Von Enklaven und Pachtverträgen: Ländergrenzen und Staatsgebiete halten so manches Kuriosum bereit. Diesmal widmet sich unser Landesblogger einem französischen Hügel in Mähren und dem tschechischen Teil des Hamburger Hafens.
Deutschland, Polen, Slowakei und Österreich – schon während der Schulzeit im Geographie-Unterricht dürften die meisten Kinder gelernt haben, welches die Nachbarländer Tschechiens sind. Doch nimmt man es ganz genau, könnte man die Aufzählung um einen weiteren Staat ergänzen: Frankreich – und das, obwohl mehrere hundert Kilometer Luftlinie zwischen den beiden äußeren Landesteilen Elsass und Westböhmen liegen.
Wenige Kilometer östlich der mährischen Großstadt Brünn (Brno), steht der Žuráň-Hügel. Von hier aus hat man einen Blick über die gesamte Umgebung. 268 Meter hoch, umgeben von kahlem Ackerland. Nur auf seiner Spitze stehen vier Fahnen und zwei Ahorn-Bäume. Die Fahnenmasten sind in einem Viereck angeordnet und begrenzen ein Areal von wenigen Metern. Dort hängen die österreichische, russische, tschechische und die französische Flagge.
Der „Löwensprung“ entscheidet die Schlacht
Diese wenigen Quadratmeter auf dem Žuráň gelten als extraterritoriales Gebiet des französischen Staates. Das heißt, man befindet sich – ähnlich wie bei Botschaften – auf dem Boden eines anderen Staates. Der Grund dafür liegt über 200 Jahre zurück: Bei der Schlacht von Austerlitz befehligte Napoleon Bonaparte sein Heer von der Anhöhe. Am 2. Dezember 1805 trafen dort die Truppen Napoleons, der sich genau ein Jahr zuvor in Paris zum Kaiser hatte krönen lassen, auf die Alliierten Österreich und Russland. Sie wollten dem Vormarsch der Franzosen durch halb Europa ein Ende setzen.
Am Morgen gegen halb neun standen sich die beiden Heere gegenüber. Dichter Nebel soll verhindert haben, dass sie einander auch sahen. Bis plötzlich die aufgehende Sonne den Nebel vertrieb und die Umgebung in leuchtendes Rot hüllte, so sagen es zumindest die historischen Quellen. In die Annalen eingegangen ist der Sonnenaufgang am Morgen der Schlacht als die „Sonne von Austerlitz“. Obwohl Napoleons Truppen zahlenmäßig unterlegen waren, errangen sie den Sieg. Letztliche verhalf ihm dabei eine taktische Finesse: der sogenannte Löwensprung. Der französische General täuschte einen Rückzug vor dem nahenden österreichisch-russischen Heer an, nur um dieses kurz nach danach von der Flanke her anzugreifen und einen Keil zwischen sie zu treiben. Bekannt ist die Auseinandersetzung auch als „Drei-Kaiser-Schlacht“ – obwohl der russische Zar Alexander I. und der österreichische Kaiser Franz II. während der Kämpfe gar nicht zugegen waren. Die Schlacht gilt als eine der wichtigsten der Napoleonischen Kriege und ist in der französischen Erinnerungskultur noch sehr präsent. Dass die Spitze des Žuráň heutzutage französisches Territorium ist, hat aber nur symbolhaften Charakter.
Ein tschechischer Hafen – noch bis 2028
Napoleon wählte den Hügel damals aus strategischen Gründen aus. Von hier aus konnte man das Schlachtfeld und die gesamte Umgebung überblicken. Dieser Vorteil half ihm dabei, die zahlenmäßige Unterlegenheit seiner Truppen wettzumachen. Was Napoleon allerdings nicht wusste: Der Hügel hat keinen natürlichen Ursprung. Fast fünfzig Jahre nachdem der französische General auf dem Žuráň stand, wurden bei Ausgrabungen Grabstätten entdeckt, die noch aus der Zeit der Völkerwanderung stammen. Mutmaßlich handelt es sich um das Grab eines Angehörigen der Oberschicht eines germanischen Stammes.
Der Name des Hügels leitet sich angeblich vom deutschen Wort „Schurain“ ab, was so viel wie „Grenzhügel“ bedeutet. In Frankreich ist er hingegen unter dem Namen „Napoleons Tisch“ bekannt. Er ist nicht die einzige französische „Extraterritorialität“. Die Napoleonischen Kriege haben ihre Spuren etwa auch in Bayern hinterlassen. Dort steht nahe der Ortschaft Oberhausen das Grab des französischen Grenadiers Theophile Malo Corret Latour d’Auvergne, der an dieser Stelle wenige Jahre vor der Austerlitz-Schlacht bei Gefechten ums Leben kam. Praktische Konsequenzen haben diese Orte nicht, vielmehr symbolischen Charakter. Aber auch andersherum gibt es Kuriositäten um Gebiete außerhalb des eigenen Staatsterrains: Die Tschechische Republik hat ein Hafenbecken in Hamburg gepachtet. Der sogenannte Moldauhafen wurde als Teil des Versailler Vertrags ab 1929 für 99 Jahre an die Tschechoslowakei verpachtet – deutschen Beamten etwa war der Zutritt jahrzehntelang nicht gestattet. Für das Land war der Hafen ein wichtiger Standort, da es über Moldau und Elbe einen mit Schiffen befahrbaren Zugang zur Nordsee hatte. Nach der Teilung der Tschechoslowakei übernahm die Tschechische Republik den Pachtvertrag, er gilt noch bis ins Jahr 2028. Danach soll der Hafenbetrieb eingestellt und das Areal in ein Wohngebiet umgewandelt werden.
Der Moldauhafen in Hamburg. Foto: Marek Blahuš, Hamburg, Moldauhafen, Prager Ufer (4), CC BY-SA 3.0