Sudetistanisches Industrieidyll - Bild: LE/Jiří Bernard

„Deutsch? Damit kommst Du bei mir nicht weit, Jüngelchen“, sagt stolz der Opa, dem etwa ebensoviele Träume wie Haare geblieben sind. Die Tatsache, dass er gerade einmal zehn Kilometer von Deutschland entfernt wohnt, scheint ihm verborgen geblieben zu sein. Zumindest solange, bis es im Altenberger Supermarkt Schinken im Sonderangebot gibt.

Tschechisch ist Deutsch, das man ins Tschechische übersetzt hat. Sie fragen sich wahrscheinlich, was das für ein blöder Spruch sein soll. Aber er stimmt. Unsere Wörter, Redewendungen und Pointen sind absolut identisch. Umso unverständlicher ist es, dass sich heute so viele Tschechen, besonders in Sudetistan gegen die deutsche Sprache sträuben.

Aber das ist ein altes Thema: Deutsch gilt als die Sprache der Kolonisten. Dann die Sprache der Habsburger Fremdherrschaft. Und schließlich die Sprache der Nazi-Okkupanten. Dann war Ruhe. Dann lösten wir die Frage des Deutschen nämlich so, dass wir sie hinter das Erzgebirge vertrieben.

Das ist allerdings schon 70 Jahre her und es macht nicht den Anschein, dass das Deutsche in Sudetistan wieder zu einer weitläufig gesprochenen Sprache werden könnte. „Warum sollte ich Deutsch lernen?“, fragt ein Grundschüler. Upps, Moment. Dieser Schüler war vor ein paar Jahren ja noch ich selbst.

Bald darauf hatte ich es aber verstanden. Dazu genügte ein flüchtiger Blick auf die Landkarte und ein Vergleich des Lebensstandards diesseits und jenseits des Erzgebirges. Davon darf man sich natürlich auch nicht zu sehr mitreißen lassen. Sachsen ist auch nur ein Sudetistan der besseren Gesellschaft. Die Kommunisten in der DDR waren ebenso miese Ökonomen wie jene in der Tschechoslowakei. Dennoch ist die Bedeutung der deutschen Sprache auf dem Arbeitsmarkt offensichtlich.

„Arbeite bloß nicht in Deutschland. Ein Kumpel baut dort Gerüste und das ist auch kein Zuckerschlecken. Die Ziehen einem das Fell über die Ohren!“, erzählt ein knapp Zwanzigjähriger unserem Bekannten und erweckt so den Eindruck, er wisse, wie der Hase läuft. Er verschweigt dabei jedoch, dass sich die Kommunikation zwischen dem erwähnten Kumpel und seinem Arbeitgeber auf das Zählen von Geld und das nachfolgende Zusammenrollen der Scheine beschränkt. Ohne Sprachkenntnisse ist es eben schwierig, eine anspruchsvollere und besser bezahlte Arbeit zu bekommen. Wie aber sieht die Arbeitssituation eigentlich in Sudetistan aus?

Etwa so wie bei der Zwangsarbeit in Deutschland während des Krieges – viel Arbeit, wenig Lohn. Man stellt allerdings keine Haubitzen mehr her, sondern Rasierklingen, Reifen oder Kabel. Üblich sind hier zwischen 600 und 700 Euro im Monat. Da verdienen Sommerjobber in Deutschland ähnlich – allerdings nicht für acht Stunden Arbeit täglich, fünf Tage die Woche.

Es ist offensichtlich, dass die deutsche Sprache der Weg aus diesem Teufelskreis ist. Während meiner Schulzeit traf ich nie auf einen Deutschlehrer, der genügend Begeisterung aufgebracht hätte, um die Schüler zum Deutschlernen zu bewegen. Man muss sich zunächst klarmachen, dass das eine Sprache

ist und nicht nur der Inhalt einer 45-minütigen Schulstunde. Man muss sich dem Deutschen durchgängig und auch in der Freizeit widmen. Einen solchen Lehrer kennt auch in meinem Bekanntenkreis niemand. Wahrscheinlich sind begeisterte Deutschlehrer nur ein Mythos, denn in dem meisten Schulen ist der Deutschunterricht etwa so interessant, wie Farbe beim Trocknen zuzusehen.

Man muss es den Schülern aber auch ganz klar sagen: „Entweder ihr arbeitet hier für einen gewissen Betrag, oder in Sachsen für das dreifache Gehalt.“ Motivation ist ein nützliches Werkzeug. Es wirkt ideal – deutsch arbeiten und tschechisch einkaufen. Warum ist dem nicht so? Weil man in Sudetistan schuften muss. Es bleibt keine Zeit dazu, hinter den Bergen ein besseres Leben und bessere Verdienstmöglichkeiten zu entdecken. Uns genügt das hier, Hauptsache wir müssen nicht Deutsch reden.

Dominik Feris Kolumne „Im wilden Sudetistan“ finden Sie jeden Monat exklusiv im LandesEcho und auf landesecho.cz . Dieses Feuilleton erschien im LandesEcho 7/2016. Der Autor (20) ist nordböhmischer Patriot und Stadtrat in Teplice (Teplitz-Schönau). Er studiert Jura an der Prager Karlsuniversität.

 

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