In Tschechien leben immer mehr Menschen in wirtschaftlicher und sozialer Not. Das zeigt das Projekt „Neviditelní“, das in einer aktuellen Analyse bestimmte Personengruppen als besonders gefährdet einstuft. Die Folgen kosten den Staat jährlich hunderte Milliarden Kronen.
In den letzten fünf Jahren ist die Zahl der Menschen, die von wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten bedroht sind, in Tschechien gestiegen. Fast 1,4 Millionen und damit ein Achtel der tschechischen Bevölkerung seien demnach „ohne Unterstützung und Chance auf ein würdiges Leben“, wie Vertreter des Projekts „Neviditelní“ (dt. die Unsichtbaren) am Dienstag auf einer Pressekonferenz erklärten. „Neviditelní“ ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem Zentrum für Wirtschafts- und Marktanalysen (CETA), Provident Financial, dem Verbraucherforum und weiteren Organisationen. Der dadurch entstehende jährliche Schaden für den Staat soll sich auf 279 Milliarden Kronen (ca. 11 Milliarden Euro) belaufen.
Projekt identifiziert zehn Risikogruppen
Zu den ermittelten „unsichtbaren“ Risikogruppen gehören vor allem Menschen, die aufgrund von Benachteiligungen in finanzielle Not geraten. Laut Auswertung des CETA-Zentrums trifft das auf die folgenden Gruppen zu: Alleinerziehende, Senioren 65+, informelle Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Berufstätige über 50 ohne Arbeit, Mitglieder der Schattenwirtschaft, Beschäftigte im Niedriglohnsektor, junge Familien, Schüler aus einkommensschwachen Familien sowie junge Erwachsene aus Pflegefamilien. Gemeinsam ist ihnen, dass sie geringere Einkommen, schlechtere Gesundheitswerte und unsichere Arbeitsbedingungen aufweisen. Das Projekt „Neviditelní“ läuft seit 2019 und untersucht, wie sich soziale Ausgrenzung entwickelt.
CETA-Direktor Aleš Rod erklärte, dass die Zahl der gesellschaftlich „Unsichtbaren“ weiter steige und es dem Staat bislang nicht gelungen sei, die strukturellen Ursachen zu beheben. Die Krisen der vergangenen Jahre – von der Corona-Pandemie über die Energiekrise bis hin zu Krieg und Inflation – hätten die Lage zusätzlich verschärft. Schon 2019 hatte CETA davor gewarnt, dass es sich nicht nur um ein wirtschaftliches, sondern auch um ein soziales und politisches Problem handle. „Wenn wir nicht effektiv mit den ‚Unsichtbaren‘ zusammenarbeiten, kann es passieren, dass sich die politischen Ansichten in diesen Gruppen radikalisieren und die Situation eskaliert“, so Rod.
Maßnahmen gegen soziale Unsichtbarkeit
Ein Schwerpunkt der neusten Untersuchung liegt auf dem Einfluss des demografischen Wandels, der besonders vier der unsichtbaren Risikogruppen betrifft. Laut Projektmanagerin Jana Pikardová habe sich die Zahl der Senioren in Not seit 2019 um 58.000 auf 947.000 erhöht. Die Kosten für den Staat stiegen dabei jährlich um 3,2 Milliarden Kronen (ca. 128 Millionen Euro). Auch die Zahl erwerbsfähiger Arbeitsloser über 50 wuchs auf über 110.000, was zu jährlichen Verlusten von mehr als 61 Milliarden Kronen (etwa 2,4 Milliarden Euro) führt. Weitere betroffene Gruppen seien informelle Pflegekräfte und Sozialarbeiter, deren gesellschaftliche Rolle oft unterschätzt wird.
Experten empfehlen deshalb gezielte Fördermaßnahmen vor allem für Menschen im Alter von über 50 Jahren: mehr Anreize für Unternehmen, ältere Menschen zu beschäftigen, Umschulungsprogramme, erleichterte Arbeitsbedingungen im Rentenalter und mehr bezahlbarer Wohnraum für Senioren. Zudem sollten pflegende Angehörige finanziell entlastet und das Sozialwesen besser ausgestattet werden. Notwendig sei eine enge Zusammenarbeit zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, um die zunehmende soziale Unsichtbarkeit zu bekämpfen.