Bild: Kaiser Ferdinand I., ab 1526 König Böhmens

Geschichtsschreibung ist immer ein Spiegel ihrer Zeit und derer, die sie betreiben. Über Landesgrenzen hinweg einen Konsens zu finden, der eine objektive Sicht der Dinge ermöglicht, ist in vielen Fällen eine Herkulesaufgabe. Tschechische und österreichische Historiker arbeiten seit 2009 in einer Ständigen Konferenz zum gemeinsamen kulturellen Erbe zusammen, um eine solche länderübergreifende Basis zu schaffen.

Das größte Projekt der Historikerkommission ist seit 2015 die Arbeit an einem gemeinsamen tschechisch-österreichischen Geschichtsbuch, das den Zeitraum vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart abdecken soll. Auf etwa 500 Seiten entsteht so ein populärwissenschaftliches und leicht zugängliches Standardwerk, das helfen soll Vorurteile und Ressentiments abzubauen. Die Veröffentlichung des Buchs ist für 2017-2018 geplant, zusammen mit didaktischem Schulmaterial und einer Begleitbroschüre.

Dieses Projekt kann auf eine breite Unterstützung staatlicher Stellen beiderseits der Grenze bauen. In Tschechien wird es unterstützt vom Bildungsministerium und den Regionen Südmähren (Jihomoravský kraj) und Hochland (Vysočina). In Österreich sind das Schulministerium, der Zukunftsfonds der Republik Österreich und die Bundesländer Wien, Niederösterreich und Oberösterreich beteiligt.

Dass gerade die Grenzregionen dieses Projekt unterstützen, ist kein Zufall. Tschechien und Österreich hat nach 1526 eine jahrhundertelange Geschichte in einem gemeinsamen staatlichen Gebilde verbunden und hier sind die Spuren noch besonders sichtbar. Durch die Umwälzungen des letzten Jahrhunderts sind viele alte Verbindungen abgebrochen und auch die lange zurückliegende Vergangenheit wurde unterschiedlich gedeutet.

Neuer Ansatz

Eine Renaissance der tschechisch-österreichischen Beziehungen, wie sie seit einigen Jahren angestrebt wird, kommt also auch am Thema der Geschichtsdeutung nicht vorbei. Gemeinsam sichten die Historiker also die Quellen und werten sie aus. Dazu arbeiten an jedem Abschnitt des Buches jeweils Experten aus beiden Ländern zusammen. Aber auch die Öffentlichkeit wird an der Entstehung beteiligt. Bei Diskussionsveranstaltungen in Österreich und Tschechien werden bisherige Forschungsergebnisse präsentiert und Anmerkungen aufgenommen.

Es habe bei den Historikern durchaus Kontroversen bei der Konzeption des Buches gegeben, war bei einer dieser Veranstaltungen in Prag zur hören, diese hätten sich aber nur auf den methodischen Aufbau, besonders die Länge der einzelnen Kapitel, bezogen und seien nie inhaltlicher Natur gewesen. Ein für bilaterale Historikerkommissionen ungewöhnlicher Konsens, wie die Wissenschaftler erklärten.

Es ist viel Inhalt, der hier in 500 Seiten gepresst werden soll. Bei der Diskussionsrunde in Prag wurde deutlich, dass das Publikum sehr viele Einzelthemen behandelt sehen möchte. Nicht allen Ansprüchen wird man genügen können. Vielleicht kann das gemeinsame tschechisch-österreichische Geschichtsbuch aber nicht nur Konsens sein, sondern auch Anstoß, diesmal übergangene Themen in weiteren Publikationen zu behandeln.

Dieser Artikel erschien im LandesEcho 3/2016.

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