Bild: Wahlurne

Kommunalwahlen scheinen von der Größenordnung her nicht so wichtig zu sein wie etwa Parlamentswahlen. In Tschechien ist das an diesem Wochenende für rund 160 000 Menschen ganz anders. Es sind dies Bürger aus anderen EU-Ländern, die vorübergehend oder ständig in der Nachbarrepublik leben.

 

 

 

Die dürfen nämlich erstmals auch an dem Urnengang teilnehmen. Vor vier Jahren war ihnen dies noch verweigert worden. Ungesetzlich. EU-Recht nämlich ermöglicht Ausländern aus der EU in allen Ländern der Union, in denen sie sesshaft sind, an Kommunal- und auch an den Europawahlen teilzunehmen. Prag ignorierte das vor vier Jahren schlichtweg. 

 

Weshalb das so ist? Ein Kommentator fand dieser Tage eine stimmige Begründung, die viel über die tschechische Seele aussagt: „Feindlichkeit gegenüber anderen Nationen ist für Tschechen, Mähret und Schlesier eigentlich nicht typisch. Wir haben ‚lediglich‘ gern unsere Ruhe und Bequemlichkeit. Wir setzen uns mit jedem beim Bier zusammen. Aber weshalb sollte sich jemand von ‚anderswoher‘ in ‚unsere‘ inneren Angelegenheiten einmischen?“

 

So sehr die Teilnahme an der Wahl nun prinzipiell möglich ist – ganz so einfach machen es einem die Behörden denn aber doch nicht. Glück hatten die, die mit der Partei der Grünen im Internet vernetzt sind. Die Grünen – die einzige Partei in Tschechien übrigens, die auch EU-Ausländer als Mitglieder aufnimmt und diese auch zu Kandidaten macht – verschickten eine mehrsprachige Anleitung, damit man an den Wahlen teilnehmen kann. Man muss dazu nämlich seine Unterlagen in Ordnung haben, die einen mit einem Pass als Bürger mit ständigem oder vorübergehenden Aufenthalt in Tschechien ausweisen. 

 

Mit diesem Pass und meinem deutschen Personalausweis machte auch ich mich auf den Weg in mein Bezirksamt, um mich in die Wählerliste eintragen zu lassen. In der Behörde durfte ich nach mehr als einer Stunde Wartezeit einen entsprechenden Antrag ausfüllen, den es natürlich nur auf Tschechisch gab. Nach dem Motto, wer hier lebt, hat auch die Sprache zu beherrschen. Da wird es aber bei einigen schon kompliziert; eine Sprachprüfung braucht nämlich eigentlich nur der, der die tschechische Staatsbürgerschaft erwerben will. Da ich seit einem Vierteljahrhundert in Tschechien lebe, war das für mich natürlich keine Hürde. Die Beamtin hinter dem Schalterfenster kopierte meinen kompletten Ausweis über mein ständiges Aufenthaltsrecht, monierte, dass in diesem Pass als Geburtsort lediglich Halle stehe, nicht Halle (Saale), wie ich vorwitzig und ordnungsliebend in meinem Antrag geschrieben hatte. Nach einer längeren Bedenkpause, die ich zu durchleiden hatte, ließ sie mir meinen „Fehler“ gerade noch so durchgehen. Und dann sagte sie, ich müsse jetzt warten, bis man mir telefonisch mitteilt, ob meine Angaben bei der Ausländerpolizei auch bestätigt würden. Erst dann mache es Sinn, ins Wahllokal zu gehen. „Aber bei Ihnen werden wir sicher nicht anrufen, Sie haben ja alles richtig gemacht, wenn ich von Ihrem Fehler bei der Angabe Ihres Geburtsortes absehe“, fügte sie mit ernstem Gesicht, aber irgendwie doch gönnerhaft hinzu.

 

Ich darf in meinem Wahllokal gleich zweimal wählen: einmal die Abgeordneten meines Prager Stadtbezirks und dann die des Prager Magistrats, der dann wiederum aus seinen Reihen den Oberbürgermeister wählt. Die Stimmzettel wirft einem in Tschechien übrigens die Postfrau in den Briefkasten. So kann man sich Tage vorher schon den Kopf zerbrechen, wem man seine Stimme gibt. Der Wahlzettel mit den Kandidaten für meinen Stadtbezirk ist übersichtlich, hat den Umfang eines doppelseitig beschriebenen A4-Blatts. Für die Kandidatenliste des Magistrats braucht es einen großen Tisch. Auf acht Seiten A2-Format sind dort mikroskopisch klein die Protagonisten von 30 Parteien und Gruppierungen aufgeführt. Jeweils maximal 65 Leute – so viele Abgeordnete hat der Magistrat. Es wird Geschick brauchen, um diese Liste im Wahllokal überhaupt zu öffnen. Wenn man dann auch noch – was möglich ist – 65 Leute, aus verschiedenen Parteien ankreuzt, wird die Wahl zu einer längeren Prozedur. 

 

Politisch bedeutsam für das ganze Land ist die Magistratswahl in Prag. Der Prager Oberbürgermeister hat so viel Macht (und Geld zu verteilen), wie ein starker Minister der Regierung. Logisch, dass die Parteien hier auch ihre absoluten Spitzenleute in Stellung bringen. Der Wahlkampf in der Hauptstadt war aber ziemlich inhaltsleer. Zum meist diskutierten Thema wurde, wie man die Hundehaufen von den Bürgersteigen und Straßen wegbekommt. Das haben sich 90 Prozent der Parteien vorgenommen. Zur Erklärung: zu fast jeder tschechischen Familie gehört ein Hund. Und die müssen alle mehrfach am Tag raus. Und so sieht es dann auch aus draußen. 

 

Strategisch wichtige Fragen wie die des nicht mehr zu beherrschenden Autoverkehrs oder des Ausbaus der Metro spielten im Wahlkampf eher eine untergeordnete Rolle. Lieber stritt man sich über Kandidaten. So über die Spitzenfrau der an der Regierung beteiligten Bewegung ANO des Multimilliardärs und Vizepremiers Andrej Babis. Die durchaus chancenreiche Dame ist nämlich gebürtig aus Bratislava, kommt mithin aus der Slowakei, die heute für die Tschechen Ausland ist. „Darf eine Slowakin Prager Stadtchefin werden“, fragten da schon mal die Konkurrenten boshaft. Wie schrieb doch der anfangs zitierte Kommentator: „Weshalb sollte sich jemand von ‚anderswoher‘ in ‚unsere‘ inneren Angelegenheiten einmischen?“ 

 

Ich bin in jedem Fall Freitag oder Samstag, den beiden Wahltagen in Tschechien, erst mal weg. Wählen. Erstmals. Und darüber durchaus glücklich. Schließlich bin ich in Prag zuhause und möchte gern darüber mitentscheiden, wie sich meine Stadt entwickelt. Und wenn die Abgeordneten das nicht so machen, wie ich will, dann kandidiere ich in vier Jahren einfach selbst.

 

 

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