Regisseure durften nicht drehen, Distributoren konnten ihre Filme nicht vertreiben, Kinos waren geschlossen, Filmfestivals abgesagt und die internationale Zusammenarbeit durch geschlossene Grenzen massiv eingeschränkt. Die Filmindustrie ist besonders stark von der Corona-Pandemie betroffen. Das LandesEcho sprach mit Filmemachern und Produzenten darüber, wie sie die Pandemie in ihrer Situation erlebten.
„Das ganze Filmbusiness kam zum Stillstand“, beschreibt Filip Hering die Lage, als die tschechische Regierung Mitte März den nationalen Notstand ausrief. Er hat fast zwanzig Jahre als Aufnahmeleiter in Deutschland gearbeitet, bevor er 1999 seine Produktionsfirma „Wilma“ mit Sitz in Prag gründete. Diese hat sich darauf spezialisiert, ausländischen, vor allem deutschen Produzenten zu helfen, ihre Spielfilm-und Fernsehprojekte in Tschechien durchzuführen. Zu den aktuellen Projekten zählt beispielsweise der Historienfilm „Ottilie von Faber-Castell – eine mutige Frau“. Grenzüberschreitende Filmprojekte sind bei geschlossener Grenze und Ausgangsbeschränkung aber nicht mehr möglich. Dies wirkte sich direkt auf die Dreharbeiten ihres neuen Kinofilms über das Schlossgespenst „Hui Buh“ aus. „Wir haben zwar bis zum 22. März die Dreharbeiten zum Kinofilm ‚Hui Buh‘ fortsetzen können, dann allerdings wurde der Druck zu groß und unmittelbar danach kam das Verbot von größeren Ansammlungen auch am Arbeitsort“, so Hering. Außerdem hatten sie keinen Zugriff mehr auf ihre Studiodekoration, die sich in einem Atelier der Barrandov-Studios in Prag befand.
Die Barrandov-Studios sind eine der Gründe, warum die tschechische Hauptstadt als Filmlocation so beliebt ist. Die 1933 eröffneten Filmstudios gehören zu den größten und ältesten Europas. Seit der Gründung wurden dort mehr als 2500 tschechische und internationale Filme wie „Die Chroniken von Narnia“ oder der James Bond-Film „Casino Royale“ gedreht. Aufgrund der Coronakrise mussten aber auch die Studios ihre Tore schließen. Durch die aktuellen Lockerungen können mittlerweile wieder Vorbereitungsarbeiten für Spielfilme beginnen. Insgesamt sieht Filip Hering wenig Positives an der Pandemie. Außer dass Meetings in der Vorbereitungszeit zukünftig vermehrt online stattfinden können.
Totalausfall für den Virtual Reality-Filmemacher
Ähnlich sieht das Emil Spiewok, freiberuflicher Filmemacher aus der niederbayerischen Grenzstadt Regen. Sein erster Gedanke, als die Ausgangsbeschränkung im März in Bayern ausgerufen wurde, war, dass die bayerische Landesregierung willkürlich reagierte, da beispielweise Unterkünfte für geflüchtete Menschen in Regen nicht berücksichtigt und teilweise ganze Hausblöcke unter Quarantäne gestellt wurden. Für Emil Spiewok, der 2014 zusammen mit seinem Bruder Otto die Filmproduktion „Vtopia 360°” gründete, kam es zu einem kompletten Arbeitsausfall. „Vtopia 360°” designt und produziert immersive Videoerfahrungen für Unternehmen. Man spricht von einer immersiven virtuellen Umgebung, wenn es dem Benutzer mit Hilfe eines Virtual-Reality-Headsets ermöglicht wird, direkt von allen Blickwinkeln aus mit einer fiktiven Umgebung zu interagieren.
Besprechung während der Dreharbeiten zur immersiven Reisedokumentation „Crossing Borders“ in Südostasien. Foto: Emil Spiewok
Als Spiewok 2014 während eines Auslandssemesters in Südkorea Virtual Reality für sich entdeckte, war er einer der ersten. Das Spannende beim immersiven Filmen ist für Spiewok die neue Erzählweise, die dem Zuschauenden nicht durch einen harten Schnitt vorgibt, was er zu sehen hat, sondern durch die virtuelle Umgebung viel mehr ein Gefühl für die Räumlichkeit vermittelt, bei der man das Geschehen selbst erkunden kann. In seiner immersiven Reisedokumentation „Crossing Borders“ nimmt er die Zuschauenden beispielsweise auf eine der schönsten Motorradstrecken von Ho Chi Minh City nach Bangkok mit und beleuchtet lokale Perspektiven, Probleme und Träume. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland einen Markt für 360°-Filme, der aber – außer in einigen Spezialstudios – noch relativ am Anfang und finanziell auf wackeligen Beinen steht. Ein wirklich funktionierendes Bezahlkonzept für immersive Spiel- oder Dokumentarfilme gibt es nämlich noch nicht, da bisher hauptsächlich 360°-Games verkauft werden.
