Illustration: Sudetistanisches Industrieidyll - Bild: LE/Jiří Bernard

„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon“, fragt bei Goethe das Gretchen ihren Heinrich. Eine Frage, die auch heute noch interessant ist. Besonders in Sudetistan. Wie hält man es dort heute mit Dingen der religiösen und metaphysischen Art? Ich würde sagen, seit der Entstehung Sudetistans zur Zeit der Wilden Vertreibung, steht man diesen Dingen eher unaufgeschlossen gegenüber. 

Die Kirchen konnte man den Deutschen zwar wegnehmen. Aber was sollten die Revolutionären Garden nur mit ihnen anfangen?

Fangen wir also bei den Gotteshäusern an. Jedes Dorf unter dem und im Erzgebirge, wollte sich zu k.u.k-Zeiten seiner eigenen Kirche rühmen. Für den Kirchenbau hatte man oft seine eigenen Fonds, in denen man viele Jahre lang Geld sparte, bis die Kirche endlich gebaut werden konnte. So sind viele Bauten entstanden: manche niedlich und malerisch, andere wiederum monumental. Oft war der letzte Besucher in vielen dieser Kirchen der Sprengmeister, der dort seine Ladung platzierte, seine Pflicht erfüllte und sich dann die Hand mit dem Vorsitzenden des örtlichen Nationalausschusses schüttelte. Gleichzeitig ist Sudetistan wohl einzigartig dafür, dass dort ein Gotteshaus mit Erde zugeschüttet wurde, und zwar als das Örtchen Radovesice, einst Radowesitz, dem Tagebau Maxim Gorki, der heute Bílina heißt und aktuell erweitert werden soll, zum Opfer fiel.

Zu einem anderen Objekt war das Schicksal gnädiger. Ich denke dabei natürlich an die Kirche von Brüx (Most), die aus dem 16. Jahrhundert stammt. Natürlich wäre es einfacher und billiger gewesen, die Kirche einfach, wie den Rest der Stadt zu sprengen oder abzureißen. Das kommunistische Regime der 1970er Jahre beschloss dann aber, die gotische Kirche komplett an einen anderen Ort, außerhalb der zur Liquidierung verurteilten Stadt zu verlegen. Natürlich an einen ganz besonders reizvollen Ort, zwischen Bahngleisen, einer Schnellstraße und Plattenbauten.

Aber nun zurück zur Gretchenfrage – wie halten es die Sudetistaner mit der Religion? Ich persönlich kann mich ja des Eindrucks nicht erwehren, dass der Homo Sudetistanicus da nichts verlieren kann. Kommt er nach dem Tod in die Hölle, wird das ein durchaus erträglicher Aufenthalt für ihn werden. Und im Gegensatz zu seinen Lebzeiten, die ihn Schwefelgeruch gegenüber immun gemacht haben, wird er dort wenigstens ein bisschen atmen können.

Die Transzendenz aber hat sich aus dem sudetistanischen Leben dank aufreibender Bemühungen nicht ganz verloren und zeigt sich immer wieder in Form einer gewissen Schicksalsergebenheit. Nur sagt man halt nicht mehr „Das war der Wille Gottes!“, sondern „Was können da schon machen?“. Der Bürgermeister ist korrupt? Naja, was können wir da schon machen. Smog? Den gab es hier schon immer, was können wir da machen. Dank dieser versöhnlichen Haltung droht wenigstens nicht, dass wir uns aus dieser Sauerei irgendwann mal herauskommen.

Würde man die Sudetistaner ins alte Ägypten versetzen, ließen sie sich nicht einmal von den zehn biblischen Plagen aus der Ruhe bringen. Sie sind daran gewohnt, alle auf einmal in irgendeiner Form täglich zu erleben.

Ungern würde ich jetzt aber den Anschein erwecken, wir Sudetistaner seien ein durch und durch gottloses Volk. Das stimmt nämlich nicht. Gerade die momentane Entwicklung Europas hat Christen aus uns gemacht, die päpstlicher sind als der Papst. In Zeiten der Flüchtlingskrise nämlich sind wir entschlossen, notfalls auch mit der Waffe in der Hand, unsere christlichen Werte zu verteidigen.

So weit kommt es nämlich nicht, dass bei uns Flüchtlinge etwa noch das Sagen haben. Oder uns gar unser Reihenhäuschen wegnehmen, das aus Steinen einer zerstörten Kirche gebaut wurde. Denn von christlichen Traditionen wird derzeit viel gesprochen, bei uns in Sudetistan. Aber eher wird jemand Ihnen die aktuellen Angebote von Kaufland herunterbeten, als das Vaterunser.

Dominik Feris Kolumne „Im wilden Sudetistan“ finden Sie jeden Monat exklusiv im LandesEcho und auf landesecho.cz . Dieses Feuilleton erschien im LandesEcho 2/2016. Der Autor (19) ist nordböhmischer Patriot und Stadtrat in Teplice (Teplitz-Schönau). Er studiert Jura an der Prager Karlsuniversität.

{flike}

Werden Sie noch heute LandesECHO-Leser.

Mit einem Abo des LandesECHO sind Sie immer auf dem Laufenden, was sich in den deutsch-tschechischen Beziehungen tut - in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur. Sie unterstützen eine unabhängige, nichtkommerzielle und meinungsfreudige Zeitschrift. Außerdem erfahren Sie mehr über die deutsche Minderheit, ihre Geschichte und ihr Leben in der Tschechischen Republik. Für weitere Informationen klicken Sie hier.