Wenn die ersten Schneeflocken auf den Höhen des Erzgebirges fallen, dann ist es nicht mehr weit bis Weihnachten und den Rauhnächten. In diesen Tagen treibt gerne die Wilde Jagd ihr Unwesen, wovon viele Sagen berichten.
Die Christmette in der Todtenkirche zu Elsterberg
Vor etwa 200 Jahren trug sich in Elsterberg Folgendes zu. Ein Bürger von Elsterberg trug am heiligen Weihnachtsabend ein Viertel Weizen in die Mühle. Etwa um 10 Uhr ging er mit dem erhaltenen Mehle wieder nach Hause. Sein Weg führte ihn an dem Gottesacker und der Todtenkirche vorüber, in welcher damals nachts um zwölf Uhr Christmette gehalten wurde. Da bemerkte der Bürger zu seinem Erstaunen, dass die Kirche schon um zehn Uhr hell erleuchtet war. Er legte sein Mehl ab, ging hin zur Kirche, wagte sich zur Türe herein und erblickte in der Kirche eine Menge Verstorbene, die das Lied sangen „Herr Jesu Christ, wahrer Mensch und Gott.“ Unter diesen Wesen mit hohläugigen, bleichen Gesichtern, bemerkte er in größter Nähe seinen vor einem halben Jahre verstorbenen Gevatter. Zu diesem setzte sich der Bürger und sang mit. Nach einer Weile gab ihm der verstorbene Gevatter einen Wink mit dem Finger. Der Bürger verstand den Wink, er entfernte sich und als er aus der Türe trat und die Kirche schloss, geschah ein starker Knall und Alles war verschwunden und finster.
Die wilde Jagd – das wütende Heer bei Wiesenthal und im Erzgebirge
Im ganzen Erzgebirge, besonders in dem höhern Teile desselben lässt sich das wütende Heer sehen und hören. Man hört ein starkes Jägergeschrei und gewöhnlich den Ruf: Hu! hu! hu!
So reiste zu Ende des 17. Jahrhunderts ein alter Geistlicher von Wiesenthal, namens David Ryhl, nach Annaberg durch einen dicken Wald, und es erhob sich mitten im Walde ein ungemein lauter Jägerlärm, um welche Zeit doch kein Arbeiter noch Jäger auf dem Felde zu finden war. Der Fuhrmann besann sich bald darauf und sagte: „Herr, es ist das wütende Heer, wir wollen in Gottes Namen fahren, es kann uns nicht schaden.“
Eines Tags sind noch in diesem Jahrhundert zwei Brüder, Spitzenhändler, in der Schneeberger Gegend auf der Straße von Stangengrün nach Hirschfeld geritten, da haben sie plötzlich am helllichten Tag auf freiem Felde das laute Hohoschreien des wilden Jägers gehört, aber ihn selbst nicht gesehen, nur unter ihren Pferden, die sich furchtbar gebäumt, sind eine Menge kleiner Dachshunde herumgelaufen, ohne dass sie jedoch einen derselben hätten von den Pferden treten sehen, und plötzlich ist Alles wieder verschwunden gewesen.
Manchmal hört der Wanderer, wenn er in dem oberen Erzgebirge durch die einsamen Wälder und Felder geht, immer etwas teils im Gebüsch, teils im Korn neben sich hergehen, gerade wie wenn ein großes Tier, eine alte Kuh das Getreide niedertritt, gleichwohl sieht er nichts, und man schreibt auch diesen Ton dem wilden Heere zu.
Einstmals ist im Dorfe Steinpleiß die ganze wilde Jagd mit Hundegebell, Peitschenknall und Jagdgeschrei um Mitternacht mitten durch den Hof des Richters gegangen.
Ein anderes Mal ritt ein beherzter Mann ganz allein in der Abenddämmerung nicht weit von Annaberg auf der gewöhnlichen Heerstraße, da sah er einen alten Bergmann vor sich hergehen. Als er an ihn herankam, bot er ihm einen guten Abend, erhielt aber keine Antwort, ebenso wenig auf die Wiederholung des Grußes, und da er etwas hitzig war, schrie er: „Ei, so soll Dich Grobian gleich der Teufel –!“ und zog ihm eins mit der Reitgerte über. Aber siehe auf einmal wusste er nicht mehr wo er war, er ritt bis in die Nacht in der Irre herum und erst gegen Mitternacht hörte er Stimmen, er rief, es kamen Leute, er fragte, wo er sei, und erfuhr, er sei in seinem eigenen Heimatsorte, man führte ihn bis an sein Haus, und immer noch kannte er sich nicht aus, erst als seine alte Mutter mit einem Lichte vor die Türe trat, wusste er wieder, wo er war. Der wilde Jäger hatte ihn geäfft.
Im Jahre 1626 ritt Junker Rudolf von Schmertzing, Erbsaß auf dem Hammergut Förstel, halb betrunken von Annaberg weg, ganz allein und vermeinte den geraden Weg über Schlettau auf die Scheibenbergischen Mühlen durch die unteren Scheibner Räume zu nehmen. Es verführte ihn aber eine Jagd von Jägergeschrei und Hundegebell, welchem er nachritt, und er verfiel mit seinem Pferde in einen Morast, darin das Pferd halb versunken stecken blieb. Er machte sich mit großer Mühe los, lief zu den benachbarten Fuhrwerken, kleidete sich aus und ließ Leute auftreiben, die das Pferd mit Stangen und Seilen wieder aus dem Morast ziehen mussten.
Quelle: Deutsches Sagenbuch von Ludwig Bechstein, 1930
Zusammengetragen von Irene Kunc