte sie der Vater von Lenka Holíková übernommen. Doch für große Sprünge fehlte das Geld. Von Beginn an wurde ein Teil des Hofes vom Kulturzentrum genutzt. Alles, was bisher geschafft wurde, ist dem Mittun vieler Unterstützer und Teilnehmer zu verdanken. „Für Künstler ist so ein Umfeld sehr inspirierend“, weiß Lenka Holíková, selbst Künstlerin.
Die frühere Brauerei von Groß Tschochau (Řehlovice) – heute Kulturzentrum – konnte bislang nur teilweise saniert werden. Foto: Steffen Neumann
Doch große Teile des Hofes liegen weiter brach und sind dem Verfall preisgegeben. Was im Sommer noch eine Idylle ist, kann im Winter nicht genutzt werden. „Unsere Veranstaltungen beginnen frühestens im März und enden spätestens im November“, sagt Holíková. In der kalten Jahreszeit ist das Zentrum verwaist. Hier schlummert also noch eine Menge Potenzial. Das blieb nicht verborgen.
Unlängst stattete der Bezirksrat für Kultur und Tourismus, Jiří Řehák, dem Gelände einen Besuch ab. Der Bezirk Aussig möchte in Zukunft ein Netzwerk von kreativen Zentren aufbauen. Helfen sollen EU-Mittel aus dem Programm „Gerechte Transformation“ für die tschechischen Kohleregionen, das mit rund 600 Millionen Euro ausgestattet ist, und der Nationale Aufbauplan nach der Pandemie, in dem umgerechnet bis zu 320 Millionen Euro für Kultur und Kreativwirtschaft vorgesehen sind.
Rettung der barocken Brauerei
Diese Mittel könnten dem Zentrum in Groß Tschochau helfen, endlich die Brauerei zu sanieren. Dabei handelt es sich um eine der wenigen in Tschechien noch erhaltenen barocken Brauereien. „Das Kulturzentrum macht eine gute Arbeit. Die Chancen stehen gut“, bescheinigt Bezirksrat Řehák. Vor vier Jahren wurde die Brauerei einem Verein, der Rest blieb in Familienbesitz. Parallel gründete sich ein deutscher Unterstützerverein. Schon 2019 gab es Pläne, die barocke Brauerei zu erhalten. Die wurden aber durch die Pandemie ausgebremst.
Nun nehmen Lenka Holíková und ihre Unterstützer einen neuen Anlauf. Für die Sanierung gehen sie von einem sechsstelligen Euro-Betrag aus. Damit soll nicht nur das Dach der Brauerei gedeckt und die Fenster erneuert werden. „Uns ist Nachhaltigkeit sehr wichtig“, betont Holíková. So soll ein Teil des Daches mit Photovoltaikanlagen gedeckt werden. Sollte es mit der Förderung klappen, hat der Verein ein Problem. Schon die Eigenbeteiligung übersteigt seine Möglichkeiten. Deshalb haben sie auf der Crowdfunding-Plattform Startnext eine Spendensammlung gestartet. Gebraucht werden mindestens 25000 Euro. Der Start lief gut. Die Kampagne läuft bis 9. Oktober. Zur Halbzeit steht man bei fast 10000 Euro. Um das Ziel zu erreichen, braucht es aber einen knackigen Endspurt.
Spendenkampagne auf Startnext
Umso mehr, da der Verein schon vorher die Fördermittel beantragen muss. Die Fristen sind sehr kurzfristig gehalten. Insofern wäre ein ermutigendes Signal aus der Startnext-Kampagne eine große Hilfe. „Je mehr Eigenkapital wir vorweisen können, um so größer unsere Chancen“, weiß Holíková. Ob es mit der Förderung auch wirklich klappt, liegt dann in anderen Händen. „Es wäre schön. Wenn nicht, war die Spendensammlung aber nicht umsonst“, hat Lenka Holíková schon eine Alternative im Ärmel: „Mit dem Geld finanzieren wir eine Visualisierungsstudie und Baupläne, an denen schon gearbeitet wird“, sagt sie. Damit kann der Verein dann mit der Sanierung beginnen und sich gleichzeitig noch an anderen Stellen um Fördermittel bewerben.
Die Leute um Lenka Holíková haben sehr klare Vorstellungen, was in der Brauerei künftig passieren soll. „Wir brauchen dringend einen Seminarraum. Außerdem sollen weitere Künstlerateliers entstehen und im Turm wollen wir Räume für befristete Künstleraufenthalte, sogenannte ‚Artists in Residence‘, einrichten“, sagt sie. Hat die Spendenkampagne Erfolg, könnte aus der Utopie Realität werden.