Die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York jähren sich zum 20. Mal. Die Redaktion und Autoren des LandesEcho erinnern sich an diesen Tag, der fast 3.000 Menschen das Leben kostete und den „Krieg gegen den Terror“ auslöste.
Steffen Neumann: Ein Gefühl der Bedrohung
Ich arbeitete damals in einer Berliner Agentur, die Wirtschaftsbriefe herausbrachte. An dem Tag saß ich in der Redaktion. Ich weiß noch, dass es ein wunderschöner Tag war. Und wie sich herausstellte, war auch in New York strahlendes Wetter. Ich hatte noch nie so richtig die Zeitverschiebung drauf. Doch am 11. September wurde sie mir schmerzlich bewusst. Ich arbeitete fleißig an den Texten, der Redaktionsschluss stand bevor. Bei uns war Nachmittag, in New York fing der Tag dagegen gerade erst an, als wir die Nachricht lasen, ein Flugzeug sei in das World Trade Center gestürzt. Wie viele konnten auch wir das nicht glauben. Und wie viele andere schalteten wir sofort den Fernseher ein und mussten mit ansehen, dass es tatsächlich wahr war.
Dieser Tag war gelaufen. Ich weiß noch, dass wir nichts mehr groß für die Arbeit zustande brachten und nur noch wie hypnotisiert vor dem Bildschirm saßen. Wir redeten über nichts anderes mehr. Es war bedrückend und ein völlig neues Gefühl. Nachdem ich die friedliche Revolution in der DDR hautnah miterlebt hatte, als sich jeden Tag etwas änderte und das über Monate, war dieser Tag das erste Mal wieder das Gefühl einer Bedrohung da, die ich so nur als Kind gekannt hatte, als die Lehrerin in der ersten Klasse über den Einsatz der Neutronenbombe sprach.
Hans-Jörg Schmidt: Fassungslosigkeit, Trauer und Wut
Mein 11. September 2001 war bis zum frühen Nachmittag ein gewöhnlicher Dienstag, ruhig, mit der üblichen Alltagsarbeit in meiner Prager Wohnung. Nachdem bei mir wie immer durchgehend der tschechische Hörfunk gelaufen war, schaltete ich kurz vor 15 Uhr den Fernseher auf meine deutschen Programme, um mir die „Tagesschau um drei“ anzusehen. Dabei geschah Unglaubliches: Der Sprecher verkündete, dass soeben Nachrichten und Bilder kämen, wonach das World-Trade-Center in New York brenne, nachdem vermutlich ein zweimotoriges Flugzeug in einen der Zwillingstürme geflogen sei. Während dieser Worte sah man ein Live-Bild von dort und darauf, wie gerade schon das zweite Flugzeug in den anderen Turm raste und alles lichterloh in Flammen setzte.
Schon da erledigte sich die erste Vermutung von einem Unfall. Es waren ja gleich beide Türme des WTC attackiert worden. Ich schaltete um auf die Live-Berichterstattung von CNN. Immer wieder strahlten die die Bilder von den Flugzeugeinschlägen aus. Damals kannte man den Begriff „Fake news“ noch nicht. Ich hätte mir gewünscht, dass ich völligen Falschmeldungen aufgesessen sei – allein, es war nicht an dem.
Ich habe mich die folgenden Stunden kaum vom Fernseher wegbewegt und versucht, das Gezeigte zu begreifen. Anfangs war ich nur fassungslos, später kamen Trauer und eine große Wut hinzu. Am schlimmsten waren für mich die Bilder, die zeigten, wie sich allen Ernstes Menschen, die nicht mehr aus noch ein wussten, mehrere Hundert Meter in die Tiefe und damit in den sicheren Tod stürzten. Unfassbar.
Natürlich rief ich alle möglichen Leute an, um mit ihnen über das Geschehen zu sprechen. Die neunziger Jahre, da waren wir uns einig, hatten uns die innere Gewissheit gegeben, in einer mehr oder weniger heilen Welt zu leben. Der Westen hatte den Kalten Krieg gewonnen, hatte scheinbar keine Feinde mehr. Dieses Gefühl der Sicherheit war mit einem Mal weg.
Was folgte, konnten wir nicht ahnen. Gerade dieser Tage wurden wir Zeuge, wie es endete, auf dem Flughafen von Kabul. 9/11 hatte eine Zeitenwende eingeleitet. Keine zum Guten hin.
Manuel Rommel: Kein Actionfilm
Am 11. September 2001 ging ich gerade in die vierte Klasse und war noch nicht ganz zehn Jahre alt. Dass New York eine große Stadt in den USA ist, wusste ich vor allem aus Hollywood-Blockbustern, aber um die große Weltpolitik kümmerte ich mich noch nicht. Die Anschläge auf das WTC gehören jedenfalls zu den ersten großen Ereignissen des Weltgeschehens, an die ich mich aktiv erinnern kann.
