Besser können die deutsch-tschechischen Beziehungen kaum werden, betonen Politiker und Diplomaten immer wieder. Auf der zwischenmenschlichen Ebene sind die Beziehungen zur Nachbarschaft aber längst nicht nur besser, sondern bestens.
Die Zahl der Eheschließungen zwischen tschechischen Staatsbürgern und Ausländern steigt nach einem kleinen Rückgang während der ökonomischen Krise in Europa wieder. Das Tschechische Amt für Statistik verzeichnete allein im Jahr 2014 etwa 4000 Hochzeiten mit einem ausländischen Partner. Dabei gibt es durchaus einige administrative Hürden zu überspringen, bevor man sich hierzulande das Ja-Wort mit einem Ausländer geben darf. Vokabeln wie „superlegalisierte Dokumente“ und „Apostille“ sind bei dieser Art Eheschließung unvermeidlich.
Ob nun mit oder ohne Trauschein: Trotz einiger xenophober Stimmungen in der Bevölkerung gibt es immer mehr interkulturelle Paare. Tschechien ist auch in dieser Beziehung wieder in der Mitte Europas angekommen.
Das Zueinanderfinden
Dabei beginnen die Geschichten, wie Paare über Landes- und kulturelle Grenzen zueinanderfinden, oft ganz unterschiedlich. „Wir haben uns das erste Mal im September 2014 bei einem Empfang im Bayerischen Landtag in München getroffen, an dem wir beide im Rahmen unserer Freiwilligendienste im jeweils anderen Land teilgenommen haben,“ beschreibt Natascha Hergert ihr erstes Treffen mit ihrem heutigen Verlobten Lukáš Dulíček.
„Einander vorgestellt hat uns der Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde, Matthias Dörr. Wir sprachen damals über eine Stunde miteinander. Danach trafen wir uns bis zu zweimal im Monat auf verschiedenen Aktionen mit deutsch-tschechischer Thematik und seit Ostern 2015 sind wir zusammen,“ ergänzt Dulíček.
Auch Lucie Kavanová und Simon Römer lernten sich 2014 kennen. Sie führte jedoch das Couchsurfing zusammen. Diese beliebte Art des kostengünstigen Reisens hat schon einige Freundschaft entstehen lassen und eben manchmal auch mehr.
Schon 1975 trafen sich hingegen Irene und Richard Šulko bei den Sonntagsgottesdiensten in der Kirche St. Jakobus in Netschetin (Nečtiny). Beide haben kulturell gemischte Wurzeln mit slowakisch-deutschen und tschechisch-deutschen Eltern. Dadurch, dass sie beide in der damaligen Tschechoslowakei aufgewachsen waren, teilten sie ähnliche Erfahrungen und Lebenswege. Das ist bei interkulturellen Paaren aber nicht oft der Fall.
Babylon daheim
Die größte Hürde ist oft die unterschiedliche Sprachsozialisierung. Obwohl gerade junge Menschen aus Deutschland und Tschechien oft sehr gut Englisch sprechen, läuft doch eine Unterhaltung in der eigenen Muttersprache natürlicher ab.
Obwohl Deutsch vielen tschechischen Schülern als besonders schweres Unterrichtsfach gilt, ist es als Sprache des größten Nachbarlandes eine der meistgelernten Fremdsprachen in Tschechien. Dafür sorgen auch Bildungseinrichtungen wie die Grundschule der deutsch-tschechischen Verständigung, die gerade erst ihr 25. Gründungsjubiläum feierte, und Kindergärten wie die Kids Company in Prag oder Junikorn in Pilsen (Plzeň).
In Deutschland hat das Tschechische einen weit schwereren Stand. Nur wenige Schulen bieten die Sprache überhaupt an und kompliziert ist sie noch dazu.
Auch deutsch-tschechische Paare, die sich hier niederlassen, tendieren dementsprechend zum Deutschen als Kommunikationssprache daheim. „Wir sprechen hauptsächlich Deutsch miteinander, aber ab und zu nutze ich auch meine Muttersprache. Natascha kann ganz gut Tschechisch, aber die Kommunikation auf Deutsch ist doch noch effektiver“, sagt dazu Lukáš Dulíček.
Einige tschechische Worte haben aber auch ihren Weg in den Wortschatz der Deutschen gefunden. „Mit meiner Familie bin ich als Kind oft in den tschechischen Teil des Erzgebirges gefahren. Die Warnschilder ‚POZOR VLAK!‘ unter dem Andreaskreuz haben es mir damals angetan“, erinnert sich Simon Römer an seine ersten tschechischen Vokabeln. Für Natascha Hergert waren es dagegen „slunce“ (Sonne) und „zmrzlina“ (Eiscreme), die sie schon als Kind aufschnappte.
