Zum 70. Jahrestag des Massakers von Aussig.
Es ist fast drei Monate nach Kriegsende. Man schreibt den 31. Juli 1945. Um 15.31 Uhr explodiert in der ehemaligen Zuckerfabrik von Schönpriesen, einem Stadtteil der in Nordböhmen gelegenen Stadt Aussig (Ústí nad Labem) ein dort angelegtes Munitionsdepot. Deutsche „Werwölfe“ seien die Urheber gewesen, heißt es sofort. Was folgt, ist als „Massaker von Aussig“ in die Geschichte eingegangen.
Pogromartig wird sofort und an mehreren Stellen der Stadt gegen die mit einer weißen Armbinde gekennzeichneten Deutschen vorgegangen. Es sind nicht die einheimischen Tschechen, die sich an den Mitbürgern deutscher Zunge vergreifen. Vielmehr die berüchtigten Revolutionsgarden, Soldaten und einige hundert junge Armeeangehörige, die erst am Morgen des Tages mit einem Zug aus Prag eingetroffen waren. An mehreren Stellen der Stadt kommt es zu regelrechten Jagdszenen. Deutsche werden mit brutaler Gewalt angegriffen. Menschen, die sich in den Feuerlöschteich im Zentrum der Stadt flüchten, werden mit Pflastersteinen gesteinigt und mit Stangen unter Wasser getaucht, bis sie ihr Leben ausgehaucht haben. Andere werden durch die Straßen gehetzt und mit Bajonetten aufgespießt, wie es später in einem Bericht des Innenministeriums heißt.
Auf der Beneš-Brücke soll ein Deutscher angeblich Freude über die Explosion bekundet haben. Die Folge: die Deutschen werden in die Elbe geworfen. Einer Frau wird ein Kind aus dem Kinderwagen gerissen und mit dem Kopf gegen das stählerne Geländer geschleudert. Dann wirft man beide samt Kinderwagen 20 Meter tief in das brackige Wasser des Flusses. Beide werden durch Zufall von der Besatzung eines Schiffs gerettet. Andere haben nicht so viel Glück. Als sie an der Wasseroberfläche auftauchen, werden sie aus Maschinengewehren beschossen, bis sie untergehen. Tage später treiben auf deutschem Gebiet bis zu 80 Leichen an.
Die kommunistische Zeitung „Rudé právo“ schrieb am 2. August 1945: „Der hinterhältige Angriff nazistischer Brandstifter in Aussig und die Berichte über das Wüten gemeiner deutscher Werwölfe erhalten ihre Antwort mit dem einmütigen zornigen Aufschrei unseres ganzen Volkes: ‚Raus mit den Deutschen aus unserem Land. Mit eiserner Hand werden wir unser Grenzgebiet säubern.'“
Nicht völlig anders liest sich das immer noch. Das Nachfolgeorgan von „Rudé právo“, „Právo“, schrieb am Donnerstag: „Der Schock der Explosion löste einen Amoklauf des Mobs aus, der spontaner Ausdruck des Hasses gegen die Nazis nach sechs Jahren Besatzung war.“
Ganz so, als wären die Amokläufer ohne politischen Auftrag aus Prag gewesen. Dort hatte man kurz vor Beginn der Potsdamer Konferenz der Alliierten einen aktuellen Anlass gesucht, der beweisen sollte, dass ein weiteres Zusammenleben von Tschechen und Deutschen unmöglich sei. In Potsdam wurde denn auch die „Abschiebung“ der Deutschen aus der Tschechoslowakei formell beschlossen.
Die genaue Ursache der Explosion ist bis heute nicht vollständig geklärt. Aber das spielt für die Folgen auch keine Rolle mehr. Strittig ist bis heute auch die Zahl der Opfer des „Massakers von Aussig“. Tschechische Fachleute sprechen von weniger als 100, deutsche Quellen von bis zu 2 000.
Auf der Brücke ist vor mehreren Jahren eine Gedenktafel in deutscher und tschechischer Sprache angebracht worden: „Zum Gedenken an die Opfer der Gewalt vom 31. Juli 1945″. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat dort ein Blumengebinde niedergelegt. Heute wird dort der Sprecher der Sudetendeutschen, Bernd Posselt, erwartet. Ausdruck der Versöhnung, die sich gerade im heutigen Ústí besonders manifestiert: Hier ist das Collegium Bohemicum im Entstehen, das sich mit der Geschichte der Deutschen in Böhmen im Verhältnis zu den Tschechen befasst.
Die Brücke des Schreckens heißt aber immer noch nach Edvard Beneš, dem Präsidenten, der die millionenfache Enteignung und Vertreibung der Deutschen angewiesen hatte. Zu Beginn des Jahres hatten einstige Aussiger Deutsche schriftlich bei der Stadtverwaltung von Ústí die Bitte geäußert, die Brücke umzubenennen. Als Alternative schlugen sie den Namen des letzten deutschen sozialdemokratischen Bürgermeisters, Leopold Pölzl, vor. Pölzl gehörte zu den Mutigen, die es wagten, nicht vor den Nazis zu fliehen. Er musste dafür unter kontinuierlicher Verfolgung der Gestapo leiden.
