Im Rahmen ihres gemeinsamen Fotoprojekts legen Klaus Ditté und Martin Sichinger ihren Fokus auf die deutsch-tschechische Grenzregion. Ihr neues Buch ist eine Hommage an das Unperfekte.

Klaus Ditté, ein Fotograf aus Passau, und Martin Sichinger, ein Schriftsteller aus Winterberg (Vimperk), präsentieren den Lesern in ihrem neuen Buch „Verlassene Wunder“ das, was die Tschechen im Grenzgebiet nicht mehr wahrzunehmen gewohnt sind – und was den Deutschen hilft, die Geschichte des Landes zu verstehen, das einst vom Eisernen Vorhang begrenzt war. „Ich habe den Böhmerwald so eingefangen, wie er mir schon seit meinen Streifzügen entlang der damals noch geschlossenen Grenze erschien – geheimnisvoll und aufregend“, erzählt der Fotograf Ditté. Unsere Wanderungen begannen vor sieben Jahren, ohne dass wir an ein Buch dachten. Klaus wollte einfach nur verstehen, was mit der Böhmerwald-Landschaft geschehen ist. Das Hauptmotiv des Buches ist Klaus‘ Staunen und sein Blick auf das Grenzgebiet mit den Augen eines Bayern.

Definition einer neuen Kunstform: Der „Schepsismus“

Vor vielen Jahren, als es noch keine Bauhausladen gab, beobachtete Klaus mit eigenen Augen, wie wir Tschechen ein Loch in einem Reifen mit Pflastern, Verbänden und Holzstücken flickten – und er verstand es als Heldentat, als den Versuch, Schönheit wiederherzustellen und sie dem Verfall zu entreißen. Deutschen erscheint eine solche Vorgehensweise als äußerst unvorsichtig, sie glauben, dass die Tschechen dabei sogar ihr Leben riskieren. Ein Deutscher würde niemals ein verlassenes, verfallenes Haus betreten – er würde es zuerst von allen Seiten inspizieren und nach einem „Zutritt erlaubt“-Schild suchen. Auch durch die tschechische Landschaft zu gehen, bedeutet für Klaus Ditté beispielsweise, Betonpfeiler zu sehen, die kreuz und quer im Gras verstreut liegen. „In Deutschland“, sagt Klaus, „lägen sie alle ordentlich aufgereiht“. So definieren Ditté und Sichinger eine neue Kunstrichtung, den „Schepsismus“, den die beiden Autoren als das Bemühen der Tschechen beschreiben, die entstellte, (post)sozialistische Welt mit eigenen Mitteln zu verschönern – eine Ästhetik, die erst im Kontrast zur deutschen Gründlichkeit zur Geltung kommt. Das Wort ist ein Neologismus, der auf das regionale Wort „scheps“, für „schief“ Bezug nimmt. In Tschechien sind wir so von Schepsismus umgeben, dass wir ihn ohne fremden Anblick gar nicht wahrnehmen. Schepsismus ist die neue Schönheit des Grenzgebiets, gesehen von der anderen Seite der Grenze.

„Verlassene  Wunder“ erscheint in Zusammenarbeit mit dem Velarium-Verlag und dem grenzüberschreitenden Verein „Knihy über Grenze“. Weitere Informationen und Leseproben: www.opustenezazraky.eu. Ansprechpartner:
Radan Běhoun
redakce@velarium.cz
Tel.: +420 603 553 325


das könnte sie auch interessieren



Werden Sie noch heute LandesECHO-Leser.

Mit einem Abo des LandesECHO sind Sie immer auf dem Laufenden, was sich in den deutsch-tschechischen Beziehungen tut - in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur. Sie unterstützen eine unabhängige, nichtkommerzielle und meinungsfreudige Zeitschrift. Außerdem erfahren Sie mehr über die deutsche Minderheit, ihre Geschichte und ihr Leben in der Tschechischen Republik. Für weitere Informationen klicken Sie hier.