Die Coronakrise brachte die junge VR-Branche zum Einsturz. Immersive Filme, die größtenteils über Messen vermittelt werden, fielen weg, da diese zunächst abgesagt wurden. Vom Homeoffice aus lassen sich die Filme kaum realisieren. „Normalerweise hatte ich bis Mai 60 Prozent meines gesamten Jahreseinkommens und jetzt nichts“, beschreibt Spiewok seine Situation. Vor allem an seinem Standort im Bayerischen Wald sei es noch schwieriger als in München oder Berlin, Aufträge an Land zu ziehen. Der VR-Storyteller wollte aber nicht untätig sein und nutzte die Zwangspause für ein Projekt, das er schon lange realisieren wollte. Den lokalen Kunst- und Kulturverein Oberstübchen e. V. verwandelte er zusammen mit einigen anderen engagierten Mitgliedern in die Plattform „FoodExchange“, die es sich zur Aufgabe machte, das Wegwerfen von Nahrungsmittel zu verhindern. Das Projekt wurde finanziell vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds mit Corona-Sondermitteln gefördert (siehe LE 6/2020) und Spiewok selbst engagierte sich weit mehr als 40 Stunden pro Woche für sein Herzensprojekt.
Aktuell arbeitet er durch die Lockerungsmaßnahmen wieder an einem nicht-kommerziellen Kurzfilm über den deutschen Schriftsteller Siegfried von Vegesack. Er möchte die Lebensgeschichte aus Vegesacks Autobiographie so abwandeln, dass dieser im immersiven Film einen Tschechen trifft, der von einem Schauspieler aus Prag gespielt wird. Da die Grenze nach Tschechien mittlerweile wieder geöffnet ist, zeigt er sich zuversichtlich, dass das Projekt bald realisiert werden kann.
Animationsfilm aus dem Homeoffice
Vor ganz anderen Herausforderungen steht der tschechische Produzent Martin Vandas, der sich 2003 mit seiner auf Animationen spezialisierten Filmproduktion „MAUR Film“ in Prag selbstständig machte. Neben seinem Beruf als Produzent ist er erster Vorsitzender der Animationsfilmvereinigung, Experte für den Fonds Kinematographie in der Slowakei und externer Mitarbeiter in der Animationsabteilung der Prager Film- und Fernsehfakultät der Akademie der Musischen Künste (FAMU). Kurz vor den harten Beschränkungen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus konnte er zwar noch den Animationsfilm ,,Fritzi – eine Wendewundergeschichte“, der unter anderem als deutsch-tschechische Koproduktion entstand, fertigstellen, aber der Vertrieb des Films musste durch die geschlossenen Kinos gestoppt werden.
Die aufwändig produzierte Animation „The Crossing“ erzählt eine Geschichte über den niemals endenden Versuch, ein neues Zuhause mit einem besseren Leben zu finden. Foto: MAUR Film
Besonders betroffen war aber ein anderer Film. Die Weltpremiere von ,,The Crossing“, ein Animationsfilm über die dramatische Flucht eines jungen Geschwisterpaars aus einem nicht näher genannten osteuropäischen Land, war für die Internationalen Filmfestspiele von Cannes geplant, die aufgrund von Covid-19 aber komplett abgesagt wurden. „The Crossing“ wurde über zehn Jahre lang mit einer aufwendigen Glasmalereitechnik gedreht und ist eine deutsch-französisch-tschechische Koproduktion. Nun versucht Vandas, ein anderes A-Filmfestival für die Weltpremiere zu finden, da die Animation davor nicht im normalen Kinobetrieb anlaufen kann. Das ist aber gar nicht so einfach, da viele der anderen A-Festivals in diesem Jahr, wie beispielsweise das Internationale Filmfestival in Karlsbad (Karlovy Vary) verschoben wurden. Als A-Festivals werden Filmfestspiele bezeichnet, die einen internationalen Wettbewerb haben und beim Filmproduzentenverband FIAPP akkreditiert sind.
Abgesehen von Schwierigkeiten im Vertrieb seiner Animationen ist Vandas von der Pandemie aber nicht so hart betroffen wie viele seiner Filmkollegen. „Die erste Welle von Einschränkungen betraf vor allem Kollegen im Spielfilm. Da die Entwicklung eines Animationsfilms ein langfristiger Prozess ist, ist die Produktion für das Homeoffice anpassungsfähiger.“ Tatsächlich fing er schon vor der Pandemie damit an, einen Teil seiner Arbeit vom Homeoffice aus zu verrichten. Seine Arbeit in der Filmproduktion besteht vor allem darin, Skripte zu lesen und Budgets zu kalkulieren. Nur Aufnahmen der Synchronsprecher und Crew-Meetings sind von zuhause aus nicht möglich.
Vorsichtiger Optimismus
Insgesamt ist die Filmindustrie eine der von der Coronakrise am stärksten betroffenen Branchen. Die prognostizierten Verluste werden laut dem tschechischen Verband der Filmproduzenten (APA) auf 4,9 Milliarden Tschechische Kronen (ca. 183 Millionen Euro) geschätzt, wobei sich der Ausfall erst über die nächsten Jahre hinweg wirklich zeigen wird.
Während der Notstand in Tschechien ausgerufen wurde, befand sich Vandas mit seiner Familie im Urlaub in Italien. Aber in keinem Risikogebiet, weswegen er bei der Rückkehr nach Prag nicht in Quarantäne musste. Aktuell dreht er bereits wieder mit einem kleinen Team. Er zeigt sich optimistisch, dass Drehs spätestens im September wieder normal möglich sein werden. Insgesamt denkt er, dass das Kino als Phänomen überleben wird, auch wenn er sich sicher ist, dass es in Zukunft immer wichtiger wird, Filme online zu vertreiben. Auch ist er davon überzeugt, dass es positive Mitnahmen aus der Pandemie gibt: „Wir sind jetzt noch besser auf ähnliche Situationen vorbereitet und wissen, wie wir Produktionsfragen auf Distanz beantworten können, einschließlich der Arbeitsteilung und dem Controlling.“