Die Bitte um Umbenennung blieb ohne Antwort. Beneš ist in Tschechien zwar nicht unumstritten. Aber eine Brücke mit seinem Namen umzubenennen, ginge denn doch zu weit. Immerhin nahm das Prager Abgeordnetenhaus 2004 mit großer Mehrheit ein Gesetz an, das den 1948 verstorbenen einstigen Präsidenten ehrt. Seither heißt es in der Prager Rechtsordnung: „Edvard Beneš hat sich um den Staat verdient gemacht.“
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Die Beneš-Brücke wird wohl keinen anderen Namen bekommen
Zum 70. Jahrestag des Massakers von Aussig
Hans-Jörg Schmidt
Es ist fast drei Monate nach Kriegsende. Man schreibt den 31. Juli 1945. Um 15.31 Uhr explodiert in der ehemaligen Zuckerfabrik von Schönpriesen, einem Stadtteil der in Nordböhmen gelegenen Stadt Aussig (Ústí nad Labem) ein dort angelegtes Munitionsdepot. Deutsche „Werwölfe“ seien die Urheber gewesen, heißt es sofort. Was folgt, ist als „Massaker von Aussig“ in die Geschichte eingegangen.
Pogromartig wird sofort und an mehreren Stellen der Stadt gegen die mit einer weißen Armbinde gekennzeichneten Deutschen vorgegangen. Es sind nicht die einheimischen Tschechen, die sich an den Mitbürgern deutscher Zunge vergreifen. Vielmehr die berüchtigten Revolutionsgarden, Soldaten und einige hundert junge Armeeangehörige, die erst am Morgen des Tages mit einem Zug aus Prag eingetroffen waren. An mehreren Stellen der Stadt kommt es zu regelrechten Jagdszenen. Deutsche werden mit brutaler Gewalt angegriffen. Menschen, die sich in den Feuerlöschteich im Zentrum der Stadt flüchten, werden mit Pflastersteinen gesteinigt und mit Stangen unter Wasser getaucht, bis sie ihr Leben ausgehaucht haben. Andere werden durch die Straßen gehetzt und mit Bajonetten aufgespießt, wie es später in einem Bericht des Innenministeriums heißt.
Auf der Beneš-Brücke soll ein Deutscher angeblich Freude über die Explosion bekundet haben. Die Folge: die Deutschen werden in die Elbe geworfen. Einer Frau wird ein Kind aus dem Kinderwagen gerissen und mit dem Kopf gegen das stählerne Geländer geschleudert. Dann wirft man beide samt Kinderwagen 20 Meter tief in das brackige Wasser des Flusses. Beide werden durch Zufall von der Besatzung eines Schiffs gerettet. Andere haben nicht so viel Glück. Als sie an der Wasseroberfläche auftauchen, werden sie aus Maschinengewehren beschossen, bis sie untergehen. Tage später treiben auf deutschem Gebiet bis zu 80 Leichen an.
Die kommunistische Zeitung „Rudé právo“ schrieb am 2. August 1945: „Der hinterhältige Angriff nazistischer Brandstifter in Aussig und die Berichte über das Wüten gemeiner deutscher Werwölfe erhalten ihre Antwort mit dem einmütigen zornigen Aufschrei unseres ganzen Volkes: ‚Raus mit den Deutschen aus unserem Land. Mit eiserner Hand werden wir unser Grenzgebiet säubern.'“
Nicht völlig anders liest sich das immer noch. Das Nachfolgeorgan von „Rudé právo“, „Právo“, schrieb am Donnerstag: „Der Schock der Explosion löste einen Amoklauf des Mobs aus, der spontaner Ausdruck des Hasses gegen die Nazis nach sechs Jahren Besatzung war.“
Ganz so, als wären die Amokläufer ohne politischen Auftrag aus Prag gewesen. Dort hatte man kurz vor Beginn der Potsdamer Konferenz der Alliierten einen aktuellen Anlass gesucht, der beweisen sollte, dass ein weiteres Zusammenleben von Tschechen und Deutschen unmöglich sei. In Potsdam wurde denn auch die „Abschiebung“ der Deutschen aus der Tschechoslowakei formell beschlossen.
Die genaue Ursache der Explosion ist bis heute nicht vollständig geklärt. Aber das spielt für die Folgen auch keine Rolle mehr. Strittig ist bis heute auch die Zahl der Opfer des „Massakers von Aussig“. Tschechische Fachleute sprechen von weniger als 100, deutsche Quellen von bis zu 2 000.
Auf der Brücke ist vor mehreren Jahren eine Gedenktafel in deutscher und tschechischer Sprache angebracht worden: „Zum Gedenken an die Opfer der Gewalt vom 31. Juli 1945″. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat dort ein Blumengebinde niedergelegt. Heute wird dort der Sprecher der Sudetendeutschen, Bernd Posselt, erwartet. Ausdruck der Versöhnung, die sich gerade im heutigen Ústí besonders manifestiert: Hier ist das Collegium Bohemicum im Entstehen, das sich mit der Geschichte der Deutschen in Böhmen im Verhältnis zu den Tschechen befasst.
Die Brücke des Schreckens heißt aber immer noch nach Edvard Beneš, dem Präsidenten, der die millionenfache Enteignung und Vertreibung der Deutschen angewiesen hatte. Zu Beginn des Jahres hatten einstige Aussiger Deutsche schriftlich bei der Stadtverwaltung von Ústí die Bitte geäußert, die Brücke umzubenennen. Als Alternative schlugen sie den Namen des letzten deutschen sozialdemokratischen Bürgermeisters, Leopold Pölzl, vor. Pölzl gehörte zu den Mutigen, die es wagten, nicht vor den Nazis zu fliehen. Er musste dafür unter kontinuierlicher Verfolgung der Gestapo leiden.
Die Bitte um Umbenennung blieb ohne Antwort. Beneš ist in Tschechien zwar nicht unumstritten. Aber eine Brücke mit seinem Namen umzubenennen, ginge denn doch zu weit. Immerhin nahm das Prager Abgeordnetenhaus 2004 mit großer Mehrheit ein Gesetz an, das den 1948 verstorbenen einstigen Präsidenten ehrt. Seither heißt es in der Prager Rechtsordnung: „Edvard Beneš hat sich um den Staat verdient gemacht.“