Foto: Gedenktafel zum 27. Juni in Prag - Foto: Wikimedia Commons/Shadster, CC BY-SA 4.0

Andrej Babiš setzt sich gern höchste Ziele. Als Unternehmer hat es der 63-Jährige damit zum Dollar-Milliardär gebracht. Auch seine neue Regierung, mit der er als Premierminister Tschechien „wie eine Firma“ leiten will, soll in die Geschichte eingehen. Wegen ihrer Leistungen. „Wir quatschen nicht, wir klotzen ran“, lautet einer seiner Wahlsprüche. 

 

Mit seinem ersten Versuch einer Regierung scheiterte er im Parlament. Jetzt der zweite Anlauf. Das Kabinett aus seiner gegen das Establishment gegründeten liberalen Bewegung ANO und den Sozialdemokraten (ČSSD) schrieb schon am ersten Tag Geschichte. Allerdings ungewollt. Die Regierungsparteien sind im Abgeordnetenhaus in der Minderheit. Für die Vertrauensabstimmung brauchen sie deshalb eine Partei, die sie still duldet. Die hat Babiš in der ungewendeten (rpt. ungewendeten) kommunistischen KSČM gefunden, den Nachfolgern der früheren sozialistischen Staatspartei KSČ. 

„Geschichtsträchtig“ ist diese krude Verbindung deshalb, weil der 27. Juni ein Tag ist, der gleich zweimal schon in die Historie des Landes eingegangen war. 

Zum einen erschien auf den Tag genau vor 50 Jahren das wohl wichtigste Dokument in der Zeit des Prager Frühlings. Gleich mehrere Zeitungen veröffentlichten seinerzeit das „Manifest der 2000 Worte“. Angeregt von Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften unterzog darin der Autor und Schriftsteller Ludvík Vaculík die Reformversuche der damaligen KP-Führung unter Alexander Dubček einer kritischen Analyse. Es sprach unverblümt von „Irrtümern des Sozialismus“, rief zu weit tiefer gehenden Reformen auf. Während das Schriftstück in der Bevölkerung Begeisterung auslöste, missbrauchte es die damalige Führung in Moskau unter KP-Generalsekretär Leonid Breschnew, um von „offener Konterrevolution“ in der Tschechoslowakei zu reden. Letztlich wurden die „2000 Worte“ auch zur Begründung des militärischen Überfalls mehrerer Warschauer-Pakt-Staaten auf den „abtrünnig“ zu werden drohenden „Bruderstaat“ im August 1968 herangezogen.

Gerade am Gedenktag

Jahre vorher, am 27. Juni 1950, war die antikommunistische Widerstandskämpferin Milada Horáková in der Folge eines stalinistischen Schauprozesses im Hof des Prager Gefängnisses Pankrác hingerichtet worden. Sie war mit anderen Regimegegnern wegen „antisowjetischer Konspiration“, „Hochverrats“, „Spionage“ und „umstürzlerischen Verhaltens“ zum Tode verurteilt worden. Das Urteil wurde mitleidslos vollstreckt, trotz zahlreicher Begnadigungsgesuche unter anderem von Albert Einstein, Bertrand Russel, Winston Churchill und Eleanor Roosevelt. 

Eingedenk dieses furchtbaren stalinistischen Justizmordes wird der 27. Juni in Tschechien als „Gedenktag für die Opfer des Kommunismus“ begangen. Nun hat Tschechien seit ausgerechnet diesem Tag zum ersten Mal seit der gesellschaftspolitischen „Wende“ 1989 eine halbkommunistische Regierung.

Logisch, dass das den bürgerlichen Parteien besonders missfällt. Der stellvertretende Chef der Christdemokraten, Jan Bartošek, sprach für viele seiner Kollegen aus dem Parlament, als er die Vereidigung der Regierung an diesem Tag „reichlich unethisch“ nannte. Bartošek erinnerte zudem daran, dass Regierungschef Babiš auch eine spezielle Verbindung zum früheren Regime hatte: Bis heute behauptet die Stasi-Unterlagenbehörde in Pressburg (Bratislava), dass der gebürtige Slowake Babiš für die dortige Staatssicherheit gearbeitet habe. Babiš bestreitet das und klagt seit kurzem gegen die Slowakei als Staat.

Proteste und Demonstrationen

Zehntausenden missfällt es, dass Babiš die Kommunisten mit ins Boot geholt hat. Immer wieder gab es in den vergangenen Wochen Demonstrationen in ganz Tschechien. Babiš wehrte sich damit, dass keine der bürgerlichen Parteien zu einer Koalition bereit gewesen sei. Dass der Tag der Ernennung zusätzlich auf Widerspruch stieß, tat er leichthin ab: Präsident Zeman habe keinen anderen Termin gefunden.

Kritiker sagen, Zeman habe es sogar besondere Freude bereitet, das Kabinett am „Gedenktag für die Opfer des Kommunismus“ zu ernennen. Er habe von Beginn an der KSČM eine besondere Rolle zugedacht.

Die Kommunisten haben bei all dem noch nicht einmal entschieden, ob sie die Regierung überhaupt unterstützen werden. Erst an diesem Wochenende werden sie endgültig darüber abstimmen. Ihr Votum machen sie davon abhängig, ob Babiš zu weiteren personellen Zugeständnissen bereit ist. Die Kommunisten verlangen vor allem massiven Einfluss in der Führung wichtiger staatlicher Unternehmen. 

Sie haben sich auch entschieden gegen den von den Sozialdemokraten als Außenminister vorgeschlagenen EU-Abgeordneten Miroslav Poche verwahrt. Der sei in der Migrationsfrage ein Anhänger von Angela Merkels Umverteilungs-Kurs für die Migranten. Das entscheidende Wort nahm sich in dieser Frage Präsident Zeman, der Poche schlichtweg ablehnte. Damit verletzte der Präsident zwar seine Befugnisse, aber weder Babiš noch die Sozialdemokraten wollen deshalb gerichtlich gegen Zeman vorgehen. Vorerst füllt der Chef der Sozialdemokraten, Jan Hamáček, dieses Ressort neben dem des Innenministers zusätzlich aus.

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