Insgesamt gibt es in ganz Tschechien etwas mehr als ein Dutzend Kindergärten, in denen Kinder Deutsch lernen können, meistens in Form von Projekttagen, AGs oder auch im Rahmen von Partnerschaften mit Kindergärten in Deutschland. Der Kindergarten Junikorn in Pilsen aber ist etwas ganz Besonderes, denn er ist einer der wenigen komplett zweisprachigen Einrichtungen. Am 8. Oktober feierte Junikorn seinen fünften Geburtstag.
„Englisch ist ein Muss, Deutsch ist ein Plus”, so formulieren es Alena Svobodová und Jana Konečná, die Direktorinnen des ersten deutsch-tschechischen Kindergartens namens Junikorn in Pilsen. Im Rathaus der Stadt Pilsen halten sie gerade eine Präsentation über ihren Kindergarten, denn es ist Junikorns fünfter Geburtstag und zahlreiche hochrangige Gäste, darunter auch der deutsche Botschafter Christoph Israng, sind an diesem Oktobernachmittag nach Pilsen gekommen, um Junikorns Jubiläum zu feiern.
Angefangen hat alles nicht etwa vor fünf Jahren, sondern schon viel früher. Noch zu Schulzeiten nahmen Alena Svobodová und Jana Konečná an einem Schüleraustausch in Deutschland teil und entdeckten so ihre Liebe und Begeisterung zur deutschen Sprache. Alena Svobodová war später lange im Bereich der deutsch-tschechischen Beziehungen tätig. Während ihrer Studienzeit an der Wirtschaftsuniversität in Prag leitete sie fünf Jahre lang das deutsch-tschechische Jugendforum „Versuch´s mal in Deutschland”, danach arbeitete sie als Sprachanimateurin beim deutsch-tschechischen Jugendaustausch Tandem in Pilsen. Alena Svobodová und Jana Konečná, die eine pädagogische Ausbildung absolviert hatte, fanden es schade, dass es in Pilsen kein Angebot für Vorschulkinder gab, Deutsch zu lernen – und das trotz der Nähe zu Deutschland. Also wagten sie den Schritt, bündelten ihre Expertise und gründeten mithilfe vieler Partner, darunter vor allem der deutsch-tschechische Jugendaustausch Tandem, den ersten deutsch-tschechischen Kindergarten in Pilsen.
Einen passenden Namen für den Kindergarten zu finden, stellte sich als gar nicht so einfach heraus. „Eigentlich wollten wir einen Germanismus”, berichtete Svobodová dem LandesEcho, allerdings sei ihnen kein sonderlich attraktiver Name eingefallen. Schließlich kamen sie nach langem Nachdenken auf „Junikorn”, was ein englisch-deutsch-tschechisches Sprachspiel ist. Zunächst ist Junikorn die tschechische Schreibweise von „unicorn”, englisch für Einhorn, also ein Symbol für etwas Zauberhaftes und Geheimnisvolles, so wie die Welt der Kinder. Gleichzeitig ist es auch ein Verweis auf das Sternzeichen Einhorn, denn für die Leiterinnen des Kindergartens seien alle Kinder einzigartige Sterne. Deshalb tragen die beiden Gruppen des Kindergartens auch die Bezeichnungen Sternenklasse und Sonnenklasse. Außerdem schwingt in Junikorn “junior” mit und auch das deutsche Wort “Korn”. Svobodá erklärt, dass alle Kinder auch so etwas wie kleine Samenkörner sind, um die man sich kümmern muss, damit sie wachsen und groß werden können.
Insgesamt gehen 24 Kinder in den Kindergarten Junikorn, mehr gibt die Kapazität der Villa, in der der Kindergarten untergebracht ist, nicht her. Das Interesse ist allerdings immens, sodass es bereits lange Wartelisten für die begehrten Plätze gibt. Etwa 70 Prozent der Kinder kommen aus einer tschechischen Familie, oft arbeiten die Eltern in deutschen Unternehmen oder sie sehen für ihre Kinder Vorteile für die Zukunft, wenn sie schon früh Deutsch lernen. In einigen Fällen sind aber auch die Familien zweisprachig und manche Kinder haben beispielsweise eine tschechische Mutter und einen deutschen Vater. Besonders seit Pilsen im Jahr 2015 europäische Kulturhauptstadt gewesen ist, gebe es dort viele deutsche Unternehmen und damit auch eine gesteigerte Nachfrage nach deutschsprachigen Bildungsangeboten im vorschulischen Bereich. Auch die Betreuerinnen und Betreuer der Einrichtung sind alle zweisprachig und beherrschen Deutsch wie Tschechisch gleichermaßen. Außerdem sind immer deutsche Muttersprachler im Haus. Von Beginn an kooperiert Junikorn mit dem Freiwilligenprogramm „European Solidarity Corps“, durch das Freiwillige – meist aus Deutschland – für 12 Monate den Kindergarten begleiten und in seiner täglichen Arbeit unterstützen. Oft absolvieren auch deutsche Schüler und Studierende pädagogischer Fachrichtungen ein ein- bis zweimonatiges Praktikum bei Junikorn. Sie kommen von Partnereinrichtungen in Düsseldorf, Augsburg und Gifhorn.
Der wichtigste Programmpunkt ist der tägliche Morgenkreis. Hier besprechen die Erzieherinnen und Erzieher mit den Kindern die Themen des Tages, die den weiteren Tagesablauf bestimmen. Oft sind das auch tagesaktuelle Themen, wie der kürzliche Tod des tschechischen Schlagerstars Karel Gott. Außerdem gibt es immer ein Thema des Monats. Im Oktober sind das die „Blaulichtberufe“: Feuerwehrmänner, Polizisten und Rettungssanitäter kommen in den Kindergarten und stellen ihren Beruf vor. Ein spezielles, allumfassendes pädagogisches Programm gebe es bei Junikorn nicht, so Svobodová. Man bediene sich aber durchaus viel – je nachdem wie und wo es passt – bei der Pädagogik von Montessori, Waldorf und auch Naomi Aldort.
Deutsch lernen die Kinder nicht etwa nur in Form einzelner Projekte oder in einer täglichen „Deutschstunde“, sondern der komplette Tagesablauf des Kindergartens findet zweisprachig, also auf Deutsch und Tschechisch, statt: Sei es beim Morgenkreis, beim Essen oder Spielen im Garten. Auch deutsche Lieder werden mit den Kindern gesungen. Dabei sprechen die Erzieherinnen und Erzieher mit den Kindern ausschließlich in ihrer Muttersprache. Die Kinder lernen aber nicht etwa nur Deutsch und Tschechisch, auch auf den Englisch-Fremdsprachenunterricht in der Grundschule werden die Junikorn-Kinder vorbereitet. Englisch sei eben ein „Muss“ und Deutsch ein großes „Plus“, gerade in der Grenzregion zu Deutschland. Kommen die Kinder denn nicht durcheinander, wenn sie so vielen Sprachen ausgesetzt sind? „Eigentlich nicht“, sagt Alena Svobodová. Die Kinder könnten ziemlich gut zwischen den Sprachen unterscheiden. Es komme vor, dass die Kinder dann auch beim selbstständigen Spielen Deutsch sprechen, aber auch die deutschen Kinder lernen sehr schnell Tschechisch.
In Pilsen gibt es keine Grundschule, die ab der ersten Klasse Deutsch als Wahlfach anbietet. Alle Kinder beginnen mit Englisch als erste Fremdsprache und erst auf weiterführenden Schulen gibt es wieder die Möglichkeit, Deutsch zu lernen. Seit 2017 kooperiert.Junikorn mit der Grundschule und dem Gymnasium Františka Křižíka in Pilsen und bietet Deutschunterricht in Form von Sprachanimation für Grundschulkinder auf zwei Niveaustufen an. Seit September dieses Jahres gibt es eine ebensolche Zusammenarbeit mit der Grundschule Inspiria in Záluží und der Grundschule Cirkevní in Pilsen. Junikorn füllt hier somit eine strukturelle Lücke in der lokalen Sprachbildung und sorgt dafür, dass die Kinder die deutsche Sprache nach ihrer Einschulung nicht gleich wieder vergessen.
