Kurz vor dem Ende seiner vierjährigen Amtszeit zog der tschechische Botschafter in Berlin, Tomáš Kafka, eine Bilanz zum Stand der deutsch-tschechischen Beziehungen. Trotz vieler politischer Herausforderungen zeigt er sich zufrieden mit der Zusammenarbeit beider Länder, fordert jedoch von Deutschland eine stärkere politische Führungsrolle.

Am 20. August 2020 begann Tomáš Kafka seine Tätigkeit als tschechischer Botschafter in Deutschland, Ende August 2024 wird er sie beenden. Die Zeiten seit seinem Amtsbeginn waren turbulent – die Corona-Pandemie, die russische Invasion in die Ukraine, der Wechsel der Bundesregierung von Kabinett Merkel zu Kabinett Scholz. Umso wichtiger in diesen Zeiten war und ist die europäische Zusammenarbeit und die Stabilität in den deutsch-tschechischen Beziehungen. An Deutschland und seine Rolle in Europa formuliert Kafka klare Erwartungen.

Optimismus in der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit

Tschechien versteht sich aufgrund seiner geographischen Lage als Nahtstelle zwischen West-, Mittel- und Osteuropa. Die Beziehung der Nachbarländer Deutschland und Tschechien ist von zentraler Bedeutung für die Gestaltung dieser diplomatisch wichtigen Position Tschechiens. Im Interview mit der tschechischen Nachrichtenagentur ČTK zog Kafka ein optimistisches und zufriedenes Fazit zur Lage der deutsch-tschechischen Beziehungen. Die freundschaftlichen Treffen von Premierminister Petr Fiala (ODS) mit den Regierungschefs von Sachsen, Michael Kretschmer (CDU), und Bayern, Markus Söder (CSU), stünden symbolisch für die starke Bindung der zwei europäischen Nachbarländer. Außerdem bewertete Kafka das Treffen Fialas mit Scholz im Mai 2022, bei dem Scholz der Tschechischen Republik Hilfe beim Ersatz der an die Ukraine gelieferten Waffen versprach, als “inspirierend”. Sichtbar sei diese Bindung auch während der Pandemie geworden, als auch die Grenzschließungen das gegenseitige Vertrauen nicht habe erschüttern können. Kafka lobte in diesem Kontext die Kommunikation zwischen Deutschland und Tschechien unter den schwierigen Bedingungen zu Pandemiezeiten. 

Heute seien die Bedingungen der Zusammenarbeit so gut, „dass wir die Freiheit haben, alle möglichen Formate zum Aufbau von Beziehungen zu nutzen“, so Kafka gegenüber ČTK. Die Annäherung zwischen Deutschland und Tschechien spüre Kafka besonders in der Beziehung zu den angrenzenden Bundesländern Sachsen und Bayern: “Wir Tschechen spüren selbst, dass die Deutschen uns näher kommen, insbesondere die Sachsen und Bayern.” Er beobachte zunehmend „einen gemeinsamen Lebensstil, gemeinsame Anliegen, gemeinsame Traditionen [und] gemeinsame Hobbys“.

Beziehung zu den Sudetendeutschen

Doch nicht nur die aktuellen politischen Fragen beschäftigen die deutsch-tschechischen Beziehungen, sondern besonders auch die komplizierte gemeinsame Geschichte. Doch auch im Hinblick auf das Verhältnis zu den Sudetendeutschen und die Aufarbeitung der gemeinsamen Vergangenheit zieht Kafka eine positive Bilanz. Die guten Beziehungen ermöglichten den Aufbau gemeinsamer Projekte. In diesem Sinne pflegte Kafka beispielsweise einen guten Kontakt zu Bernd Posselt, dem höchsten politischen Vertreter der Sudetendeutschen, und vertrat an Pfingsten dieses Jahres Tschechien auf dem Sudetendeutschen Tag in Augsburg. 

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Deutschlands Rolle in Europa

Die Rolle Deutschlands in der europäischen Politik ist für Tomáš Kafka eindeutig: „Wir alle würden uns wünschen, dass Deutschland zu der Vorbildrolle zurückkehrt, die es vor vier Jahren innehatte.“ Er kritisierte im Interview mit ČTK, dass das Land zwar intellektuell eine Führungsrolle übernehmen wolle, aber psychologisch nicht in der Lage sei, ausreichend an sich selbst zu glauben und Zweifel zu überwinden. Das führte Kafka darauf zurück, dass Deutschland aus seiner Sicht momentan „viele interne technische und, sagen wir mal, mentale Probleme zu lösen“ habe. Aufgrund dieses Zustands gehöre Deutschland in seinen Augen „eher zu den Radfahrern im europäischen Peloton als zu einem Land, das in Europa den Ton angibt“.

Diplomat, Schriftsteller und Übersetzer

Bereits im Jahr 1991 arbeitete der am 20. Mai 1965 in Prag geborene Kafka in der Außenstelle der Botschaft der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik in Berlin als Attaché. Später leitete er den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds in Prag. Nach weiteren diplomatischen Stationen, u.a. in Irland, ging es für ihn 2020 wieder nach Berlin. Für seine Arbeit wurde er im Jahr 2001 mit dem Bundesverdienstkreuz und im Jahr 2006 mit dem Kunstpreis zur deutsch-tschechischen Verständigung.  ausgezeichnet. 

Neben der Diplomatie schlägt Kafkas Herz für die Literatur. So übersetzte er zahlreiche deutschsprachige Werke ins Tschechische, u.a. von Autoren wie Bernhard Schlink, Durs Grünbein und Wilhelm Busch. Als Autor verfasste Kafka, der in keinem Verwandtschaftsverhältnis zu Franz Kafka steht, Gedichte und Theaterstücke.

Tschechische Botschaft in Berlin vor großen Veränderungen

Das Ende von Tomáš Kafkas Amtszeit geht einher mit großen Veränderungen der Tschechischen Botschaft in Berlin. Mit seinem Abgang beginnen auch die lang ersehnten Renovierungsarbeiten des Botschaftsgebäudes. Kafkas Nachfolger als tschechischer Botschafter in Berlin wird Jiří Čistecký, der bis April dieses Jahres das Amt des Geschäftsträgers an der Tschechischen Botschaft in Moskau innehatte.

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