Heute sind es 400 Jahre seit der schicksalshaften Schlacht vor den Toren Prags. Auch damals war es ein Sonntag. Wie sieht es an dem Ort der damaligen Auseinandersetzung eigentlich heute aus? Ein Erkundungsgang auf den Spuren der Vergangenheit.
Ein Berg ist das nicht. Und unter dem Wort „Grabhügel“ stellt man sich auch eher etwas Monumentales vor. Auf dem Hügel in 387 Metern über dem Meeresspiegel, der allgemein Weißer Berg genannt wird, befindet sich eine mit Gras bewachsene etwa zwei Meter hohe Aufschüttung, darauf ein kleines Denkmal mit der Aufschrift „Den gefallenen Kämpfern“. Es erinnert an die Schlacht am zweiten Novembersonntag 1620. An einem Oktobervormittag trifft man an diesem windigen Ort am westlichen Ende von Prag nur einen einsamen Rentner an. „Die Bauern gegen Siegmund…Ach nein, die vereinten Fürsten gegen die Deutschen,“ antwortet der Mann auf die Frage, wer hier eigentlich gekämpft hat. „Und damit begann das Unglück, die Unterdrückung“, fügt er noch hinzu. Er sagt, dass er weder „Protestant noch Katholik ist“ und verschwindet schnell.
Die dreißigjährige Michaela, die in einer Villa direkt gegenüber dem Grabhügel wohnt und gerade mit dem Kinderwagen losgeht, denkt über die Frage kurz nach. „Hier kämpften die Katholiken gegen… das weiß ich schon nicht mehr. Für uns ging das schlecht aus, wir wurden fremd regiert, aber ich weiß auch nicht mehr von wem“, sagt die Frau, die sich als Katholikin outet. Viele ihrer Glaubensgenossen aber auch Barockliebhaber würden ihrer negativen Einschätzung der Entwicklung nach der Schlacht vom Weißen Berg nicht zustimmen. Frau Michaela ergänzt noch, dass die gefallenen Soldaten „ringsum in der Erde verstreut liegen“ und auch auf dem Gelände der nahen Kirche.
Das stimmt. Die Männer, die in der Schlacht ihr Leben ließen, in der die Armee des katholischen Kaisers, des Habsburgers Ferdinand II., das von den böhmischen, größtenteils protestantischen Ständen angeheuerte Heer besiegte, liegen in Massengräbern um den Weißen Berg verteilt. Schätzungen zufolge könnten es 5.000 bis 9.000 Gebeine sein. Einer der wenigen konkreten Orte, wo mit großer Sicherheit Soldaten begraben sind, ist eine kleine Wiese hinter der barocken Kirche der Heiligen Maria vom Sieg. Sie befindet sich einige Minuten Fußweg in östlicher Richtung vom Grabhügel entfernt. Hier wurden erst 1999 die sterblichen Überreste von 42 Kämpfern und zwei Frauen begraben. Ziemlich sicher ging es um Angehörige des besiegten protestantischen Heers. Laut der Untersuchung der Knochen, die einen tödlichen Schlag von oben feststellten, wurden sie wahrscheinlich auf der Flucht getötet. „Sie wurden von polnischen Reitern verfolgt, die sie erschlug“, sagt der Archäologe Ladislav Rytíř.
Es gibt nichts zu feiern
Schwer zu sagen, ob diese Soldaten darüber froh wären, dass ihr letzter Ruheort gerade hier eingerichtet wurde: An der Mauer der Kirche, die erst als Kapelle, dann als Teil eines repräsentativen Wallfahrtskomplexes als Zeichen des katholischen Triumphes über die „Häretiker“ errichtet wurde. Stanislava Francesca Šimuniová, Schwester der Gemeinschaft der Benediktinerinnen, die in dem kleinen 2007 gegründeten Kloster auf dem Gelände der Kirche lebt, glaubt, dass auch die nichtkatholischen Kämpfer hier „in Frieden ruhen“. Und das, obwohl direkt gegenüber ihrem Massengrab, das nur durch einen Kreis aus kleinen Steinchen gekennzeichnet ist, an der Mauer die Aufschrift „Dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“, prangt. Die Benediktinerin erinnert daran, dass die Soldaten vor 21 Jahren bei einer ökumenischen Versöhnungsfeier beerdigt wurden. Also Jahrhunderte nach ihrem Tod und auch lange nachdem ihre Gebeine in den 1960er Jahren von Arbeitern beim Bau neuer Häuser gefunden wurden. Die Gebeine lagen dann lange Jahre vergessen in Kisten im Militärhistorischen Institut.
