Auf die Bergwiesen des Böhmischen Mittelgebirges kehren Schaf- und Ziegenherden zurück. Das sieht nicht nur schön aus, sondern hilft nebenbei noch anderen Lebewesen.
Ein Läuten und Mähen klingt lieblich über die Bergwiese am Radebeule (Radobýl). Den Wanderern, die hier auf dem Weg zu dem 399 Meter hohen markanten Basaltgipfel bei Leitmeritz (Litoměřice) vorbeikommen, zaubert die Herde ein Lächeln ins Gesicht. „Die Schafe sind immer ein Hingucker“, bestätigt Lucie Benešová.
Die Mitarbeiterin im Landschaftsschutzgebiet „Böhmisches Mittelgebirge“ (České středohoří) kontrolliert, ob die Weide richtig eingezäunt ist und die Schafe das machen, was sie sollen, nämlich allzu dominante Gräser wegfressen und Platz, vor allem Licht für die Pflanzen schaffen, die hier eigentlich zu Hause sind. Das wird natürlich vorher mit den Tierhaltern abgesprochen. Schafe sind keine Mähmaschinen. „Doch die hier machen das ganz gut und vor allem schnell“, schätzt Benešová ein. Gerade in trockenen Sommern wie diesem ist der Appetit der Schafe auf frisches Grün groß, so dass die Herde regelmäßig umgepflockt werden muss.
Falsch verstandener Naturschutz
Auf den Bergwiesen am Radebeule und andernorts im Böhmischen Mittelgebirge leben Wärme liebende Pflanzen und Tiere. Sie finden in dem typischen Klima, das schon vor der inzwischen vorherrschenden Trockenheit eher an Steppengebiete erinnerte, perfekte Bedingungen. Doch die waren erst durch den Übergang von kleinen Landwirtschaften zur Kollektivwirtschaft und später paradoxerweise durch eine aus heutiger Sicht falsche Vorstellung von Naturschutz beinahe verschwunden. Und mit ihnen Tiere und Pflanzen.
Lucie Benešová zeigt einen Stapel aus Robinienstämmen am Radebeule (Radobýl). Die Reste des invasiven Baums werden als Lebensraum für Insekten weitergenutzt. Foto: Steffen Neumann
„Eine wesentliche Rolle spielte die Vertreibung der ursprünglichen Bevölkerung, die jene Bergwiesen noch bewirtschaftet hatte“, sagt Ondřej Nitsch, Sprecher der Verwaltung des Landschaftsschutzgebietes. Er meint die deutschsprachige Minderheit, die nach 1945 die Tschechoslowakei verlassen musste. Der neu angesiedelten Bevölkerung fehlte das Wissen über die Landwirtschaft unter den rauen Gebirgsbedingungen.
„In den 1990er Jahren ging das Interesse an Landwirtschaft zurück“, so Nitsch weiter. Gleichzeitig herrschte damals die Vorstellung, man müsse die Natur nur sich selbst überlassen, um ihr gerecht zu werden. 20 Jahre später musste diese Meinung revidiert werden. „Das Ergebnis war, dass die Bergwiesen zuwucherten und den Wärme liebenden Lebewesen den Lebensraum nahmen“, erklärt Lucie Benešová.
Es verschwanden die Östliche Smaragdeidechse, der Eurasische Heidegrashüpfer und wunderschöne Schmetterlinge wie der Russische Bär und die Berghexe. Letztgenannter Schmetterling, der mit seiner braun-weiß-grauen Färbung nur schwer zu erkennen ist, war in der Tschechischen Republik bereits fast ausgestorben. Allerletzte Kolonien konnten sich im Gebiet um Laun (Louny) halten.
