Wenn im Unterhaus über die Ehe für alle debattiert wird, bauen Jsme fér gegenüber ihren Info-Stab auf und hissen die Regenbogenflagge. / Foto: Peggy Lohse

Es ist noch nicht lang her, da galt Tschechien als LGBT+-Mekka und Insel der Toleranz in Mittelost- und Osteuropa. Doch der Wind hat sich gedreht. Tschechiens Unterhaus sträubt sich gerade gegen die Debatte um die Ehe für alle. Die Gräben verlaufen quer durch die Parteien. Als zwei Gesetzentwürfe es dennoch auf die Tagesordnung schaffen, läuft die polemische Diskussion ins Leere. 

Morgen, morgen, nur nicht heute… – so geht das Unterhaus des tschechischen Parlaments die Bearbeitung zweier Gesetzesvorschläge an. Nach monatelangem Verschieben seit Mitte November 2018 kam es am Dienstag zwar immerhin zum Beginn der ersten Lesung. Nach dreieinhalb Stunden aber stimmten die Abgeordneten dann nicht über die Novellen ab, sondern mit klarer Mehrheit für die Aussetzung der Debatte bis zur nächsten Vollversammlung. Wann die sein wird, ist noch nicht bekannt. 

Tschechien genießt eigentlich seit Langem den Ruf eines toleranten, offenen und progressiven Landes, wenn es um die Liebe geht. 1961 wurde in der Tschechoslowakei die Strafe für Homosexualität abgeschafft. Vor 13 Jahren, am 5. März 2006, überstimmte das tschechische Abgeordnetenhaus dann das Veto des damaligen Präsidenten Václav Klaus und mit knapper Mehrheit für die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare – als einer der ersten Staaten im ehemaligen sogenannten Ostblock. Bis Ende 2018 sind 3117 Paare eine eingetragene Partnerschaft eingegangen, 448 wurden wieder aufgehoben. Das sind gute 14 Prozent. Die Ehe-Scheidungsrate lag laut Tschechiens Statistik-Amt 2017 bei 45 Prozent.

In den betreffenden Gesetzesvorschlägen von 2018 geht es nun um die Definition der Ehe: Ehe für alle, also auch für homosexuelle Paare – das sieht die Vorlage von Radka Maxová (ANO 2011) und Unterschriften von 46 Abgeordneten aus (fast) allen anderen politischen Parteien vor. Statt „Bund zwischen Mann und Frau“ soll dann im Zivilgesetzbuch die Definition „Bund zweier Menschen“ für die Ehe stehen. Grundsätzlich dafür haben sich die Piraten ausgesprochen, dagegen KDU-ČSL (Christliche und Demokratische Union – Tschechoslowakische Volkspartei) und die rechtsextreme SPD (Freiheit und direkte Demokratie). Die Ehe ausschließlich als „dauerhaften Bund eines Mannes und einer Frau, um die herum eine Familie entsteht“ wollen KDU-ČSL, SPD und 37 Unterstützer im Gesetz festgehalten haben. Am Tonfall, in dem die Diskussionen um diese zwei Ehe-Definitionen geführt werden, sieht man deutlich, wie sich die politische Stimmung in Tschechien in den letzten Jahren verändert hat. 

Im Unterhaus des Tschechischen Parlaments zur ersten Lesung der Gesetzesvorschläge pro und contra Ehe für alle. / Foto: Peggy Lohse

Mehr Partnerschaft, weniger Rechte

Das Problem ist, dass die eingetragene Partnerschaft einige sehr grundlegende rechtliche Nachteile bedeutet:

1. Heterosexuelle Paare können auf jedem beliebigen Standesamt heiraten. Dazu sind zwei Trauzeugen nötig. Eingetragene Partnerschaften können in ganz Tschechien nur auf 14 Ämtern geschlossen werden, Trauzeugen gibt es keine.

2. Eheleute haben ein Anrecht auf zwei arbeitsfreie Tage für die Hochzeit. Für die Registrierung einer Partnerschaft gibt es kein Anrecht auf arbeitsfreie Tage.

3. Die Ehe macht die Eheleute und ihre Familien zu Verwandten vor dem Gesetz. Bei registrierten Partnerschaften sind die Familienmitglieder der Verpartnerten nicht verwandt, Schwager und Schwägerin beispielsweise gibt es dann vor dem Gesetz nicht. Dies kann z.B. im Krankheits- oder Todesfall große Nachteile mit sich bringen.

4. Mit der Eheschließung entsteht automatisch gemeinsames Eigentum der Ehepartner. Dies bedeutet auch, dass Ehepartner einen höheren Erbanteil haben als eingetragene Partner. Registrierte Partner sind derweil lediglich Miteigentümer. Eine Güterteilung bei Auflösung der Partnerschaft gibt es nicht. 

5. Eheleute können sich direkt bei der Trauung auf eine Namensänderung einigen. Partner müssen eine solche nach der Registrierung extra beantragen.

6. Eheleute haben nach dem Tod des Partners Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Registrierte Partner haben im selben Fall keinerlei Ansprüche.

7. Der Ehepartner oder die Ehepartnerin kann das nicht leibliche Kind adoptieren, Ehepaare können gemeinsam ein fremdes Kind adoptieren oder Pflegeeltern werden. Registrierten Partnern ist die Möglichkeit der Adoption in allen Formen vorenthalten.

