In Elbleiten (Labská Stráň), einem kleinen Dörfchen in der Böhmischen Schweiz, kümmern sich Eva Mašková und ihr Verein „Spolek pro Labskou Stráň“ seit fünf Jahren um die Gräber der ehemaligen Deutschen. Wie schon in den letzten Jahren half ihnen dabei am ersten Wochenende im Juli eine Gruppe Freiwilliger.

„Die Veranstaltung findet jährlich in Zusammenarbeit mit der Organisation Brontosaurus statt“, erklärt Eva. „Manche Leute nehmen immer wieder teil, es gibt jedes Mal aber auch viele neue Gesichter. Es kommen junge, alte, wir hatten sogar ein paar Kinder dabei.“

Am 5. Juli dieses Jahres sind um die zwanzig Leute in dem kleinen Dorf bei Tetschen (Děčín) zusammengekommen, um auf den verlassenen Grabstätten Blumen zu pflanzen, Grabumrandungen zu erneuern und vor allem den nächsten Schub zerschmetterter Grabplatten hinter der Friedhofsmauer zu finden. Denn der Lauf der Geschichte machte auch vor dem hiesigen Friedhof nicht Halt. Tereza, die in Elbleiten lebt und regelmäßige Teilnehmerin der ehrenamtlichen Veranstaltung ist, erzählt, dass die neu angekommenen Tschechen nach dem Krieg keinen neuen Friedhof gründeten, sondern den alten weiter benutzt haben. Natürlich gab es dann ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr genügend Platz – und so nahmen die neuen Einwohner Elbleitens die alten gläsernen Grabplatten oder sogar ganze Sandsteingrabsteine und warfen sie auf die Müllkippe hinter der Friedhofsmauer. Eva Mašková hat sich vorgenommen, so viele wie möglich aus dem Erdboden zu bergen und zu restaurieren. 

Chroniken nach dem Krieg zerstört

„Es ärgert mich“, erzählt sie schon am Donnerstag bei dem ersten Treffen der Freiwilligengruppe im dörflichen Gemeindehaus, „denn die Namen auf den Grabsteinen sind die letzten Zeugnisse der Leute, die hier einst gelebt haben. Nach dem Krieg haben die neuen Einwohner sogar die Chroniken zerstört, das Forschen auf dem Friedhof bietet also die einzige Chance, etwas über die Geschichte des Dorfes zu erfahren und vielleicht Kontakt mit den Nachkommen der Deutschen aufzunehmen.“

Auf die Idee, die Grabstätten zu retten, kam sie, als sie eines Tages das Grab ihrer Familie auf dem Friedhof besuchte. „Der alte Grabstein, den unser Steinmetz jetzt da in der Ecke restauriert“, zeigt sie uns, ehe wir am nächsten Morgen mit dem Arbeiten anfangen, „stand gleich neben dem unseren. Und eines Tages fand ich ihn umgestürzt auf dem Boden liegend. Ich wurde ziemlich wütend, weil ich damals dachte, dass dies das überhaupt letzte deutsche Grab hier sei. Ich sprach mit der Bürgermeisterin, um zu sehen, was gemacht werden könnte, und damit ist das Ganze in Gang gekommen.“

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Mehrere Grabplatten geborgen

Der Verein hat inzwischen viel erreicht. Drei der vier verbliebenen deutschen Gräber werden jetzt von ihnen verpachtet und gepflegt, darunter auch jenes mit dem umgestürzten Grabstein. Eva zeigt uns die anderen – eines gehört einem jungen Mädchen, in dem anderen wurde der Gründer dieses Friedhofes begraben. 

Bei diesem Grab macht sich ein Teil der Gruppe gleich an die Arbeit. Johanka, eine junge Frau aus Tetschen, gräbt Büsche hinter dem Grabstein aus, damit sie ihn nicht umkippen. Petra, die in ihrem eigenen Dorf einmal den deutschen Friedhof retten möchte, pflanzt Blumen. Die anderen Freiwilligen haben sich mittlerweile mit Spaten in der Hand hinter der Friedhofsmauer versammelt. Vorsichtig durchsieben sie den Boden. Allmählich taucht im Laufe des Tages eine Scherbe nach der anderen auf. „Hier ruhet in Frieden…“, „… Jänner 1926…”, „Unser lieber Sohn und Onkel…”. Nach und nach entstehen drei fast komplette Grabplatten.

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Seit Jahrzehnten im Boden ruhende Grabplatten bringt die Gruppe ans Licht. Foto: Tomáš Štec

Weitere „Schätze“ ruhen im Boden

„Das habe ich gar nicht erwartet”, freut sich Eva. „Wir haben mehrere Jahre lang hinter der Mauer herumgesucht und schon viele Platten gesammelt. Ich war mir sicher, diesmal nichts mehr zu finden. Jetzt wissen wir aber, dass hier unter dem Boden doch noch weitere Schätze versteckt sind.” Eva Mašková hat deshalb vor, noch weitere Freiwilligenveranstaltungen zu organisieren und die gefundenen Grabplatten eventuell zu restaurieren. Leider können sie nicht an ihre ursprünglichen Plätze zurückgebracht werden. Selbst wenn man weiß, wo genau sie sich einst befunden haben, befinden sich dort mittlerweile neue Urnengräber.

„Meine Idee wäre, die restaurierten Grabplatten an der Mauer des historischen Leichenhauses auszustellen. So könnten sie alle Besucher an einer würdigen Stelle sehen”, meint Eva. Wenn es soweit ist, würde sie gerne auch offizielle Vertreter einladen, um der Thematik größere Aufmerksamkeit zu verschaffen. Bis dann muss noch viel gemacht werden. Aber wer weiß, vielleicht werden schon nächstes Jahr die letzten Scherben aus der Erde hinter der Friedhofsmauer geborgen.

Zur Website des Vereins „Spolek pro Labskou Stráň“: https://spolekprolabskoustran.webnode.cz/de/

Dieser beitrag erschien zuerst in der landesecho-ausgabe 8/2024

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