Die Tiere kehren zurück
Die gute Nachricht ist, dass Tiere und Pflanzen zurückkehren, wenn der Mensch die Voraussetzungen dafür schafft. „Die Berghexe ist nun auch wieder am Radebeule heimisch“, sagt Naturschützerin Benešová. Zuerst vereinzelt wurde 2011 auch mit Unterstützung aus der Europäischen Union begonnen, die Bergwiesen in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Ein erstes Projekt kümmerte sich um die Gegend bei Laun, das aktuelle Projekt LIFE „České středohoří“ kümmert sich seit 2017 um 19 Standorte im östlichen Teil des Gebirges.
Die Berghexe fühlt sich am Radebeule (Radobýl) wieder wohl. Foto: LSG Böhmisches Mittelgebirge/Benešová
Eine nicht unwesentliche Rolle spielen dabei die eingangs erwähnten Schafe. „Seit 2017 haben wir 95 Hektar Wärme liebende Standorte erneuert, davon allein 40 Hektar durch Weide von Schafen und Ziegen“, zählt Nitsch auf. Das ist eine beachtliche Zahl, kehrt doch auch die Schafhaltung erst langsam ins Böhmische Mittelgebirge zurück. Am Radebeule zum Beispiel sind sie erst seit 2018 zu beobachten. Im Idealfall kommen die Herden von Züchtern aus der Region. Doch nicht immer gelingt es, Schafhalter und geschützte Bergwiese zusammenzubekommen. „Am Radebeule war erst der Grundstücksbesitzer dagegen. Dann änderte er seine Meinung, die Schafe mussten wir aber von einem Halter aus Prag holen“, erzählt Benešová. An steileren Stellen sind wiederum Ziegen die bessere Wahl.
Um Tierhalter und Grundstücksbesitzer vom Naturschutz zu überzeugen, helfen momentan die EU-Gelder. Immerhin 2,5 Millionen Euro ist das Budget schwer. Bis 2023 sind noch viele Trockenwiesen zu erneuern. Vor allem müssen die Interessen des Naturschutzes bis dahin an die Fördermöglichkeiten der Landwirtschaft angepasst sein, um die Pflege nachhaltig zu gestalten.
Der Exot im Böhmischen Mittelgebirge – ein Männchen der Östlichen Smaragdeidechse. Es kann bis zu 40 Zentimeter lang werden. Foto: AOPK ČR
Wo die Symbiose aus Naturschutz und Landwirtschaft bereits sehr gut klappt, ist Hlinay (Hlinná) am Berg Radischken (Hradiště), wo dank der Pflege wieder die Finger-Kuhschelle gedeiht. Hier grasen die Schafe von Vlastimil Chovaneček, einem Wursthersteller, der sich auf die Produktion von Prosciutto (Rauchschinken) spezialisiert hat.
Die zweite große Herausforderung der Naturschützer ist, die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. „Ein Teil unserer Arbeit ist die Freilegung von Berghängen und Wiesen sowie die gezielte Beseitigung invasiver Arten wie die Gewöhnliche Robinie oder den Färberwaid. Auf solche sehr einschneidenden Veränderungen reagiert die Öffentlichkeit sehr sensibel“, berichtet Lucie Benešová. Das Landschaftsschutzgebiet kämpft aber auch mit Unsitten wie dem Aufstapeln von Steintürmchen oder wilden Feuerstellen. „Umso schöner ist, dass Wanderer zunehmend unsere Arbeit schätzen, da wir Aussichtspunkte vom Wildwuchs befreien und alte Wege wieder freilegen“, freut sich Benešová.
Wer sich mit der Arbeit der Naturschützer auf angenehme Weise bekannt machen möchte, den lädt Benešovášová am Samstag nach Hlinná zum Weidenfest ein. Neben einer geführten Wanderung findet auch ein Jahrmarkt statt. Und Schafe gibt es natürlich auch zu sehen.
Beginn 10 Uhr. Von Litoměřice, Haltestelle U pošty, pendelt jede halbe Stunde ein Bus.
Anreisetipp: Mit dem Wanderexpress ohne Umsteigen bis Litoměřice.