Zeichnung: Jiří Bernard

Zwischen Hannsdorf und Platsch wartet das Burgfräulein in einer Ruine auf ihre Erlösung, während in Reitendorf die „Weiße Frau“ mit ihren Geisterkindern Unheil verkündet.

Die Mauerreste im Hausbusch zwischen Hannsdorf (Hanušovice) und Platsch (Pleče) geben zu mancher Sage Anlass. Von Gestrüpp und Ranken überwuchert, vom Fichtenwald umschattet, selten von eines Menschen Fuß betreten, eine Zuflucht scheuer Waldtiere, wahrt diese Stätte ein Geheimnis aus längst vergangenen Tagen. Nur selten und nur zur Zeit des Vollmondes geben es die erdgebundenen Kräfte preis. Zwischen den dunklen Stämmen erscheint dann suchend eine lichte, mädchenhafte Gestalt, die leise klagend einen Namen ruft. Ein kleines, weißes Hündchen springt spielend vor ihr her. Die wunderholde Erscheinung, die sich dem späten Wanderer nächstens zeigt, ist das sagenhafte Burgfräulein der Ruine Platsch.

Die Wiege dieses schönen Burgfräuleins stand fern von hier in einem reichen, stolzen Schloss. Zwei Ritter entbrannten in heißer Liebe zu der edlen, blühenden Jungfrau. Doch hatte sie längst schon dem jüngeren der beiden Bewerber, dem Ritter Anton, ihr Herz geschenkt. In einer stürmischen Nacht wurde sie von dem abgewiesenen Freier geraubt und auf die im tiefen Walde versteckte Burg Platsch gebracht. In der Stille der Einsamkeit vertiefte sich ihre Liebe zu Anton mehr und mehr: Unerschütterlich glaubte und hoffte sie, dass es ihrem Liebsten gelingen werde, sie zu befreien, und schwur, in Ewigkeit auf ihn zu warten. Ritter Anton aber stellte den Räuber zum Zweikampf. Wohl war der Sieg seinem Schwerte verliehen, doch sollte er sich seines Sieges nicht freuen dürfen: denn er hatte den Gegner so gut getroffen, dass dieser tot zur Erde sank und sein Geheimnis mit ins Grab nahm. Suchend irrte nun der unglückselige Ritter durch die Welt und ist dort draußen verdorben und gestorben. Das Burgfräulein aber wartet jahraus, jahrein auf Erlösung.

Die Burg verfiel, Stein um Stein bröckelte ab, wildes Baumwerk und Dornengerank überwuchert die Mauern. Klagend irrt das Burgfräulein in hellen Sommernächten umher, auf seinen Liebsten wartend und zärtlich seinen Namen rufend. Die Unglückliche kann erst Ruhe finden, wenn ein beherzter Mann sie aus dem Bannkreis der Burg herausführt.

Vor wenigen Jahren hatte sich ein Mann aus Ebersdorf bei einem Taufschmaus in Beckengrund verspätet und war, um den Weg abzukürzen, in der „Höll“, so heißt der Pfad über den Burgberg, hinaufgestiegen. Da gesellte sich plötzlich ein sonderbarer Hund zu ihm, der ein Täschchen am Halsbande trug und ihn bei jedem Schritt anknurrte. Den Mann überfiel große Angst, da sich das Tier nicht fortjagen ließ, ihn immer enger umkreiste und immer heftiger und eindringlicher knurrte. In Schweiß gebadet, erreichte der Mann die Höhe. Tief atmend blieb er einen Augenblick stehen. Da ertönte ein greller Pfiff. Über der Ruine stieg eine Feuersäule zum Himmel. Der Hund wälzte sich, schmerzlich winselnd, dreimal am Boden und war plötzlich verschwunden.

Es wäre der Tag der Erlösung gewesen. Der Mann hätte dem Täschchen, das der Hund am Halsbande trug, den Schlüssel zur Burg entnehmen sollen: Dann hätte er die Ruhelose zu Tal führen können. Nun müssen wieder hundert Jahre vergehen, ehe dem armen Burgfräulein Erlösung winkt. Nur alle hundert Jahre steht die Zeit still und gibt den Augenblick frei zur erlösenden Tat.

Die „Weiße Frau“ in Reitendorf

In kalten, mondhellen Nächten tönt zuweilen von der Karlshöhe herab Glockengeläut. Das ist sehr wundersam, denn in dieser Richtung steht keine Kirche: das eigene Gotteshaus im Dorfe schaut aus der Mitte des Tales zum Berg hinüber. Aber das Läuten ist ganz klar und hell von der Höhe herab zu hören. Und so oft es erklingt, tritt die „Weiße Frau“ mit einer Schar kleiner Kindlein aus dem Walde und führt sie gegen die „Schleif“ zu. Die Kindlein sind kaum eine Elle groß und ziehen klagend und weinend hinter der „Weisen Frau“ einher. Wer aber diesen Seelchenzug sieht, der mag sich vorsehen: Ihm ist ein nahes Unheil angesagt.

Als Unglücksbote kam die „Weiße Frau“ vor vielen Jahren ins jetzige Rutharhaus. Eine Frau lag damals in diesem Hause krank darnieder. Ihr Mann kehrte eines Abends später als sonst heim, da stand im dunklen Vorhaus eine Frau in weißen, wallendem Kleid mit schönen, rotgoldenem, offenen Haar. Sie wich langsam rückwärts schreitend, bis zur Veranda zurück, schwang sich mit einem leisen Seufzer über das Geländer und verschwand. Der Mann, den der Schrecken an der Stelle festgebannt hatte, eilte in die Wohnung und wollte seiner Frau von der Erscheinung erzählen. Aber kam schon zu spät, die Kranke lag im Sterben. Die „Weiße Frau“ hatte den Tod angemeldet.

Zusammengetragen von Irene Kunc

Dieser beitrag erschien zuerst in der landesecho-ausgabe 8/2024

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