Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem tschechischen Außenminister Jan Lipavský zeigte sich Deutschlands Chefdiplomatin Annalena Baerbock zuversichtlich, dass sich der Ringtausch mit Tschechien zur Unterstützung der Ukraine auf einem guten Weg befinde. Daneben sprachen Baerbock und Lipavský über die deutsch-tschechische Zusammenarbeit in den nächsten Jahren, die tschechische EU-Ratspräsidentschaft sowie über die aktuelle Situation um den Waldbrand in der Böhmischen und Sächsischen Schweiz.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihr tschechischer Amtskollege Jan Lipavský (Piraten) beschlossen am Dienstagmorgen in Prag ein Arbeitsprogramm zum Strategischen Dialog, das die Eckpunkte der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen bis zum Jahr 2024 festlegen soll. „Das Programm nimmt auch Bezug auf die Prioritäten unserer EU-Ratspräsidentschaft und betrifft Bereiche wie Verkehr, Energie, Klima aber auch praktische Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“, berichtete Lipavský, der die Beziehung zu Berlin als am wichtigsten für sein Land in Europa bezeichnete. Die deutsch-tschechische Zusammenarbeit soll dabei mit konkreten Projekten gestaltet werden, so Baerbock. Als Beispiel nannte sie die Einrichtung einer wasserstoffbetriebenen Fernbuslinie zwischen Dresden und Prag.
Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock und ihr tschechischer Amtskollege Jan Lipavský nach Unterzeichnung des gemeinsamen Arbeitsprogramms des „Strategischen Dialogs“ am Dienstagmorgen im Tschechischen Außenministerium. Foto: Manuel Rommel
Ringtausch mit Tschechien wird finalisiert
Im Zentrum des Besuchs von Baerbock stand aber die Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine. Bundesaußenministerin Baerbock bekräftigte die Notwendigkeit, die Ukraine neben der humanitären und finanziellen Hilfe auch militärisch zu unterstützen. “In der Ukraine werden unsere Freiheit, unsere Art zu leben und unsere Werte mitverteidigt”, so die Grünen-Politikerin. In Bezug auf jüngste Äußerungen des russischen Außenministers Sergej Lawrow, der entgegen früherer Behauptungen sagte, dass Russland die ukrainische Regierung stürzen wolle, sagte Baerbock: „Niemand kann mehr behaupten, Russland ginge es um etwas anderes als um die völlige Unterwerfung der Ukraine und ihrer Menschen.“ In diesem Zusammenhang zeigte sich Baerbock zuversichtlich, dass der Waffen-Ringtausch mit Tschechien funktioniert. Tschechien hatte als eines der ersten Länder schwere Waffen, darunter Schützenpanzer sowjetischer Bauart, an die Ukraine geliefert. Von deutscher Seite soll Tschechien dieses militärische Material nun ersetzt werden. Unter anderem soll Tschechien aus Deutschland 14 Kampfpanzer sowie einen Bergepanzer erhalten. Tschechiens Verteidigungsministerin Jana Černochová (ODS) hatte Ende Juni vor dem Verteidigungsausschuss des tschechischen Abgeordnetenhauses angekündigt, dass Tschechien noch in diesem Jahr die ersten Panzer erhalten soll. Außerdem ist geplant, dass tschechische Soldaten an dem Material in Deutschland ausgebildet werden. In Prag sagte Ministerin Baerbock, dass die Verträge dazu aktuell finalisiert werden.
Tschechiens Außenminister Lipavský dankte Deutschland für die Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung und wies darauf hin, dass nach sechs Monaten Krieg der Ukraine allmählich militärisches Material aus sowjetischer Produktion ausgehe, weshalb man diskutieren müsse, welche westlichen Waffen man an die Ukraine liefern könne. „Jeder Staat muss das für sich entscheiden“, so Lipavský. Deutschland habe hier aber das Potenzial, einen Unterschied zu machen. Baerbock verwies daraufhin auf die Waffenlieferungen, die Deutschland der Ukraine bereits zukommen ließ.
Als eine große Leistung bezeichnete Baerbock es außerdem, dass Tschechien bereits über 400.000 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen habe.
Baerbock: „Atomkraft keine Antwort auf Energiekrise“
Neben der Unterstützung der Ukraine war auch die Energiesicherheit im Hinblick auf mögliche Gaslieferstopps seitens Russlands Thema des Tschechien-Besuchs der deutschen Außenministerin. Sowohl Deutschland als auch Tschechien wollen unabhängig von russischen Energielieferungen werden und bei diesem Vorhaben enger kooperieren. Vor zwei Wochen hatten beide Länder ein Solidaritätsabkommen abgeschlossen, mit dem sich Deutschland und Tschechien bei Gasmangel Energielieferungen zusichern. Neben Deutschland gehört Tschechien zu den Ländern mit der größten Abhängigkeit von russischem Gas. Den heute von den EU-Staaten bestätigten Gas-Notfallplan für den Winter betrachtet die tschechische Regierung als einen Erfolg ihrer EU-Ratspräsidentschaft. Anders als Deutschland will Tschechien aber auch verstärkt auf die Atomkraft setzen und plant den Bau neuer Reaktoren. Für Deutschland lehnte Baerbock diesen Weg erneut ab, da sich die aktuelle Krise weniger auf die Stromproduktion beziehe, sondern auf die Wärmeversorgung. „Dabei spielen Atomkraftwerke keine entscheidende Rolle“, ist sich Baerbock sicher. Nutzen solle man vor allem auch die Stärke des gemeinsamen europäischen Energie-Binnenmarktes.
Eine Löschflugzeugstaffel für Mitteleuropa?
Während der gemeinsamen Pressekonferenz kam Außenministerin Baerbock auch auf den Waldbrand in der Böhmischen und Sächsischen Schweiz zu sprechen. Dass man die Anstrengungen im Kampf gegen die Klimakrise nun mit „doppelter Schlagkraft“ umsetzen müsse, könne man in Prag förmlich riechen, so Baerbock. Durch einen Rauch- und Qualmgeruch hatte sich der seit Sonntag wütende Waldbrand in der Böhmischen und Sächsischen Schweiz auch im über 100 Kilometer entfernten Prag bemerkbar gemacht. „CO2 macht nicht an der Grenze Halt, auch Waldbrände tun dies nicht“, mahnte die Grünen-Politikerin und regte die Einrichtung einer europäischen Löschflugzeugstaffel auch für Mitteleuropa an, so wie diese auch für Südeuropa im Rahmen des Programms „rescEU“ bereits zum Einsatz komme. Sowohl für den Klima- als auch für den Katastrophenschutz müsse man gemeinsam einstehen.
Bei dem Brand im Nationalpark Böhmische Schweiz sind über 400 Feuerwehrleute im Einsatz, darunter auch Einheiten aus Deutschland.
Nach den Gesprächen besuchten Baerbock und Lipavský gemeinsam die Gedenkstätte Lidice. Im Juni 1942 wurde die dortige männliche Bevölkerung von deutschen Soldaten und Sondereinsatzkräften ermordet, Frauen und Kinder wurden in Konzentrationslager verschleppt und der Ort dem Erdboden gleichgemacht. Am Nachmittag reiste Baerbock weiter in die Slowakei.