Dass Menschen im fortgeschrittenen Alter und smarte Technologien kein Widerspruch sein müssen, zeigt ein Deutschkurs für Senioren, der trotz Corona weiter online stattfindet.

„Was ist der Unterschied zwischen den Wörtern kaufen und einkaufen?“, fragt Monika. Es herrscht kurze Stille im virtuellen Klassenraum. „Kaufen ist eine einmalige Handlung, einkaufen eine mehrmalige?“, tastet sich Dana an eine Lösung der für Deutschlerner gar nicht einfachen Frage heran. Eine Weile diskutiert die Gruppe, dann hat Joseph die Lösung: „Einkaufen, das ist im Supermarkt!“ Alle sind hochkonzentriert und haben merklich Spaß am Unterricht, auch wenn er nicht wie sonst in einem „realen“ Klassenraum stattfindet, sondern als Videokonferenz. Die Teilnehmenden sind nicht etwa Schüler, die ein Leben ohne Smartphones und Skype gar nicht kennen. Es sind Senioren ab 60 Jahren, die älteste Teilnehmerin ist 86 Jahre alt. Sie besuchen den Deutsch-Konversationskurs von „Elpida“, einem Zentrum in Prag, an dem verschiedene Aktivitäten, vor allem Computer-, Sprach- und Sportkurse und Workshops für Senioren angeboten werden. Elpida betreibt in Prag zwei Filialen, eine in Pankrác und eine in Holešovice, in der die 29-jährige Monika Traubová seit einem Jahr Deutsch unterrichtet. Der Altersunterschied zwischen den Kursleitern und -teilnehmenden ist gewollt. „Bei Elpida geht es um den Kontakt und Austausch zwischen den Generationen“, erklärt Monika.

Hilfestellung von den Enkeln

Aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus und den damit zusammenhängenden staatlichen Maßnahmen konnten die Kurse seit Mitte März nicht mehr im Zentrum stattfinden, zumal die Zielgruppe besonders von COVID-19 bedroht ist. Elpida wagte den Versuch und bietet die Sprachkurse online über die Plattform „Whereby“ an, ein ähnlicher Anbieter von Videotelefonie wie Skype oder Zoom. Die Teilnehmenden bekommen kurz vor Beginn des Unterrichts einen Link zugesendet, danach müssen sie nur ihren Namen eingeben und den Zugriff auf ihr Mikrofon und Kamera erlauben, dann kann es losgehen. Meistens dauere es etwa fünf bis zehn Minuten, bis es alle in den virtuellen Klassenraum geschafft haben und sich ohne Probleme sehen und hören können, erzählt Monika. Aber im Großen und Ganzen sei sie überrascht, wie gut es eigentlich funktioniert. In Zeiten von Corona sind einige schon längst durch das „Skypen“ mit den Enkeln mit der Technik vertraut. Allerdings haben von den zwölf Kursteilnehmenden nicht alle das neue, digitale Angebot angenommen. Manche können oder wollen sich mit der Technik nicht anfreunden, einige haben gar keinen Computer. An Monikas Online-Kursen nehmen in der Regel zwischen sechs und acht Senioren teil. Sie bietet einen einfachen Deutschkurs für Anfänger und etwas Fortgeschrittene sowie einen anspruchsvolleren Konversationskurs an, der auf der Webseite von Elpida auch als „Deutsch-Club“ beworben wird.

Gegen die „Computerbarriere“

„Der Unterricht online ist eigentlich gar nicht so sehr anders als vor Ort im Zentrum“, berichtet Monika. „In der ersten halben Stunde erzählen wir einfach ein bisschen aus unserem Alltag und dann arbeiten wir mit dem Lehrbuch.“ Aber natürlich gibt es auch Unterschiede. So muss Monika die Teilnehmenden viel mehr zum Sprechen animieren, vor allem im Konversationskurs. „Es gibt da einfach eine gewisse Computerbarriere, manchmal kommen die Gespräche nicht so richtig in den Fluss“, sagt sie. Zwar gibt es keine Tafel, an die Monika schreiben kann (dafür wird aber der gemeinsame Chat genutzt) und Partnerarbeit ist auch nicht möglich, allerdings biete der Online-Kurs auch neue Möglichkeiten: Vor kurzem schauten alle gemeinsam die Webseite eines deutschen Herstellers für Schutzmasken an und lernten dabei eine Menge neuer Vokabeln, die mit der Coronakrise zu tun haben.

Grenzenloser Unterricht

Überhaupt ist Corona vor allem im Konversationskurs ein wichtiges Thema. Für die Senioren ist nicht nur wichtig, Deutsch zu lernen, sondern auch, sich auszutauschen und Kontakt zu anderen zu haben, vor allem in Zeiten der physischen Distanzierung. Besonders interessiert sind alle an der Situation von Joseph. Der 75-Jährige lebt zwischen Tschechien und Frankreich und befindet sich momentan in der Nähe von Grenoble. Dank des Online-Angebots kann er überhaupt an dem Kurs teilnehmen. „Wie ist die Situation mit Corona in Frankreich? Darfst Du überhaupt nach draußen gehen?“, wollen alle wissen. Joseph verschwindet plötzlich vom Bildschirm und kehrt kurz darauf mit einem Zettel zurück, den er stolz in die Kamera hält. Es ist seine „Erlaubnis“ sich draußen aufhalten zu dürfen. „Oh weh, also bei uns ist das zum Glück nicht so streng“, sagen die anderen, die sich alle in Prag befinden. Es ist ein Deutschkurs, der förmlich alle Grenzen überwindet.

„Deutsch ist unsere Lingua franca“

Deutsch lernen die Senioren vor allem aus Interesse an der Sprache. Viele haben in ihrem Leben in Deutschland oder Österreich gearbeitet oder hatten auf andere Weise mit der deutschen Sprache zu tun. Der Konversationskurs dient also mehr dazu, die Kenntnisse frisch zu halten und Vokabeln zu wiederholen. „Für uns ist Deutsch doch eine zweite Muttersprache“, erklärt der 74-jährige Petr. „Wenn man in Europa lebt, dann sollte man nicht nur Englisch und Französisch, sondern auch Deutsch können. Deutsch ist für uns eine Lingua franca“, stimmt Joseph zu. „Tschechien hat zwei deutschsprachige Nachbarländer, da liegt es doch nahe, Deutsch zu lernen“, sagt die 64-jährige Dana. Und wie finden sie das Online-Angebot? „Es ist großartig, dass ich jetzt auf diese Weise Deutsch lernen kann. Sonst müsste ich zwei oder drei Monate Pause machen und würde alles vergessen“, freut sich die zweite Dana im Kurs (67 Jahre).

Die Nachfrage nach den Online-Sprachkursen ist so groß, dass Elpida diese neben den „normalen“ Kursen auch nach Corona weiter anbieten möchte.

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