Eine Woche nach Beginn der Impfungen gegen COVID-19 in Tschechien stellte die Regierung nun ihre Impfstrategie vor. Derweil verzeichnet Tschechien in den letzten sieben Tagen die meisten Infektionen pro eine Million Einwohner weltweit.
Am 27. Dezember des vergangenen Jahres begannen in den Ländern der Europäischen Union die Impfungen gegen COVID-19. In Tschechien ließ sich Premierminister Andrej Babiš medienwirksam als einer der Ersten impfen. Über eine Woche später informierte die tschechische Regierung nun über ihre nationale Impfstrategie, die das tschechische Gesundheitsministerium bereits Ende Dezember teilweise veröffentlicht hatte. Demnach sollen die Impfungen grob in drei Phasen ablaufen. In der ersten Phase zwischen Januar und März sollen die am meisten gefährdeten Risikogruppen geimpft werden, also vor allem Über-80-Jährige und medizinisches Personal auf den Corona- und Intensivstationen in Krankenhäusern. „In dieser ersten Phase geht es um etwa 600.000 Menschen“, rechnete Gesundheitsminister Jan Blatný (parteilos, für ANO) auf der Pressekonferenz am Dienstagnachmittag vor. In einer zweiten Phase sollen weitere Risikogruppen geimpft werden, erst dann ist die restliche Bevölkerung an der Reihe. Laut Minister Blatný können junge Leute ohne Vorerkrankungen frühestens ab dem Frühsommer mit einem Impftermin rechnen. Insgesamt sollen so bis Ende des Sommers etwa fünf Millionen Menschen geimpft sein, also etwa die Hälfte der Bevölkerung. Wissenschaftler gehen davon aus, dass für eine Herdenimmunität etwa zwei Drittel der Bevölkerung geimpft oder im Zuge einer Erkrankung an COVID-19 eine Immunität entwickelt haben müssen.
Die Anmeldung zum Impfen soll online über ein zentrales Portal geschehen, das den Über-80-Jährigen ab 15. Januar zur Verfügung steht, der restlichen Bevölkerung ab 1. Februar. Die Registrierung kann allerdings auch per Telefon oder über den Hausarzt erfolgen. Die Impfstrategie sieht außerdem die Einrichtung von 30 Impfzentren in Krankenhäusern vor. In einer späteren Phase sollen die Impfungen darüber hinaus auch beim Hausarzt möglich sein.
Seit Montag wird in allen tschechischen Bezirken geimpft, etwa 13.000 Menschen haben die Impfung bereits erhalten. Daten zum Impffortschritt möchte das tschechische Gesundheitsministerium ab sofort jeden Donnerstag veröffentlichen. „Sodass klar wird, wie viele Impfdosen in der jeweils vergangenen Woche in der Tschechischen Republik angekommen sind und wie viele verabreicht wurden. Aus den Daten wird zum Beispiel erkenntlich sein, ob der Geimpfte etwa ein Senior oder Mediziner ist, aber im Zusammenhang mit der DSGVO wird es darüber hinaus keine weiteren Details geben“, kündigte Minister Blatný an.
Weltweit meiste Infektionen pro eine Million Einwohner
Nachdem sich die epidemiologische Situation in Tschechien Ende November etwas verbessert hatte und viele Maßnahmen kurzzeitig gelockert wurden, bewegt sich die Zahl der aktuell mit dem Coronavirus infizierten Personen auf einen neuen Höchststand zu. Aktuell verzeichnet Tschechien 121.488 aktive Fälle, was nur leicht unter dem bisherigen Rekord von Ende Oktober liegt. Am Montag kamen 12.860 neue Fälle hinzu. Weiterhin liegt auch der Anteil der positiven Tests an der Gesamtzahl der durchgeführten Tests täglich bei über 40 Prozent, was eine große Dynamik beim Infektionsgeschehen anzeigt. Für Schlagzeilen sorgten am Dienstag außerdem aktuelle Zahlen der John-Hopkins-Universität, wonach Tschechien in den letzten sieben Tagen weltweit die meisten bestätigten Corona-Fälle pro eine Million Einwohner verzeichnet. In Tschechien liegt dieser 7-Tage-Durchschnitt bei 965,46, gefolgt von San Marino (917,64), Litauen (917,64) und Großbritannien (810,04). Deutschland steht mit einem Wert von 210,70 vergleichsweise gut da.
Bestätigte Corona-Neuinfektionen im 7-Tage-Durchschnitt pro eine Million Einwohner. Foto: Our World in Data
Zu diesen Zahlen äußerte sich am Dienstag auch der tschechische Innenminister und Leiter des Corona-Krisenstabs, Jan Hamáček (ČSSD), gegenüber dem Server iDnes.cz. Als eine Erklärung für Tschechiens schlechtes Abschneiden in der Statistik nannte er, dass die zweite Welle der Coronavirus-Pandemie in Tschechien früher aufgetreten sei als in anderen Ländern. Gleichzeitig räumte er aber ein, dass die Regierung im Umgang mit der Pandemie Fehler gemacht haben könnte: „Die Reaktion hätte früher und auch drastischer ausfallen können“, so Hamáček. Er wies aber auch darauf hin, dass es in Tschechien einen starken Widerstand gegen eine Verschärfung der Maßnahmen gegeben habe. Außerdem ist es Hamáčeks Eindruck, dass sich die Bevölkerung nicht mehr so streng an die Corona-Regeln hält, wie das noch im Frühjahr der Fall gewesen sei. „Die gesellschaftliche Stimmung wird nicht besser, eher umgekehrt. Aber ich glaube daran, dass die Leute verstehen, dass es keinen anderen Weg gibt“, zeigt sich Innenminister Hamáček überzeugt.
