Mit „Jan Žižka: Geburt eines Heerführers“ (international vermarktet als „Medieval“) kam in der vergangenen Woche ein blutiges Mittelalterspektakel um den gleichnamigen tschechischen Nationalhelden und Hussitenanführer auf die Leinwand. Mit einer halben Milliarde Kronen (20,36 Mio. Euro) ist es der teuerste jemals in Tschechien produzierte Film. Mitgewirkt hat neben Hollywood-Größen auch ein bekannter deutscher Schauspieler. Lohnt sich der Gang ins Kino?
Prag im Jahr 1402: „Gewalt, Tyrannei, Intrigen, Macht.“ Gleich in den ersten Szenen umreißt eine raue Männerstimme in Stichworten die gesellschaftliche und politische Lage im Mitteleuropa des frühen 15. Jahrhunderts. Die (angeblich) goldenen Zeiten Kaiser Karls IV. sind vorbei und nach dessen Ableben sind Machtkämpfe um die böhmische Königskrone sowie die Kaisernachfolge im Heiligen Römischen Reich entbrannt. Zusätzlich ist Europa entzweit durch die Existenz von gleich zwei Päpsten – einem in Rom und einem im französischen Avignon. Auch der Bevölkerung geht es nicht gut. Die Bauern sind der Willkür des Adels ausgesetzt, Gewalt steht auf der Tagesordnung und wer bis dahin noch überlebt hat, wird spätestens vom Schwarzen Tod dahingerafft. Zugleich bereitet die Stimme die Zuschauer auch schon einmal mental auf das vor, was visuell in den nächsten 125 Minuten folgen wird. Nämlich vor allem Gewalt und überraschend viele (und kreative) Arten zu sterben.
Die eingangs erwähnte Stimme aus dem Off gehört Sir Michael Caine, den der Regisseur Petr Jákl für sein filmisches Mittelalter-Epos als einen der Großen aus Hollywood gewinnen konnte. Im Film spielt Caine den alten und mächtigen Fürsten Boresch, der im Auftrag des glücklosen Königs Wenzel IV. (Karel Roden) unterwegs ist. In den Diensten von Boresch steht Jan Žižka (Ben Foster) mit seiner Söldnergruppe, der seinen Dienstherren gleich in den ersten Filmminuten vor den Schergen des durchtriebenen Heinrich von Rosenberg (Til Schweiger) beschützen muss. Und schon sind wir mittendrin im ersten Gemetzel, das mit dem Steinbruch von Velká Amerika eine eindrückliche Drehkulisse fand.
Auch dabei: Hollywood-Urgestein Sir Michael Caine („The Dark Knight“, „Interstellar“, „Tenet“) spielt Lord Boresch. Foto: Bioscop
Will Tschechien mit seinem Film international bekannter machen: Judoka, Stuntman, Schauspieler und Regisseur Petr Jákl (links), zusammen mit Hauptdarsteller Ben Foster. Zu Jákls letzten Regiearbeiten gehörte „Ghoul – Die Legende vom Leichenesser“. Foto: Bioscop
Der Kampf um den Thron
Im Mittelpunkt der Handlung stehen die Machtspielchen am Königshof: Boresch möchte gerne König Wenzel auf dem Kaiserthron sehen und lässt Žižka die schöne Katharina (Sophie Lowe), eine Nichte des französischen Königs und zugleich die Verlobte des Heinrichs von Rosenberg entführen, um dessen Unterstützung für Wenzel zu erpressen. Aus Rache lässt dieser nun beinahe Žižkas gesamte Familie umbringen. In die Angelegenheiten mischt sich aber auch Wenzels intriganter Halbbruder, der ungarische König Sigismund (Matthew Goode), der mit mindestens einem Auge auch auf die Krone seines Bruders schielt.
Zwischen die Fronten gerät nun Žižka, der die „Drecksarbeit“ der Adligen erledigen muss und im Zuge von Auseinandersetzungen mit seinem Widersacher Torak (Roland Møller) sein linkes Auge verliert. So entfaltet sich die Handlung, die sich allerdings nur sehr lose an der tatsächlichen, überlieferten Geschichte orientiert. Im Jahr 1402 war Wenzel als römisch-deutscher König bereits abgesetzt, seine Aussichten auf die Kaiserkrone damit in weiter Ferne. Dass ein böhmischer Adliger sich Hoffnungen machen kann, die Nichte des französischen Königs zu ehelichen, dürfte auch eher ins Reich der Fantasie gehören, auch wenn Heinrich von Rosenberg tatsächlich zu den mächtigsten Fürsten im damaligen Königreich Böhmen und zu den ärgsten Gegnern Wenzels IV. zählte. Es gibt also einige historische Ungereimtheiten – ganz abgesehen von den im Film verwendeten Waffen: Über einen Großteil des Films kämpft Žižka mit einem sogenannten Degenbrecher, der aber erst in der frühen Neuzeit erfunden wurde. Letztendlich ist selbst über das Leben von Žižka vor seiner Zeit als hussitischer Heerführer – als welcher er nie eine Schlacht verloren haben soll – nur sehr wenig bekannt. Überliefert ist nicht einmal, wie und wann er sein Auge verlor, was ihm schließlich zur ikonischen Darstellung mit Augenbinde verhalf. Bekannt ist ebenso wenig, welches Auge Žižka eigentlich verloren ging. In Erscheinung trat der historisch gesicherte Jan Žižka (ca. 1360-1424) spätestens ab 1419 mit dem Beginn der Hussitenkriege. Zum tschechischen Nationalhelden wurde er vor allem nach einem Sieg über königliche Truppen auf dem Veitsberg bei Prag im Jahr 1420 – wo heute ein neun Meter hohes Reiterstandbild an ihn erinnert.