Die Benediktinerin Francesca an der Kirche Heilige Maria vom Siege. Foto: Economia/Libor Fojtík
Schwester Francesca ist eine groß gewachsene Mittvierzigerin in Jacke und Hosen. Benediktinerinnen bewegen sich in ziviler Kleidung. Sie öffnet das Kirchentor und zeigt im Gewölbe Fresken mit Szenen, die dem Tod der Soldaten vorausgingen. Auf einem Bild sieht man das schon flüchtende Heer der böhmischen Stände. Ein weiteres Fresko hält den Moment vor der Schlacht fest. An der Spitze der Habsburger Armee stand Maximilian I., Herzog von Bayern, der den Feldzug finanzierte. Neben ihm ist der Befehlshaber der Einheiten der Katholischen Liga, General Johann von Tilly, zu sehen. In Begleitung des bayerischen Herzogs befand sich auch der Karmelitermönch Dominicus Ruzola am Weißen Berg, der auf dem Bild neben Maximilian und Tilly mit hervorstechenden Augen zur Ikone der Jungfrau Maria betete. Diese hatten der Legende nach die bayerischen Soldaten in einer Kirche bei Pilsen (Plzeň) gefunden, die kurz zuvor von Calvinisten geplündert worden sein soll. Der Mönch brachte die geschändete Ikone mit auf den Weißen Berg und nutzte sie bei seiner flammenden Predigt vor den ermüdeten Söldnern. Historische Quellen schreiben, dass er damit die Söldner gegen die zu allem fähigen Protestanten und vor allem zum Kampf aufputschte. Denn die katholischen Generäle drängten sich nicht in die Schlacht und zogen eine Belagerung Prags vor. Sie fürchteten, dass das Ständeheer, wenn auch kleiner, auf eine Schlacht besser vorbereitet war, weil es sich auf dem taktisch besser gelegenen Weißen Berg formierten. Die Katholiken standen also vor einem anstrengenden Angriff bergauf.
„Aber Maximilian als der Geldgeber wollte keine unsichere und womöglich lang dauernde Belagerung vor dem anbrechenden Winter finanzieren und drängte die Befehlshaber zu einer sofortigen Reaktion, bei der ihn gerade auch der Karmeliter Dominicus unterstützte“, erzählt Schwester Francesca, Mitglied der hiesigen kleinen Gemeinschaft mit weiteren fünf Schwestern. Nach dem Weißen Berg entstand in der katholischen Kirche der Kult der Heiligen Maria vom Siege, die sich der Legende nach nicht nur um den Triumph in der Prager Schlacht, sondern auch der Habsburger Armeen in weiteren Kriegen verdient machte. Ihr ist die Kirche am Weißen Berg geweiht.
Schlecht bezahlte Söldner
Dass aber Christen „Christus als Waffe“ benutzten, gefällt Schwester Francesca nicht. Die Gestalt des Mönches Dominicus ist heute eher umstritten, auch in seinem eigenen Karmeliterorden, sagt sie. Obwohl er einige Male Kandidat für eine Heiligsprechung war, kam es wegen der Kontroverse um seine Kriegsagitation nicht dazu. „Keine unserer Schwestern hier im Kloster wird diesen Sieg von 1620 feiern. Für mich persönlich ist jedes verlorene Leben schlecht“, versichert die Benediktinerin, die erst als 35-jährige zum Katholizismus konvertierte. Vorher war sie evangelisch. Am Jahrestag der Schlacht wollen die Schwestern gemeinsam mit weiteren Vertretern der Kirche in einem ökumenischen Gottesdienst in der nahen Allee der Exilanten ein eisernes Versöhnungskreuz aufstellen, das ein Bendiktinermönch in Deutschland geschmiedet hat. „Wenn das wegen Corona überhaupt stattfindet“, fügt Francesca unsicher hinzu.
Vom Weißen Berg geht es zwischen Villen auf einer Asphaltstraße leicht bergab zu der langen Mauer, die das Lustschloss Stern (Hvězda) umfasst. Entlang der Steinmauer liegt eine ungefähr 500 Meter große Wiese. In ihrem östlichen Teil spielt sich jedes Jahr die Rekonstruktion der damaligen Schlacht ab. Wegen des Wetters findet sie immer schon im September statt, so auch in diesem Jahr. „Trotz der Pandemie kamen 900 Teilnehmer, so viel wie in den letzten Jahren“, sagt Jiří Hannich, Sprecher des sechsten Prager Stadtbezirks.
Das Kreuz der Versöhnung an der Allee der Exilanten erinnert an die Gefallenen der Schlacht vom Weißen Berg. Es wird heute eingeweiht, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Foto: ČTK/Krumphanzl Michal
Die blutigsten Scharmützel der Schlacht fanden Historikern zufolge aber auf dem Gelände am südwestlichen Ende der Mauer statt. Und gerade hier liegen wohl die meisten Toten. Hier wurde das sogenannte mährische Regiment geschlagen. Dabei handelte es sich um von den mährischen Ständen angeworbene Söldner. Einfache Soldaten wurden gewöhnlich direkt auf dem Schlachtfeld beerdigt. Nur die Körper der Offiziere wurden woandershin gebracht. „Die Toten stapelten sich an der Mauer. Und weil der Boden gefroren war, wurden sie wohl erst im Frühjahr begraben“, sagt der Archäologe Ladislav Rytíř, der vor vier Jahren das Gelände untersuchte. Die Archäologen forschten aber nicht nach Gräbern, sondern untersuchten nur die oberen Schichten des Erdreichs. Dort fanden sie Patronenhülsen und Teile der Ausrüstung, mehr nicht. „Dort wird sich auch nicht viel finden, denn bevor die Soldaten beerdigt wurden, nahm man ihnen alles ab“, sagt Vít Vlnas, Historiker an der Katholischen Fakultät der Karlsuniversität Prag.
Dies ist eine gekürzte Version einer Reportage, die zuerst im Wochenendjournal „Víkend“ der Tageszeitung „Hospodářské noviny“ erschien (Übersetzung: Steffen Neumann). Die vollständige Version lesen Sie in der November-Ausgabe der Zeitschrift LandesEcho, die am 12. November erscheint. Das LandesEcho ist entweder im Abo oder im Kioskverkauf erhältlich.