… gehen die Pilsener auch gerne im Herbst. Wo die Bewohner der viertgrößten Stadt Tschechiens früher und heute gerne das kühle Nass such(t)en, hat sich unsere Kolumnistin einmal angeschaut.
Wenn die Sonne scheint, kommen sie bereits früh am Vormittag. Wenn noch alles still ist. Sie ziehen sich im Biergarten um und dann ab ins kalte Nass. „Elf, zwölf Grad“, melden sie die gefühlte Wassertemperatur denen, die am Ufer zurückgeblieben sind und frieren. „Genau richtig!“ Ein paar kräftige Schwimmzüge und bald sieht man ihre Köpfe, umtanzt von treibenden Blättern, hinter der Flussbiegung verschwinden.
Die Pilsener gehen gerne baden – im Fluss. Vielleicht liegt es daran, dass sich fünf Fließgewässer um ihre Stadt herumschlängeln: Die Úhlava (dt. Angel oder Angelbach), die Úslava (dt. Uslawa, früher auch Bradlawa oder Amselbach), die Radbuza (dt. Radbusa), die Mže (dt. Mies) und die Berounka (dt. Beraun). Die Úhlava vereinigt sich bereits am Stadtrand vor dem Viertel Doudlevce mit der Radbuza, mit der sie mitten durch das Zentrum bis in den Vorort Raudna (Roudná) treibt. Dort kommt aus Richtung Mies (Střibro) die Mže hinzu. Wieder gibt es eine Vereinigung, der neu entstandene Fluss heißt fortan Berounka. Parallel zu Úhlava und Radbuza, wenn auch mehrere Kilometer versetzt, umfließt als Fünfte die Úslava das östliche Pilsen und die Bahnstrecke nach Brüx (Most). An der St. Georgskirche trifft auch sie auf die Berounka und macht sie vereint mit ihr auf den Weg nach Prag.
Eine Dynastie von Bademeistern
Vor allem im Innenstadtbereich sind die Flüsse begradigt, die Ufer zubetoniert. Zum Baden lädt das nicht ein. Doch Jahrzehnte lang gab es sogar eine riesige Flussbadeanstalt am Ufer der Radbuza, genannt „Städtisches Schwimmbad“. 1910 wurde sie eröffnet. Zu Zeiten ihrer größten Beliebtheit tummelten sich auf einer Fläche von 6.000 Quadratmetern an den Wochenenden täglich 4.000 Menschen.
Plovarna historisch: Die städtische Flussbadeanstalt an der Radbuza. 1910 erhielt sie Besuch von einem Frauenklub aus Chicago. Die Frauen fanden das Schwimmbad an der frischen Luft so vorbildlich, dass sie Pläne und Beschreibungen anforderten. (Reproduktion aus der Ausstellung „Sonne, Wasser, Luft“ (Slunce, voda, vzduch), Pěstuj prostor, Pilsen 2018
Die Bademeister taten zu viert Dienst. Sie gaben Schwimmunterricht und retteten Badegäste vor dem Ertrinken. Mit der Pilsener Familie Mader gab es sogar eine Dynastie von Bademeistern. Jan Hanuš Mader, Jahrgang 1877, und sein Sohn Karel, Jahrgang 1911, übten diesen Beruf bereits in der dritten und vierten Generation aus. Hanuš Mader fühlte sich dem städtischen Schwimmbad sogar so verbunden, dass er auf dessen Gelände ein Haus für seine Familie erbaute. Im Winter sei er freilich einer anderen Tätigkeit nachgegangen, erzählte sein Enkel Honza, Jahrgang 1949, in einem Zeitzeugen-Interview: Aus dem Bademeister Mader wurde ein Kürschner. In dem großen Haus habe es im Parterre ein Restaurant gegeben und im ersten Stock die Kürschnerei. Seinem Vater Karel wiederum habe die Flussbadeanstalt im Zweiten Weltkrieg das Leben gerettet, so der Zeitzeuge weiter. Als er mit einem Kollegen das Schwimmbadgelände kontrollieren wollte, gab es einen Luftangriff. Dicht neben den beiden erfolgte der Einschlag. Karel Mader blieb an einem Balken hängen, unter sich das kochende tobende Wasser. Er überlebte, der Kollege nicht.
Zeitzeuge Honza Mader. Foto: Beate Franck
Kleine Schwimmschüler der Bademeister Mader in der Flussbadeanstalt an der Radbuza (Reproduktion aus der Ausstellung „Sonne, Wasser, Luft“ (Slunce, voda, vzduch), Pěstuj prostor, Pilsen 2018
Das städtische Schwimmbad wiederum überlebte die Industrialisierung nicht, obwohl das Interesse der Pilsener Bevölkerung am Baden im Fluss auch in den 1950er und 1960er Jahren anhielt. Abwässer der Škoda-Werke, rauchende Kamine und der Gestank der Abfälle aus der gegenüberliegenden Papierfabrik machten ihm den Garaus. Die Badegäste zogen zu den Bolevecer Teichen am westlichen Stadtrand um. 1965 wurde das Schwimmbad geschlossen. Übrig blieben nur Mauerreste, die Steintreppen in die Radbuza und das Bademeister-Haus. Aus dem Dornröschen-Schlaf geweckt wurde das Schwimmbad noch einmal für fünf Jahre von der Architekten-Vereinigung „Pěstuj prostor“ („Gestalte den Raum“). Die engagierten jungen Leute wandelten das Gelände zur Kulturbühne um, veranstalteten Workshops, Konzerte oder Tanzabende, bauten Stege aus Fässern und eine Seilbahn übers Wasser. Zu über 170 Veranstaltungen kamen rund 20.000 Besucher. 2018 war damit wieder Schluss – der provisorische Betrieb scheiterte an den Finanzen und am Vandalismus von Besuchern. Seitdem ist das Gelände wieder in Vergessenheit geraten.
Die ehemalige Flussbadeanstalt heute im Sommer (oben, mit Bademeister-Haus) und Herbst. Foto: Beate Franck
Bade-Idylle außerhalb der Stadt
Ins Wasser springen kann man dort zwar immer noch. Doch die Pilsener bevorzugen dafür einen anderen Ort: das Dörfchen Hradiště, wo an der Úhlava bei einem Wehr eine kleine Bademöglichkeit besteht. Grund: Es gibt hier einen Biergarten und einen Abenteuer-Spielplatz. Am Wochenende zieht es zahlreiche Familien per Rad in diese Idylle unter alten Bäumen. Die Mutigen schwimmen auch im Herbst bei elf, zwölf Grad ihre Runden. Die weniger Mutigen genießen ihre Freizeit und ihr Bier. Dazwischen werden aus dem quäkenden Lautsprecher des Bistros die fertigen Bestellungen ausgerufen: „Zweimal Kartoffelpuffer, einmal Wurst vom Grill!“ Die Úhlava fließt derweil wie eh und je in Richtung Pilsen, dort in die Radbuza, die Berounka und dann nach Prag.