8. Im Falle einer Ehe-Scheidung haben beide Eltern ein Recht auf Umgang mit dem Kind. Das Kind kann die Eltern beerben. In einer Partnerschaft hat der/die nicht leibliche Partner/in kein Recht, das Kind weiter zu sehen, muss jedoch auch keine Alimente zahlen. Das Kind kann nur den leiblichen Elternteil beerben.

Kein gleiches Recht für Gleiche

Religiös inspirierte Argumentation ist im atheistischsten Land Europas im Kommen. / Foto: Peggy Lohse

Der Abgeordneten Maxová, der Initiative Jsme fér (Wir sind fair) und ihren Unterstützern geht es nun darum, diese Rechte-Lücke zu schließen. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sollen sich auch Ehe nennen dürfen und vor dem Gesetz ebenso behandelt werden wie heterosexuelle Paare nach der Trauung. Diese Vorstellung allein scheint einige Tschechen und Politiker aber so sehr zu verstören, dass sie im Statistiken zufolge atheistischsten Land Europas wieder zu archaischen, religiösen Begründungen greifen, um dies zu verhindern. 

Vorm Eingang zum Abgeordnetenhaus standen am 26. März 2019 dann auch eine Handvoll Männer mit selbstgemalten Plakaten, als um 14 Uhr die Vollversammlung begann, wo die zwei Ehe-Novellen zur Agenda gehörten. In bunten Großbuchstaben schrieben sie: „Schützt die traditionelle Familie!“, „Gottes Ordnung einhalten!“, „Der Zerfall der Familie führt zum Zerfall der Gesellschaft“ oder „Vor Sodom  ♀♀♂♂ zurückzuweichen, ist amoralisch, gottlos, unchristlich, Landesverrat, Fluch und der Weg in die Hölle!“. Drinnen eröffnete der Vorsitzende des Unterhauses, Radek Vondráček (ANO), die Debatte: „Uns erwartet eine interessante und lange Diskussion!“ Er sollte nur teilweise Recht behalten.

Tomio Okamura (SPD) beginnt die Debatte. / Foto: Peggy LohseDer erste Redner war der für seine provokanten Ansichten berüchtigte SPD-Vorsitzende Tomio Okamura. Er begann mit weit hergeholten und beängstigenden Vergleichen seinen populistischen Redebeitrag, auf dessen „Argumente“ später einige seiner Anhänger zurückgriffen. Er machte sich über das jüngst in Deutschland eingeführte, laut ihm „nicht existierende dritte Geschlecht“ lustig und sagte klar: „Zwei Männer oder zwei Frauen werden niemals Mutter und Vater.“ Auf der übervollen Zuschauertribüne klatschte etwa die Hälfte der Gäste.

Sein Parteikollege Radek Rozval legte nach: Nur Mann und Frau könnten zusammen „alle Funktionen der Familie“ erfüllen. Der Staat entscheide ja nicht, wer mit wem lebe – selbst wenn zwei Schwestern oder ein Mann mit seiner eigenen Mutter zusammen seien. „Aber die Ehe ist eine Institution! (…) Und wir diskutieren hier über unsere Werte!“

Die rechte SPD rühmt sich geradezu damit, dass sie ja so geduldig die jährliche Prague Pride der LGBT+-Aktivisten in der Stadt erdulden würden. Aber würde nun die Ehe für alle erlaubt, dann folgten die Legalisierung von Inzest, Polygamie, Pädophilie und gar Zoophilie auf den Fuß.

Außerdem: Nur heterosexuelle Paare könnten eben Kinder kriegen. Aber nicht alle, so ein Zwischenruf.  

„Der Kindergarten ist auch nicht für Rentner und der Fußballplatz ist nicht für Hockeyspieler gedacht“, ergänzte noch SPD-Abgeordnete Monika Jarošová.

So beherrschten die erste Lesung dieser zwei Gesetzesvorschläge die Populisten und Rechten. Von den Anhängern der Ehe für alle wollte sich mit diesen Argumenten kaum jemand auseinandersetzen. Verständlich, denn sie waren alles andere als sachlich. 

„Wir haben hier seit Langem keine so ‚konstruktiven‘ Beiträge mehr gehört“, konterte ANO-Abgeordnete Karla Šlechtová – mit einem klaren Bekenntnis. „Angesichts dessen, dass die LGBT-Gemeinschaft hier durch Vergleiche mit Pädophilen und Zoophilen gedemütigt wurde, möchte ich (…) bitten, den Saal des Parlaments zu verlassen. Sie haben viele Menschen dieses Landes damit beleidigt, und Sie haben mich auch beleidigt, weil ich zu dieser Gemeinschaft gehöre.“ Věra Kovářová von STAN (Bürgermeister und Unabhängige) hielt ebenfalls dagegen: „Wenn meine Enkel einmal einen Partner oder eine Partnerin gleichen Geschlechts haben sollten, will ich, dass die gleiche Rechten und Pflichten haben!“

Insgesamt aber lief diese Lesung mit ihren endlosen Wiederholungen ins Leere. Unterbrochen, vertagt – nur verschoben, oder doch schon aufgehoben? 


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