Besonders stolz ist Junikorn auch auf die enge Zusammenarbeit und Freundschaft mit dem Partnerkindergarten St. Dionysius in Neunkirchen bei Weiden in der Oberpfalz, die sowohl von Tandem als auch dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds unterstützt wird. Jährlich gibt es zwei Treffen mit dem Partnerkindergarten, abwechselnd in Deutschland und Tschechien. Dann unternehmen die Kinder gemeinsame Ausflüge, wie z. B. demnächst ins Techmania Science Center in Pilsen oder danach zu einem bayerischen Erlebnisbauernhof. Dazu kommt ein Mal pro Jahr ein dreitägiges Treffen der Pädagoginnen, das dazu dient, sich über die tägliche Arbeit auszutauschen und gemeinsam pädagogische Programme zu diskutieren. Diese Treffen seien immer sehr inspirierend für die tägliche Arbeit, erzählt Svobodová. Ein weiterer wichtiger Partner ist außerdem der Verein der Deutschen in Böhmen – Region Pilsen, der sich ebenfalls in der Villa befindet. Zwischen den Kindern und den Vereinsleuten gebe es ein sehr freundschaftliches und über die Generationen hinweg enges Verhältnis, ein Mal pro Woche gibt es ein Zusammentreffen und viele Veranstaltungen finden gemeinsam statt. Im Dezember z. B. begehen die Kinder und der Verein zusammen den Sankt-Nikolaus-Tag. Ein Programmpunkt soll dann ein Theaterstück sein, das die Kinder aufführen werden.
Am Ende der Präsentation im Pilsner Rathaus erscheinen fünf Zahlen auf der Projektionsfläche, die die letzten fünf Jahre von Junikorn zusammenfassen: 1, 5, 6, 20 und 100. Svobodová und Konečná klären auf: Seit fünf Jahren nun gibt es einen deutsch-tschechischen Kindergarten in Pilsen. Sechs Freiwillige und 20 Praktikantinnen und Praktikanten haben Junikorn seit dem Beginn begleitet. Schließlich gibt es schon 100 Kinder, die den deutsch-tschechischen Kindergarten besucht haben. Vieles hat Junikorn in den vergangenen fünf Jahren schon erreicht und auch für die Zukunft gibt es – wenn auch noch keine konkreten Pläne – so doch große Wünsche. Die ungebremste Nachfrage nach Plätzen und die begrenzte Kapazität der Villa lassen die Direktorinnen darüber nachdenken, in größere Räumlichkeiten umzuziehen oder sogar einen neuen Kindergarten zu bauen. Möglicherweise könnte auch ein zweiter Standort eröffnet werden. Ein weiterer Wunsch dreht sich um die Tatsache, dass es in Pilsen keine Grundschule gibt, die Deutsch als Wahlfach anbietet. In den Augen der Direktorinnen ist das ein großes Problem. Denkbar wäre laut Svobodová und Konečná aber nicht nur die Einführung eines Wahlfaches Deutsch, sondern vielleicht auch die Gründung einer deutsch-tschechischen Grundschule. Dazu bräuchte es aber die Unterstützung vieler Partner und der lokalen Politik.
Letztendlich möchte Junikorn mehr sein als „nur“ ein Kindergarten. Junikorn versteht sich als eine kleine, internationale Gemeinschaft, die sich für die Zukunft und Entwicklung der heranwachsenden Generationen einsetzt, aber auch für soziale und ökologische Werte, welche die Gesellschaft verbinden und deren Grundlage bilden.