Illustration: Europafahne mit Fragezeichen - Bild: LE/tra

Sprache ist immer auch ein Stimmungsbild der aktuellen Lage im jeweiligen Land. Es ist also kein Wunder, dass 2015 das Wort „Flüchtlinge“ in Deutschland zum Wort des Jahres gewählt wurde. Jetzt hat die Tageszeitung „Lidové noviny“ die Ergebnisse ihrer Leserumfrage zum tschechischen Wort des Jahres veröffentlicht. Auch hier hat das Wort „uprchlík“ (Flüchtling) mit großem Abstand gewonnen.

 

 

 

Aber auch die Nachbarn in Österreich haben ihr Wort des Jahres. Dort hat man sich für „Willkommenskultur“ entschieden. Das schaffte es weder in Tschechien noch in Deutschland unter die Top 10. Das neue Jahr hat zwar erst begonnen, eine gewisse Willkommenskultur wird aber auch hier notwendig sein.

Winterbedingt mögen die Flüchtlingsströme derzeit abgeebbt sein, 2016 wird man aber nicht nur mit neuen Flüchtlingen zu rechnen haben, sondern auch mit der Aufteilung und Integration der bereits in Europa befindlichen Geflohenen beginnen müssen. Der Krieg im Nahen Osten ist noch lange nicht vorbei und an eine Rückkehr nicht zu denken.

Das ist eine europäische Aufgabe, die nur gemeinsam lösbar ist. Die Alleingänge des Jahres 2015 haben nicht nur für Verstimmungen gesorgt, sondern für ein handfestes, politisches Zerwürfnis. Ungarns Weigerung, Asylsuchende aufzunehmen, die Klage der Slowakei gegen die Quotenregelung und der aktuelle Rechtsruck bei den Wahlen in Polen werden Streitfragen bleiben.

2016 verspricht also ein Jahr des politischen Tauziehens um europäische Werte zu werden. Das europäische Experiment, das mit der Montanunion 1951 begann, aber eigentlich schon 1462 in Georg von Podiebrads (Jiří z Poděbrad) europäischem Föderations-Plan vorgedacht worden war, muss wieder einmal auf den Prüfstand. Europa ist es wert, dass man darum streitet. Aber auch hier macht der Ton die Musik und gewisse verbale Ausfälle des letzten Jahres waren dabei wenig förderlich. Vielleicht wird 2016 dann aber doch noch „Streitkultur“ zum Wort des Jahres.

 

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