Änderung des Corona-Risikosystems (PES)
Seit 27. Dezember befindet sich Tschechien wieder in einem umfassenden Lockdown: Geschäfte, Restaurants und Schulen haben geschlossen, nur Supermärkte, Drogerien und Geschäfte zur Deckung des Grundbedarfs dürfen geöffnet bleiben. Welche Maßnahmen in Tschechien gelten, regelt seit dem Herbst das Epidemie-Warnsystem PES. Anhand mehrerer Faktoren berechnet das System einen Wert zwischen Null und Hundert, dem eine von fünf Risikostufen zugeordnet wird. Aktuell zeigt PES eine Punktzahl von 89, was der fünften, also der höchsten Warnstufe entspricht. Die Berechnung des PES-Wertes soll aber geändert werden: „Da wir unsere Teststrategie grundlegend geändert haben, ist es notwendig, auch den Risiko-Index zu ändern. Ins Spiel sind nun die sehr starken Antigen-Tests gekommen, deren Volumen bereits den PCR-Tests entspricht. In den letzten Tagen wurden über 30.000 PCR-Tests durchgeführt, bei den Antigen-Tests ist es eine ähnliche Zahl“, erklärte Ladislav Dušek, Leiter des medizinischen Informationsdienstes, und wies darauf hin, dass sich die Positiven-Raten der beiden Testmethoden stark voneinander unterscheiden. Während bei den PCR-Tests aktuell über 40 Prozent der Tests positiv ausfallen, seien es bei den Antigen-Tests nur etwa fünf bis sieben Prozent, so Dušek. Außerdem sollen bei der Berechnung des PES-Wertes in Zukunft auch Corona-Fälle berücksichtigt werden, die erst im Krankenhaus festgestellt worden sind. In der nächsten Woche möchte Gesundheitsminister Blatný die aktualisierte Methodik vorstellen. Unklar ist bislang, ob sich dadurch die Risikostufe und damit auch die Corona-Maßnahmen ändern.
Erneuter Protest der Gaststätten
Das Corona-Warnsystem PES ist in Vergangenheit immer wieder in Kritik seitens der Opposition geraten, auch Vertreter aus Handel und Wirtschaft fordern eine Anpassung des Systems. Zuletzt demonstrierten am vergangenen Sonntag in Prag Restaurantbetreiber gegen die staatlich verordnete Schließung der Gaststätten. Die Protestierenden bildeten unter dem Motto „Marsch der Hoffnung“ mit Biergläsern und Kerzen darin eine Kette, die vom tschechischen Regierungssitz bis zum Altstädter Ring reichte. Dazu aufgerufen hatte der Restaurantbesitzer Jiří Janeček aus Pribram (Příbram), der bereits im Dezember die Protestbewegung „Chcípl PES“ mitgegründet hatte. Insgesamt haben sich bereits 686 Restaurantbetreiber der Bewegung angeschlossen und eine Petition unterzeichnet, in der sie die Öffnung der Gaststätten, Hotels und Fitnessstudios fordern und die staatlichen Hilfemaßnahmen als zu gering und bürokratisch aufwändig kritisieren.
Vom Regierungssitz bis zum Altstädter Ring zog sich eine Kette von Biergläsern mit Kerzen darin. Foto: ČTK/Šimánek Vít
Die Entschädigungszahlungen orientieren sich anders als in Deutschland nicht am Umsatz des Vorjahreszeitraums. Die tschechische Regierung zahlt jedem Betreiber 400 Tschechische Kronen (ca. 16 Euro) pro Angestellte pro Tag und zahlt darüber hinaus die betriebliche Miete. Viele Restaurantbetreiber können aber nicht die umfangreichen Bedingungen für die staatlichen Kompensationen erfüllen. Oft kommen die Kompensationzahlungen stark verzögert bei den Betreibern an. Laut einer Berechnung von Tomáš Prouza, Präsident des tschechischen Handels- und Tourimusverbands, dürfen tschechische Restaurantbesitzer mit maximal 40 Prozent ihres Umsatzes rechnen. Wie aufgebracht viele tschechische Restaurantbetreiber sind, zeigt der letzte Satz in der Einladung zur Veranstaltung am Sonntag auf Facebook: „Das ist die letzte friedliche Warnung.“
Aktuell verzeichnet Tschechien 121.488 aktive Corona-Fälle, seit Beginn der Pandemie sind 12.257 Menschen im Zusammenhang mit COVID-19 verstorben. Aktuell werden 6.680 Covid-Patienten stationär behandelt.