Die tschechischen Partner hingegen begannen klassisch mit „Guten Tag“ im Falle von Lukáš Dulíček und etwas weniger klassisch mit „heiß“ bei Lucie Kavanová. „Meine Großmutter wuchs in Norditalien auf, wo man Deutsch sprach – und neben einer Reihe italienischer Wörter mischt sie noch heute oft deutsche Vokabeln ihrer Sprache bei, wie ‚ausgerechnet‘, ‚nämlich‘ oder etwa eben ‚heiß‘.“
Die Šulkos sprechen daheim Tschechisch, meistens, denn deutschsprachigen Besuch empfangen sie wie selbstverständlich auf Deutsch. Dieses fast natürliche Umschalten zwischen den Sprachen, je nach Anlass, ist Kulturgut, das in Mitteleuropa lange Zeit die Norm war. Heutzutage ist es nur noch eine Ausnahme, deren Erlernen viel Zeit und Mühe kostet, wenn man diese Zweisprachigkeit nicht von klein auf vermittelt bekommt.
Segen Bilingualität
Die Šulkos bemühen sich, ihren Kindern diese Bilingualität, noch zusätzlich erweitert um die Mundart des Egerlandes, weiterzugeben. „Mit dem jüngsten Sohn sprach meine Frau Tschechisch, ich Eghalandrisch,“ erzählt Richard Šulko. „Für die Zukunft der Kinder sehe ich das als Vorteil, es gibt aber auch die Meinung, das würde das Kind nur verwirren,“ fügt er hinzu.
Der Mythos des verwirrten Kindes entsteht wohl vor allem dann, wenn mehrsprachig aufwachsende Kinder in einem Satz mehrere Sprachen mischen. Für Sprachwissenschaftler ist dies jedoch ein Zeichen für besonders gutes Sprachverständnis. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass Kinder die Frequenz der eingestreuten fremdsprachlichen Versatzstücke je nach Gesprächspartner variieren. Das Journal of Applied Research on Learning (Magazin der angewandten Lernforschung) beschäftigte sich bereits 2009 in einer Sonderausgabe mit diesem Thema und kam zu dem Schluss, dass dieses „code-mixing“ genannte Phänomen bei bilingualen Kindern ganz normal und natürlich ist.
Lucie Kavanová und Simon Römer sprechen mit ihrem drei Monate alten Sohn Jonáš sowohl Tschechisch als auch Deutsch. „Bis jetzt ist die Reaktion auf beide Sprachen immer nur ‚Ääääh‘,“ sagt Simon Römer augenzwinkernd. Für Jonáš wird die Zweisprachigkeit aber zweifelsohne einen großen Vorteil im späteren Leben darstellen. Wie das Canadian Council on Learning (Kanadischer Bildungsrat) 2008 feststellte, haben bilingual aufgewachsene Kinder eine besser ausgeprägte Fähigkeit zur Konzentration auf wesentliche Informationen und zur Ausblendung von Ablenkungen.
Zudem bleibt das Deutsche für Tschechien, dessen größter Wirtschaftspartner die Bundesrepublik ist, auch ein wichtiger Faktor auf dem Arbeitsmarkt. Englisch als Weltsprache gehört zum erwarteten Standard, ein gutes Deutschniveau hingegen ist noch immer selten und sehr begehrt.
Kulturen verbinden
Sprache ist auch ein Schlüssel zur Kultur des Nachbarlandes. Lucie Kavanová erlebte Deutschland zunächst bei Schüleraustauschen und später bei einem Auslandssemester in Thüringen und einem Praktikum in Berlin: „Die deutsche Kultur war mir vor dem Treffen mit Simon also nicht fremd und ich wusste bereits, worauf ich mich einlasse.“
Dabei waren einige Sitten der Nachbarn durchaus gewöhnungsbedürftig. „Ich dachte eigentlich immer, dass die Italiener in Europa am meisten Kaffee trinken würden. Seit ich jedoch Simon und seine Freunde kennengelernt habe, für die drei große Tassen Kaffee am Tag das Minimum sind, wundere ich mich, dass es in Deutschland neben Hopfenfeldern nicht auch Kaffeeplantagen gibt,“ sagt Lucie Kavanová.