Verfügt zu Beginn noch über beide Augen: Der (zukünftige) Hussitenführer Jan Žižka, gespielt von Ben Foster („Todeszug nach Yuma“, „Lone Survivor“). Foto: Bioscop
Als Heinrich von Rosenberg kein besonders angenehmer Zeitgenosse: Til Schweiger. Foto: Bioscop
Žižka im Blutrausch
Žižkas Sympathie mit den Hussiten lässt sich im Film, der dessen Vorgeschichte und Weg zum Helden erzählen möchte, zwar bereits vorausahnen, dass er einmal zu ihren Wortführern werden sollte, erscheint in „Medieval“ aber doch noch etwas fragwürdig. Hier tritt er eher wortkarg auf, gibt wenig von seinem Innenleben preis und scheint vor allem die Sprache der Gewalt zu beherrschen. Mehr Tiefe zeigt Sophie Lowe mit ihrer Verkörperung der Katharina, die eine Wandlung vom offenbar schüchternen Mädchen zur selbstbewussten Frau durchmacht und ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt, dabei aber ein ausgeprägtes Stockholm-Syndrom entwickelt. Die sich langsam entwickelnde Romanze zwischen Entführer und Entführten erklärte Regisseur Jákl auf der Pressekonferenz zur Premiere des Films: „Eine Frau hat immer Einfluss auf einen Mann, sei es im Guten oder im Bösen. Gleich zu Beginn habe ich mir gesagt: es muss eine Frau dahinterstecken.“ Ob der historische Žižka eine Frau an seiner Seite hatte, die ihn gar beim Aufstieg zum Hussitenführer unterstützte, ist ebenso ein weißer Fleck in der Geschichte, den Jákl ausfüllen möchte.
Dass Regisseur Jákl aber das eigentlich faszinierende Thema der Hussitenkriege – eines der prägendsten Kapitel in der Geschichte Tschechiens – größtenteils beiseitelässt, ist schade und lässt seinen Film, dessen Handlung vergeblich nach einer Vorlage in der Geschichte sucht, zu einer Art historischer Fantasy verkommen. Was vermutlich aber auch so gewollt ist, die Parallelen zu „Game of Thrones“ – der wohl erfolgreichsten Fantasy-Serie in einem Mittelalter-Setting – sind offensichtlich, auch wenn „Medieval“ ganz ohne Drachen auskommt. Statt sich tiefer mit der Geschichte zu beschäftigen, legte Jákl – der in der Vergangenheit auch als Stuntman tätig war – einen Fokus auf die Darstellung brutaler Kampfszenen und steigert den Film zu einem wahren Blutrausch. Erdolcht, erschlagen, aufgespießt, geköpft, gepfählt, von einer Klippe gestürzt, tödlich von einem Pfeil getroffen, von einem Löwen zerfleischt – die Möglichkeiten, zu sterben, sind in „Medieval“ vielfältig.
Entwickelt ein Stockholm-Syndom: „Lady Catherine“ (gespielt von der Australierin Sophie Lowe: bekannt u.a. aus der französischen Serie „The Returned“)
Spinnt schon die nächste Intrige: König Sigismund, gespielt von Matthew Goode (bekannt u.a. aus „The Crown“). Foto: Bioscop
Teuerster tschechischer Film aller Zeiten
Mit „Medieval“ versucht Jákl ganz großes Kino. Mit etwa einer halben Milliarde Kronen (20,36 Millionen Euro) ist es der teuerste tschechische Film aller Zeiten geworden, und damit auch ein Film, der in Tschechien schon lange und mit Spannung erwartet wurde. Erstmals hatte Jákl im Jahr 2013 angekündigt, einen Film über den Hussitenführer Žižka produzieren zu wollen. Gedreht wurde – in englischer Sprache – schließlich im Herbst 2018 bei Prag, auf bekannten Burgen (u.a. Pürglitz/Křivoklat), in Südböhmen und in der Böhmischen Schweiz. Nachdem sich die Veröffentlichung des Films vor allem durch die Corona-Pandemie verzögert hatte, feierte er am 5. September 2022 in Prag seine Premiere. Während des ersten Wochenendes lockte „Jan Žižka“ bzw. „Medieval“ mehr als 100.000 Zuschauer in die tschechischen Kinos und spielte knapp 19 Millionen Kronen (ca. 775.000 Euro) ein. Das darf als Erfolg gewertet werden.
Für Fans historischer Filmepen à la „Braveheart“, die sich auch vor der expliziten Darstellung brutaler Gewalt nicht scheuen, kann sich „Medieval“ durchaus lohnen. Neben einer spannenden Handlung bietet der Film vor allem mit beeindruckenden Drohnen-Aufnahmen tschechischer Landschaften und Burgen optische Reizwerte. Wer kein Blut sehen kann oder Wert auf eine korrekte Darstellung der Geschichte legt, wird an dem Film aber wenig Gefallen finden.
Kinogänger in Deutschland müssen sich allerdings noch etwas gedulden. Der Filmstart ist dort für den 22. Oktober 2022 angekündigt.
Hier der offizielle Trailer zum Film: