Langsam wird es kühler, morgens liegt der Nebel über Prag und die Luft duftet förmlich nach Herbst. Und Herbstzeit, das weiß jeder, ist Kastanienzeit. Kennen Sie das auch? Wenn einem eine Kastanie über den Weg rollt, kann man nicht anders, als sich zu bücken und sie aufzuheben. Ich kenne niemanden, der das nicht tut, da kann man noch so erwachsen sein.
Einmal jährlich gehe auch ich auf große Kastanienjagd. Warum? Weil Kastanien einfach toll und außerdem noch unglaublich nützlich sind. Allein ihr Aussehen: glatt, glänzend, braun und weiß. Noch besser ist das Gefühl, wenn man sie in der Jackentasche hat und mit der Hand in die Tasche fasst. Kühl und sanft umgeben einen die völlig zurecht als Handschmeichler bezeichneten Kastanien dann und man kann förmlich fühlen, wie die Anspannung aus dem eigenen Körper weicht. Am liebsten würde ich mich manchmal wieder wie im Kindergarten in eine Wanne mit Kastanien legen. Ich bin mir sicher: Würde das jeder einmal wöchentlich machen, gäbe es bestimmt bald keine Kriege mehr, weil es so entspannend ist. Das saisonale Kastanienfummeln und -baden funktioniert aber leider nur im Herbst, wenn die Früchte frisch sind.
Meine Jagd auf Kastanien findet aber aus noch einem anderen Grund statt. Ich nutze die kleinen Wunderkugeln – und ich rede hier speziell von Rosskastanien – nämlich noch für etwas anderes als den Spaß und die Entspannung: Ich stelle daraus meinen Jahresvorrat an Waschmittel her. Ja, Sie haben sich nicht verlesen, es funktioniert wirklich, und zwar so:
Natürliche Seife
Man sammelt die Kastanien, wenn sie noch frisch sind, um sie mit einem Messer gut öffnen zu können. Was man nämlich braucht, ist das weiße Innere der Kastanie – jedenfalls, wenn man mit dem Waschmittel auch weiße Wäsche waschen will. Ansonsten kann auch die dunkle Schale mitverarbeitet werden. Dann wird der Kastanienkern aufgeschnitten und für die Frisch-Zubereite-Variante einfach mit lauwarmem Wasser aufgegossen. Konkret wären das ca. drei bis vier Kastanien auf 100 Milliliter Wasser. Nach ein paar Minuten kann man sehen, dass sich Schaum bildet, wenn die Flüssigkeit geschüttelt wird. Dieser entsteht, weil die Kastanien sogenannte Saponine enthalten – also Waschsubstanzen. Warten sollte man mindestens eine halbe Stunde, damit die Saponine ins Wasser übergehen können, bevor man wäscht. Anschließend wird das Kastanienwasser abgegossen und in die Waschmaschine gegeben. Die Kastanienstücke kann man meist noch ein zweites Mal mit Wasser aufgießen und dann für einen weiteren Waschgang nutzen.
Wenn man sich einen Waschmittelvorrat anschaffen will, ist ein bisschen mehr Aufwand von Nöten. Dann wird das Innere der Kastanie in kleine Stücke zerhackt bzw. mit einer Küchenmaschine zerkleinert, anschließend wird es getrocknet. Danach kann es in Vorratsgläser gefüllt und bis zur nächsten Kastaniensaison genau wie die frischen Kastanien genutzt werden.
Die Suche nach dem richtigen Baum
Klar, das klingt aufwändig und das ist es auch – allerdings nur einen einzigen Tag im Jahr. Danach kann man sich über saubere Wäsche und gespartes Geld freuen. Letztes Jahr habe ich mich mit meiner Regensburger WG zusammengetan. Wir machten uns in die Spur, um einen solchen Waschwunderbaum zu finden, den die Kinder aus lauter Kastanientierchenbasteleuphorie noch nicht abgegrast hatten. Gefunden haben wir ihn nach einigem Suchen ganz versteckt am Ufer der Donau. Nun kann ich aber leider nicht warten, bis ich wieder in Regensburg bin, denn für die Waschmittelverarbeitung brauche ich frische Kastanien und die gibt es jetzt bald.
Außerdem will ich ja selbst noch einen kleinen Kastanienzoo basteln. Dafür wird man wohl auch nie zu alt. Aber wo nur finde ich hier in Prag einen Kastanienbaum, den im besten Falle niemand außer mir kennt? Auf meinen bisherigen Streifzügen habe ich verzweifelt nach den Bäumen mit ihren Stachelfrüchten Ausschau gehalten, aber nur sehr wenige Früchte am Baum, geschweige denn auf dem Boden darunter entdeckt. Meine bisherige Ausbeute reicht damit allenfalls für eine einzige Waschladung Kastanienpulver und ein einsames Kastanientier… Damit das nicht so bleibt, freue ich mich über jeden Hinweis auf reich tragende Rosskastanien in Prag, und wer weiß, vielleicht probiert der eine oder andere das Rezept sogar einmal aus.
Bis bald und ahoj!
PS: Mittlerweile ist die Jäger- und Sammlergesellschaft ja so ausgereift, dass es sogar Online-Karten gibt, auf denen öffentlich zugängliche Obst- und Nussbäume eingezeichnet sind, darunter auch Esskastanien. In Tschechien nennt sich das Ganze „Na ovoce“, in Deutschland findet man die Karte unter der Bezeichnung „Mundraub“. Leider sind dort keine Rosskastanien eingezeichnet, denn die Idee, diese als Waschmittel zu benutzen, ist in unserer Gesellschaft noch nicht so verbreitet.
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