Ich komme aus einer evangelischen Familie aus einem kleinen Dorf in der thüringischen Rhön. Es war ein Dienstagnachmittag und während die Anschläge passierten, war ich gerade in der „Christenlehre“, einer Art Bibelstunde, zu der alle Kinder gingen, die später konfirmiert werden. Nach der „Christenlehre“ ging ich direkt zu einem Freund in unserer Nachbarschaft. Eigentlich wollten wir bei dem schönen Wetter draußen spielen, aber mein Freund saß zuhause ganz gebannt vor dem Fernseher. Erst nach einigen Minuten begriff ich, dass dort keiner der besagten Actionfilme über den Bildschirm flimmerte, sondern dass in der realen Welt wirklich gerade zwei Flugzeuge in Hochhäuser geflogen waren. Als ich später nach Hause ging, fand ich meine Familie ebenfalls vor dem Fernseher vor. Die beiden Türme waren inzwischen eingestürzt.
Was an diesem Tag geschah, begriff ich damals nicht wirklich. Genauso wenig, was eigentlich Terroristen sind und warum man überhaupt so etwas Grausames tun sollte. Eingeprägt hatten sich mir vor allem die Bilder: die zwei brennenden Türme, und Menschen, die aus Verzweiflung in den Tod springen. Für einen in vollkommener Sorglosigkeit aufgewachsenen Neunjährigen nicht gerade leicht zu verarbeiten. In meinem Kopf tauchte die beunruhigende Frage auf: „Beginnt jetzt ein Krieg?“
Die Anschläge auf das WTC waren am nächsten Tag das bestimmende Thema sowohl auf dem Schulhof als auch im Unterricht. Unsere Lehrer versuchten, uns die verstörenden Bilder zu erklären. Anschließend hielten wir in der Klasse eine Schweigeminute ab.
Lucie Drahoňovská: Viele Fragen
Diesen Tag werde ich – wie fast alle Menschen – wohl kaum vergessen. Ich war damals in der Redaktion der Prager Zeitung beschäftigt und wir besprachen gerade die nächste Ausgabe. Da hat uns ein Kollege zum Fernseher gerufen, wo wir den inzwischen rund um die Welt bekanntgewordenen Szene zusahen: Zwei Flugzeuge stürzen kurz nacheinander ins WTC in New York. Ein Schreck, dann Stille… und dann viele Fragen. Fürchterliche Bilder, die wahr waren.
Richard Neugebauer: Die Ära der Sorglosigkeit war vorbei
Der 11. September 2001 war ein Werktag. Den ganzen Tag und einige Monate davor saß die Kontrolle des Finanzamtes bei uns im Büro. Wir hatten uns seit acht Jahren bemüht, kleine Unternehmen zu fördern und wegen Änderung des Beschäftigungsgesetzes sollten wir nun einen großen Teil der Fördermittel zurückzahlen. Nachdem die Kontrolleure weg waren, mussten wir noch die Arbeit abwickeln, die den ganzen Tag wegen der Kontrolle ruhte.
Auf dem Heimweg habe ich über den Angriff etwas vom Autoradio mitgekriegt. Gegen 22.00 Uhr bin ich nach Hause gekommen. Meine Schwiegermutter saß mit meiner Frau in der Küche: „Hast du von dem Schreck gehört?“ Die zwei im Dunklen sitzenden Frauen haben mich an den 21. August 1968 erinnert. Auch damals hatte man Angst und meine Mutter sagte: „Wir müssen Mehl kaufen. Falls der Krieg kommt…“ Meine Mutter sowie die Schwiegermutter hatten den Zweiten Weltkrieg als Kinder erlebt. Ist es jetzt genauso schlimm? „So viele Tote“, setzten die Frauen fort und wir sahen uns starr die Sequenzen im Fernsehen an. Es hat mich ein Gefühl der Ungerechtigkeit überfallen. So viele waren es gar nicht. Beim Hochwasser in Bangladesch oder beim Erdbeben in Indonesien kommen hundertmal mehr Leute um und keinen stört es. Die ungerechte mediale Welt!
Jetzt rückblickend sehe ich, es war das Ende der Ära der Sorglosigkeit – am Flughafen, auf der Straße oder im Haus. Heute versuchen Terroristen, in der Schuhsohle Waffen ins Flugzeug zu schmuggeln, an Stränden Tunesiens sitzen Wachen mit Maschinengewehren und man muss auch im eigenen Schlafzimmer einen Angriff der Drohne fürchten. Man darf dieser zwar realen, durch die Medien übertriebenen Gefahr aber nicht allzu sehr unterliegen.