Einige Angewohnheiten des deutschen Partners finden aber auch den Weg in den gemeinsamen Haushalt: „Ich höre mehr deutsche Bands, wie etwa AnnenMayKantereit, schneide dünnere Brotscheiben und zünde an Weihnachten ein eigenes Räuchermännchen an,“ erzählt Lucie Kavanová. Dabei, erinnert sich Simon Römer, war die Tradition seines heimatlichen Erzgebirges, schon vor Weihnachten große Kartons mit Weihnachtssachen auszupacken, die Fenster mit Schwibbögen und Herrnhuter Sternen zu dekorieren und im gesamten Haus Räuchermännchen, Nussknacker, Engel und Bergmänner aufzustellen, zunächst für seine Freundin eher kurios.
Einige tschechische Sitten übernehmen aber auch die deutschen Partner. „Ich ziehe meine Schuhe an jeder Haustüre aus, bevor ich die Wohnung betrete. Das mache ich jetzt sogar in Deutschland und ich erwarte, dass Besucher sich auch in unserer Wohnung an diese Regel halten,“ lacht Natascha Hergert.
„Am meisten kann man als Deutscher von dem tschechischen Talent zu improvisieren lernen. Das ist eine Eigenschaft, die die Generation meiner Eltern im Osten Deutschlands noch in Perfektion beherrschte, die aber leider verloren geht“, findet Simon Römer.
Erweiterter Horizont
Es gibt aber nicht nur Rosen im Nachbargarten zu bewundern. „Ich mag die tschechische Bodenständigkeit und den Provinzialismus. Am Wochenende zieht man sich seine ‚montérky‘, die Arbeitshose, an und fährt auf die ‚chata‘, das Wochenendhäuschen. Oder man packt den Rucksack und macht einen Ausflug in die Natur. Diesen Provinzialismus und die Skepsis mancher Tschechen mag ich jedoch nicht, wenn sie zu einer Angst gegen das Fremde werden und man auszugrenzen und abzuschotten beginnt,“ fasst Simon Römer zusammen.
Dabei bewundert er sonst eigentlich die tschechische Grundskepsis, die schon an den Anfang der Nationalhymne die Frage stellt: „Wo ist meine Heimat?“ Für einen Skeptiker wie ihn sei dies geradezu ein Paradies. Nur beim tschechischen Osterbrauch, bei dem sich Frauen von Männern mit geflochtenen Weidenruten schlagen lassen und dann dafür noch Geschenke – in meist flüssiger Form – verteilen, ist seine Skepsis der der Tschechen voraus.
Natascha Hergert dagegen hält den nagenden Selbstzweifel vieler Tschechen für übertrieben: „An Tschechien stört mich, dass die meisten Tschechen davon ausgehen, dass mich etwas stören müsste. Ich denke, sie dürfen ruhig glauben, dass ihr Land auch für Nicht-Tschechen schön sein kann.“
Der Alltag in Deutschland und Tschechien unterscheidet sich aber in den Augen der Paare kaum. „Die Unterschiede sind im Lebensniveau, Gesundheitswesen und bei der Effizienz der Staatsführung“, erklärt Richard Šulko. „Wir lösen unsere alltäglichen Probleme nach denselben Regeln. Deutsche und Österreicher haben im Gegensatz zu Tschechen üblicherweise dafür einfach mehr Geld übrig – das sehe ich als Hauptunterschied“, sagt Lukáš Dulíček.
Bei Besuchen in Deutschland fielen ihm zudem besonders die am Sonntag geschlossenen Geschäfte auf. Eine deutsche Sitte, die in Tschechien vor allem Gewerkschaften auch übernehmen möchten. Hier lässt der Rest der Gesellschaft seine Skepsis walten – ebenso wie bei dem in Deutschland durchgesetzten Rauchverbot in Gaststätten, das in Tschechien mehrfach scheiterte. „Uns trennt die Einstellung zur Arbeit, uns verbindet die Gastfreundschaft“, meint Irene Šulko.
Die Küchenfrage
Ein landestypisch bewirteter Gast ist jedoch nicht immer zwangsläufig auch ein Freund der lokalen Küche. Zum Glück verstehen sich unsere Paare auch kulinarisch. „Wir essen regelmäßig Weißwürste mit hausgemachten Brezeln, die Natascha macht. Mir schmecken auch ihre Spätzle sehr gut. Die meisten Gerichte ähneln der tschechischen Küche.“ Auch Natascha Hergert konnte sich mit den Speisen ihrer Wahlheimat anfreunden, nur das deutsche Brot fehlt ihr.
Lucie Kavanová hat sich sogar daran gewöhnt, dass zu einer Kartoffelsuppe auch ein paar Löffel Essig gehören können, Simon Römer hatte dagegen keine Probleme mit dem Speiseplan: „Wenn man wie ich Kümmel, Majoran, Knoblauch und Essig sehr mag, dann ist man in Tschechien sehr gut aufgehoben.“
Dieser Artikel erschien im LandesEcho 6/2016.
{flike}